Nacht über der Prärie. Liselotte Welskopf-Henrich
Читать онлайн книгу.Die Benzinleitung war jedenfalls verstopft. Der Mann pustete durch. Das Kabel, das die Batterie verband, war auch locker.
Der Mann schüttelte den Kopf. »Wer da zuletzt an dem Motor war … hat ihn wohl mehr in Unordnung gebracht als in Ordnung.« Er schaute mit einem vorwurfsvollen Blick auf Queenie.
In Queenie stieg auf einmal ein Verdacht auf. Wenn diese Banditen in der Zeit, in der ihr Bruder schon betrunken war, sich an dem Motor zu schaffen gemacht hatten …?
»Ist noch ein weiterer Schaden zu finden?« fragte sie schüchtern.
»Scheint nicht. Also gute Fahrt.« Der Mann klappte die Motorhaube wieder zu. Queenie fuhr vorsichtig an. Der Motor gehorchte wieder.
»Stop«, befahl jedoch der Mann, als er umherschaute. »Es geht los. Das warten Sie hier ab.«
Queenie wusste, was er meinte, denn die ersten Hagelkörner prallten bereits auf die Scheiben. Sie blieb im Wagen, der Mann sprang in seine Bude. Das Unwetter prasselte mit der Gewalt herab, die für das Indianermädchen nichts Neues war. Wasser und Hagel schlugen und klatschten. Es war durch die Scheiben nichts mehr zu sehen, auch der Scheibenwischer konnte dem Wasser und Hagel nicht mehr Herr werden. Wie blind saß Queenie auf ihrem Führersitz und hörte das Heulen, Klatschen, Prasseln des mächtigen Unwetters, das nahezu auch das Gehör verschlug.
Als die Panne eintrat, hatte sie ihren Wagen noch etwas zur Seite fahren können, etwa anderthalb Meter, so dass er nicht vom Verkehr gefährdet war. Es zeigte sich, dass sie damit Glück gehabt hatte. Denn in dem dunklen, regentrüben Wetter raste jetzt ein anderer Wagen mit hoher Geschwindigkeit an dem ihren vorbei. Sie hatte das Gefühl, dass eine Gefahr an ihr vorübergezogen war, und wartete mit Ruhe, bis das Wetter sich ausgetobt hatte.
Der Mann in der Cowboykleidung schaute aus seiner Bude heraus und nickte noch freundlich hinterher, als Queenie mit ihrer alten Karosse in einen immer sanfter werdenden, bald ganz nachlassenden Regen hineinfuhr und auf der nassen Straße sicher steuerte.
Nach dieser Begegnung konnte Queenie erst wieder Menschen treffen, wenn sie die Agenturgebäude erreichte, von denen aus sie dann noch viele Meilen bis zu der väterlichen Ranch zu fahren hatte. Das Land war öde und leer.
Queenie wagte nicht mehr, ein hohes Tempo aufzunehmen. Sie fuhr fast gemächlich auf der einsamen Straße, die durch die Prärie führte, vorbei an Bachbetten, in denen plötzlich wieder Rinnsale flossen, vorbei an den abgestorbenen Bäumen, die der Winter mit Sturm und Kälte getötet hatte, über eine kleine Brücke mit dem Blick auf einen Zaun, der ein Ranchgelände abgrenzte. Vieh war nicht zu sehen. Es hatte vor dem Unwetter in den Bodensenken Schutz gesucht. Das Hagelwetter schien nur ein Vorbote weiterer Stürme gewesen zu sein. Queenie schaute nach dem unheilverheißenden Horizont. Ein Fasan kreuzte die Straße. Die Tiere einer verlassenen Fasanerie hatten sich auf der freien Prärie fortgepflanzt. Das Mädchen hatte rücksichtsvoll gebremst.
Der Motor stotterte erneut. Queenie fuhr noch langsamer. Aber da so lange alles gut gegangen war, ließen sich ihre Nerven nicht mehr aufstören. Die Agentur war schon nahe.
Am späten Nachmittag lenkte Queenie in die Straße mit den Vorgärten, den Einfamilienhäusern und den einstöckigen Bürohäusern ein, in denen der Superintendent und seine Verwaltung sowie der Stammesrat und das Stammesgericht arbeiteten. Jetzt waren die Büros allerdings schon geschlossen. Die Straße lag fast leer. Zwei Fußgänger verschwanden auf Nebenwegen. Queenie hatte nicht erkannt, wer es war.
Als Queenie mit ihrem Wagen an dem kleinen Laden mit dem vielverheißenden Namen »Supermarkt« vorbeikam, meldete sich ihr Hunger, und sie erinnerte sich, dass sie etwas Geld bei sich trug. So hielt sie an, schloss den Wagen wieder ab, steckte den Schlüssel zu sich – alles dies mit mehr Bedacht als sonst – und trat ein. Außer ihr befanden sich nur noch drei Kunden in dem Selbstbedienungsladen. Sie nahm einen der Einkaufswagen, fuhr damit um den einzigen Warenstand herum, bewunderte leckere Dinge und kaufte schließlich etwas tiefgekühltes Fleisch für Eltern und Geschwister und ein Päckchen Vollkornbrot für sich selbst. Als sie bezahlte, begrüßte die Kassiererin sie offensichtlich erfreut. Queenie kannte die Frau an der Kasse flüchtig von früheren Einkäufen her. Sie war eine Weiße, allerdings nur beinahe eine Weiße, da sie ein paar Tropfen Indianerblut in den Adern hatte.
