Nacht über der Prärie. Liselotte Welskopf-Henrich

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Nacht über der Prärie - Liselotte Welskopf-Henrich


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ließ sich zu einer Auskunft herbei. »Die Mutter seiner Mutter war eine aus dem Geschlecht des Inya-he-yukan, des Steins mit Hörnern, von dem wir nur Gerüchte und Sagen kennen. Wir wissen nicht, ob es ihn je gegeben hat. Aber sie nannte ihren Sohn nach ihm, als er die Schläge des Großvaters überlebte.«

      »Der Großvater hasste diesen Enkel?«

      »Der Großvater liebte den Brandy, und Stonehorn ist schon mit zwei Jahren wild und böse wie eine Raubkatze gewesen.«

      »Wir müssen arbeiten. Ist weitere Post da?«

      Auf diese Weise hätte Ed Crazy Eagle nicht abschließen dürfen. Er wusste es selbst, kaum dass er die Worte gesprochen hatte. Nun würde Runzelmann nicht so leicht wieder den Mund öffnen, vielleicht in dieser Sache nie wieder.

      »Es ist keine weitere Post da. In einer halben Stunde beginnt der erste Termin.«

      Die halbe Stunde verlief ungenutzt.

      Aus dem Zimmer des alten Richters kamen die beiden indianischen Polizisten heraus. Crazy Eagle hörte sie durch den schmalen Korridor gehen und das Haus verlassen. Draußen sprang der Motor des Jeep an. Die Polizei benutzte dieses Fahrzeug, um in der Prärie auch ohne Weg und Steg vorwärts kommen zu können.

      Als es hoher Mittag wurde und die Beamten auf die Uhr schauten, waren auch die Vormittagstermine auf dem Gericht erledigt. Crazy Eagle entschloss sich, noch zu den Fachdezernaten hinüberzugehen. Das Wohlfahrtswesen verwaltete eine blondierte Frau. Sie machte einen intelligenten Eindruck, war angenehm gerundet und so mit dem nötigen Schwergewicht versehen, um viele Leute mit wenig Geld zu versorgen. Eine magere alte Indianerin verließ eben das Wohlfahrtsbüro. Kate Carson freute sich, als der Blinde – ohne Begleiter – eintrat.

      »Ed«, sagte sie hinter der Barriere, die den Raum teilte, »hier spielen sie alle verrückt, weil Joe King gesehen worden ist. Gestern war der Vater bei mir und hat sich seine Rente geholt. Er wird sie versaufen, und es kann wieder Schlägereien geben. Das kenne ich seit fünfzehn Jahren, es ändert sich nichts. Überhaupt ändert sich noch viel zu wenig. Aber deshalb wollte ich nicht zu Ihnen hinüberkommen. Es geht um unsere Teenager, die jetzt in den Ferien zu Hause sein werden. Stonehorn kann sich unter ihnen aussuchen, wen er will. Viele bewundern ihn im stillen – fürchte ich.«

      Ed hatte sich einen Stuhl vor die Barriere gerückt.

      »Es gäbe schon Beschäftigung für die Jungen und Mädchen. Aber Haverman«– er deutete mit einer Kopfbewegung in Richtung des Nebenzimmers –, »Haverman ist zu schwerfällig, und er sieht sich nicht genug auf anderen Reservationen um, was dort gemacht wird. Er kann auch nicht mit unseren Leuten zusammenarbeiten, scheint mir. Er regiert immerzu.«

      Die füllige Blondine erhob sich auf eine höchst eigenartige Weise, als ob sie an ihrem Schopf in die Höhe gezogen würde. Sie starrte aus dem Fenster. Das konnte der Blinde nicht sehen, aber an der Richtung eines Lautes, den sie ausstieß, erkannte er, wohin sie blickte.

      »Was gibt es da draußen?«

      Kate Carson wandte sich verblüfft um. »Woher wissen Sie denn … Himmel … er kommt zu uns. Tatsächlich … Das muss sofort ausgenutzt werden.«

      Kate Carson puderte sich schnell die Nase. Es war ein glutheißer Tag, in ihrem Zimmer gab es keine Klimaanlage, und obgleich sie sich keinen Augenblick vom Stuhl gerührt hatte, war ihre Gesichtshaut nass von Schweiß.

      Der Blinde lauschte, er hatte ein feineres Gehör als andere. Die Haustür wurde auf- und zugemacht, leiser noch, als Nick Shaw das vermochte. Kaum hörbare Schritte gingen durch den Korridor. Entweder trug jemand Mokassins, oder die Schuhe waren von weichem, bestem Leder. Die Schritte waren raumgreifend, wie ein großer und sehniger Mensch sie mühelos macht. Jemand trat in das Nebenzimmer ein, ohne anzuklopfen.

