Krampenfieber – Im Fangarm der Pimperbrille. Tobie Schmack

Читать онлайн книгу.

Krampenfieber – Im Fangarm der Pimperbrille - Tobie Schmack


Скачать книгу
Serviceengel kommt etwas ins Straucheln und lässt sichtbar die Flügel hängen.

      »Also, das wird sicher auf der Dose …«, gibt sie mit sanfter Stimme zu verstehen, was Delia umgehend hämisch grinsend quittiert.

      Doch nun ist Schluss mit lustig. Der Engel setzt Hörner auf.

      »Würden Sie jetzt bitte die Blende wieder senken. Der Mann neben Ihnen möchte sicher noch schlafen. Danke!«

      Damit hat Delia nicht gerechnet, was jedoch nicht heißt, dass sie sich das vom Dienstpersonal bieten lässt. »Der Herr hat ja wohl die gleiche Kohle für den Platz hingelegt wie ich«, schießt sie forsch und stutenbissig zurück.

      Um mal ganz korrekt zu bleiben, eigentlich war ich es, der uns den ganzen Urlaub als bestmögliches Bett für den perfekten Antrag geschenkt hatte, aber Delia denkt in diesem Moment schon wieder separat und haut der Stewardess auf die Hand, als diese versucht, die Sicht wieder abzudunkeln. »Hey, du Tussi! Ich werd ja wohl den Saft prüfen dürfen, bevor ich den trinke. Ich hab schon ganz andere Dinger im meinem Mund gehabt, und da hieß es auch ›völlig unbedenklich‹.«

      Moment, ging das grad gegen mich? Die Dame im blauen Kostüm beschließt – sagen wir schlicht »angepisst« – den Zug weiterrollen zu lassen und die Reihen hinter uns zu bestücken. Dort würde man den Service sicherlich zu schätzen wissen. Auch von hinten sieht sie verdammt attraktiv aus, aber gegen ihre blühend leuchtenden Augen ist das kein echter Ersatz.

      Mein Sitz liegt wieder im Dunkeln und merklich zieht die Gefühlskälte von links weiter an. Ich bin mir sicher, es hätte nicht viel gefehlt und Delia hätte den Manager verlangt, der tollkühn in einem Privatjet herangedüst käme und im Auftrag ewiger Kundenglückseligkeit in einem halsbrecherischen Manöver über die Dachluke in die 747 eingedrungen wäre. Was für eine Dramatik. Ford, Harrison Ford, dem würde ich das abkaufen. Leider würde ich nicht so überzeugend wirken, hätte ich mich in die Schusslinie zwischen die beiden geworfen.

      Delia interessiert sowieso bei jeder Reise nur, wie sie schnellstmöglich wieder aus dem Flieger kommen würde. Es ist einfach nicht ihr Ding. Gewöhnlich betäubt sie ihre Angst vor dem möglichen Absturz in Verbindung mit einer satten Portion Klaustrophobie mit einer Mixtur aus Brandy, Kaffee und wieder Brandy. Dummerweise habe ich gerade ganz schlechte Karten, mit diesem Sonderwunsch von meiner Lieblings-Stewardess erhört zu werden. So bleibt mir bis zur nächsten Fütterung nur das Backgroundgeräusch aus klimpernden Dosen und knackenden Plastikbechern. Jedoch fühle ich weiterhin ihre Nähe. Die noch immer sichtlich erregte Diva namens Delia, die spürbar bemüht ist, bloß keinen übermäßigen Körperkontakt zu mir herzustellen, meckert engagiert weiter. Wenn sie es könnte, sie würde kleine Feuerpfeile spucken. Irgendwie muss ich jetzt wohl einfach da durch und ihrer Laune ein Podium schenken. Natürlich behaupte ich, dass der Tomatensaft widerlich geschmeckt hat und die Saftschubse definitiv rausgeschmissen gehört, am besten jetzt gleich direkt durch den Notausstieg. Dass wir dann gleich alle mit abkacken würden, lasse ich lieber unerwähnt. Argumente dieser beschwichtigenden Art bringen uns leider nicht weiter. Was auch immer ich sage, ich kriege keine Ruhe rein. Glücklicherweise sind die anderen Passagiere in unserem Dunstkreis mit Futtern und Filmschauen beschäftigt. Das Bordrauschen macht auch für mich Delias Genuschel in einem Mindestmaß erträglich, bis sie es sich anders überlegt und mal wieder instruiert, mich natürlich.