Als Queenie sich zum Gehen wandte, stockten ihr plötzlich die Glieder. Sie konnte für eine Sekunde nichts wahrnehmen und nichts denken. Als sie wieder bei sich war, erkannte sie durch die große lichte Scheibe hindurch die Gestalt von Joe King, genannt Stonehorn. Er schaute nicht in den Laden hinein, sondern am Laden vorbei nach Osten, wo die Straße auf einem Hügel zu enden schien und der Himmel darüber schon dunkelte. King musste in dem Hagelwetter draußen gewesen sein, denn seine schwarzen Jeans waren bis über die Knie nass, das weiße Hemd war klatschnass und klebte am Körper, und nass war auch der Cowboyhut.
Da es auffällig gewesen wäre zu zögern, verließ Queenie mit ihrem Päckchen den Laden und ging schnell auf ihren Wagen zu. Da geschah genau das, was sie aus innerer Verwirrung hatte vermeiden wollen.
Joe King hatte sich umgewandt. Er kam auf sie zu, sagte »Hallo!« mit der Stimme, die sie seit ihren frühen Schuljahren kannte und nie vergessen hatte, und schien einen Augenblick zu warten, was sie nun tun werde. Das Blut schoss ihr in die Wangen, denn es machte sie verlegen, von Joe King angesprochen zu werden. Die Kassiererin – mindestens die Kassiererin – beobachtete diese Begegnung, und vielleicht glaubte sie, Queenie habe das so eingerichtet.
»Hallo!« antwortete Queenie scheinbar leichthin.
Joe King mit seinen merkwürdigen Augen aber zwang sie zu einem antwortenden Blick, und in diesem Blick lag alles von einsamer Weite und unschuldigem Kindertraum, von Geheimnis und Mitwissen und auch von Bekenntnis des Gefühls, was in Queenie geschlafen hatte und doch nicht erstorben war.
Joe King lächelte ein wenig, mit jener Überlegenheit, die Queenie schon als Kind bis aufs Blut gereizt und doch stets von neuem angezogen hatte.
Nun musste es wohl geschehen – denn es war durchaus nicht unvorbereitet, und Queenie begriff diese Seite der Sache sofort –, dass von jenseits des Fahrdammes ein zweites »Hallo!« erklang, von einer breiten Stimme getragen. Wenn Queenie hätte tun können, was sie am liebsten getan hätte, so hätte sie irgendeinen Riesen gezaubert, der die beiden jungen Männer mit ihren harten Schädeln aneinanderstieß oder ihnen auch kaltes Wasser über den Kopf sprühen ließ, bis sie zu dem kamen, was Queenie als Vernunft zu bezeichnen pflegte. In Ermangelung eines solchen Zauberriesen tat sie, als habe sie nicht begriffen, dass auch dieses zweite Hallo ihr galt. Sie huschte zu ihrem Wagen, schloss etwas ungeschickter und umständlicher auf als sonst, schob sich auf den Fahrersitz, warf das Päckchen neben sich und startete, so schnell der alte Wagen es eben erlaubte. Als sie auf höhere Beschleunigung ging, schaute sie doch noch für einen Moment zu Joe King zurück. Es schien ihr, dass er sie verachtete und vollständig abtat ob ihres albernen Teenagerverhaltens. Der Wagen machte einen Sprung. Sie bekam kühle Hände und musste fest zupacken, um nicht zu zittern.
Was sie gemacht hatte, erschien ihr jetzt falsch. Sie hätte sich selbst zerreißen mögen. Entweder hätte sie für Joe Partei nehmen müssen, so einfach und ohne alle Scheu, wie sie es als Kind einmal getan hatte. Oder sie musste sich verhalten wie eine Häuptlingstochter, die wusste, dass man kein Schauspiel vor anderen Leuten gab … die wusste, dass man das eine Hallo so ruhig und selbstverständlich beantwortete wie das andere. Aber sie war nicht rund und nicht ausgeglichen, wie Ella behauptet hatte, oder war vielleicht der Ring, der alles zusammenhielt, zerbrochen? Ihr Denken und Fühlen zuckte, kräuselte sich und schlug gegeneinander wie Wasser unter streitenden Winden. Sie erinnerte sich daran, was Elk zu ihr gesagt hatte. Das … das … das sind die Kumpane … von Joe … King.
Queenie fuhr den Hügel hinauf, hinter sich die Sonnenscheibe, die im gelben Dunst schwebte. Steil ging es wieder hinab, dann linker Hand in den Weg hinein, der schon nicht mehr als Straße bezeichnet werden konnte. Das Mädchen musste Willen und Gedanken wieder auf das Steuer konzentrieren. Haufen von Hagelkörnern lagen noch in den tiefen Wegfurchen. Das Gras flatterte unter den Böen, die langstieligen Blütenkolben der Yucca spielten frech im Wind. Ausgetrocknete Büsche, ohne Blätter,