      »Allmächtiger«, flüsterte Kate Carson, »er ist es! Und wie er sich herausgeputzt hat! Wie ein Spanier. Schwarze Jeans, das Hemd glänzt weiß, ein schwarzer Cowboyhut … der Bursche ist erst vor zwei Wochen aus der Untersuchungshaft entlassen worden … wo und wie er sich das Geld schon wieder organisiert hat … weiß der Teufel!« Sie versuchte zu lauschen, aber es war nichts zu hören.

      »Gehen wir hinüber, Ed?«

      »Das wäre falsch.«

      »Wollen Sie die Polizei verständigen?«

      »Wozu?«

      Kate Carson atmete tief und unruhig. Ihr ganzer Körper geriet in Bewegung. »Wir müssen den Augenblick doch nutzen, Ed. Mit ihm sprechen …«

      »Sieht er gut aus?«

      Kate Carson begriff die Ironie nicht. »Ja.«

      »Wir müssen abwarten, mit wem er sprechen will. Soll ich ihn verhaften lassen, weil er wieder heimgekommen ist?«

      »Heim! Zum besoffenen Vater, und im Hause nichts zu essen … Übrigens ist er nach seiner Entlassung schon wieder rumgelungert, und also haben Sie als Richter das Recht … oder die Pflicht …«

      »Jedenfalls nicht die Pflicht, schon im ersten Augenblick alles zu verderben.«

      »Ihre Ruhe, Ed, möchte ich auch einmal haben.«

      Der Blinde lächelte, zum ersten Mal an diesem Tag. »Ich bin ein Indianer, Mrs Carson.«

      Das Gespräch nebenan dauerte länger, als es zwischen Beamten und Indianern üblich war. Erst nach zehn Minuten wurde die Tür wieder geöffnet und geschlossen, genauso leise wie beim Eintreten des Besuchers. Die Schritte gingen in dem Tempo, in dem sie gekommen waren, wieder aus dem Haus hinaus. Diese Schritte hatten mit ihrer Gleichmäßigkeit und Leichtigkeit etwas durchaus Unpersönliches an sich. Ed Crazy Eagle hatte tatsächlich mehr die Vorstellung, dass sich diese Schritte selbständig bewegten, als dass hier ein Mensch ging, der hätte zögern oder sich beeilen können.

      Kate Carson konnte durch das Fenster nichts mehr beobachten, denn der Besucher hatte jetzt die andere Richtung eingeschlagen.

      Frau Kate, verwitwete Carson, öffnete die kleine Tür der Barriere, fest entschlossen, nun zu Haverman hinüberzugehen. Da stürzte Haverman schon herein. Er hatte noch genug Fassung, um den Richter Crazy Eagle höflich zu begrüßen, dann ließ er sich auf einen Stuhl fallen und faltete die Hände vor dem Gürtel, ein Zeichen, dass er sich selbst beruhigen wollte. Sein weißes Hemd war unter den Armen verschwitzt.

      »Frech, was?«

      »Wer?« fragte der Blinde.

      »Joe King war bei mir.«

      »Was hat er Ihnen vorgetragen?«

      Die etwas in Unordnung geratenen Gedanken und Gefühle Mr. Havermans ordneten sich im Nu zu einem amtlichen Bild. »Ein Arbeitsbeschaffungsprogramm.« Haverman netzte die Lippen mit der Zunge. »Ausgerechnet Joe King. Er kann in der Angelhakenfabrik anfangen, habe ich ihm gesagt, morgen schon, wenn er will. Aber es geht ihm nicht darum zu arbeiten; es geht ihm nur darum, uns Scherereien zu machen. Er ist sozusagen ein professioneller Prärie-Indianer.«

      »Was hat er denn für Vorstellungen?«

      Mr. Haverman stierte den Blinden verblüfft, wenn auch keineswegs unfreundlich, an. »Ich kann es Ihnen nicht genau sagen. Ich habe sozusagen jeden Moment darauf gewartet, dass er einen Colt oder ein Messer oder einen anderen unangebrachten Gegenstand hervorholt. Er hat von Pferdezucht gesprochen, von Rodeo-Pferden … Also bitte, sein Vater hat den Boden für eine Ranch, er kann ja anfangen … wenn er arbeiten will.«

      »Kaufen Sie die Zuchtpferde?«

      »Für den? Nein. Die Familie Booth haben wir unterstützt, der Erfolg ist da … nicht gerade die teuren Rodeo-Pferde, aber brauchbares und verkäufliches Rindvieh, neuerdings auch schwarzes Vieh, das ist zäher. – Übrigens sollte man den Burschen einmal ins Hospital einliefern und auf seinen Geisteszustand untersuchen lassen. Diese Augen! Ganz normal ist der nicht. Ihre Frau ist doch im Hospital angestellt, Mr Crazy Eagle. Kann sie nicht mit den Ärzten sprechen?«

      »Der Gesundheitsdienst arbeitet nicht mehr mit Polizeimethoden.«

      »In


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