      »Aspirin!«

      Delia benimmt sich, als wäre ich ihr wohldefiniert degradierter Handlanger zur tumben Befriedigung ihrer Gelüste. Da ich jetzt keinen Bock habe, den vorhin so gut verstauten Rucksack aus der Gepäckablage rechts oben zu zerren, tue ich so, als hätte ich sie nicht verstanden.

      »Henry! Jetzt tu nicht so, als hättest du mich nicht verstanden. Die Nummer kauf ich dir nicht ab.«

      Ja, richtig, ich könnte ganz sicher auf hundert Meter Entfernung in einem Wald ein sich entleerendes Eichhörnchen mit Magen-Darm-Infekt ausmachen. Ja, ich höre einfach alles. Verdammt! Warum muss ich auch immer damit prahlen.

      »Ja, Delia, welchen Stern darf ich dir denn nun vom Himmelszelt pflücken?«, wechsele ich mein Verhaltensmuster, das mir momentan nicht stehen will, und lächele sie gequält an.

      »Ich krieg grad Kopfschmerzen von der ganzen Nummer hier. Also, komm schon, die Aspirin sind im vordersten Reißverschlussfach.«

      Ich schnaufe im Aufrappeln kurz durch, was auch nicht unkommentiert bleibt, und klappe die Abdeckung der Ablage langsam hoch. Da liegt er, mein aschgrauer Wildlife-Rucksack. Ich hatte ihn irgendwann mal von Delia zum Geburtstag bekommen, nein, zum ersten Jahrestag, der sollte ewig halten, eben was fürs Surviven. Zwischen den davor hineingestopften Bambushüten und einem tonnenförmigen Musikinstrument mit sowas wie einem Eingeborenenmuster lugt der Trageriemen hervor. Während ich mit der einen Hand das Musikungetüm zu fixieren suche, ziehe ich bestimmt an dem Riemen, doch da bewegt sich nichts. Als ich kurz über meine Schulter sehe, merke ich, dass die nächste Stewardess mit dem Müllwägelchen anrückt. Hinter mir spüre ich Delias So-wird-das-schon-mal-gar-nichts-Vorwürfe, die nun an meinen Nacken klatschen und mir langsam den Rücken hinunterfließen. So sehr ich auch ziehe, da löst sich nichts. Ein wenig schieben, nach links drücken, dann leicht drehen und seitlich zurückpressen. Den Kopf zwischen meinen langsam schwerer werdenden Oberarmen eingepfercht tänzele ich auf meinen Zehenspitzen. Meine Finger zittern sich über das fremde Gepäck hinweg bis ganz nach hinten. Im Ungewissen fingern … das hatte ich mir für den Urlaub ganz anders vorgestellt. »Klappe, du blöde Geilheit! Jetzt brauchst du auch nicht mehr anzuklingeln.« Mit den Kuppen angele ich mir den still ruhenden Rucksack. Scheu, aber fühlbar huscht mir etwas Befriedigung aus der Brust. Leider merke ich nicht, dass sich der übrige Trageriemen im Restgepäck in einer kleinen Gehäuseschraube verfangen hat. Ich krieg allmählich auch Kopfwummern und habe nun ein ganz eigenes Interesse, an die Pillen zu kommen. Jetzt reicht’s, denke ich und kralle mich im Gepäck fest. Der Müllwagen rollt langsam, aber unaufhaltsam in meine Richtung. Nun komm schon, du Mistding! Delia gibt auf Platz 19 b schon die Schlussvorstellung der Kameliendame, als ich mich mit meiner ganzen Schwungmasse reinhänge und unbeholfen wie fünfundneunzig Kilo Mischhack laienhaft die Abrissbirne im Impro-Theater mime.

      »DAS – MUSS – DOCH – HIER – RAUS – GEH’N!«

      Sechsmal kräftig geruckt und mein Gesicht macht einen auf knallig lackierte Tomate, während sich der Rest meines Ichs auf »bedauernswerte Gurke« transformiert. Und nun? Irgendwas hat gerade geknackt. Nee, oder? Bitte nicht die Bandscheibe! Ein kurzes Rückspüren versichert mir, dass da alles in Ordnung ist, was mich motiviert, meine verinnerlichte Mission fortzusetzen.

      »Na bitte!«, ploppt es erleichtert aus mir heraus.

      Leider bleibt mir lediglich ein klitzekleiner Moment der Glückseligkeit, denn nun ist die Ladung in Bewegung und kommt wie eine Lawine eiskalt über mich. Okay, Zeit für das – von Zugreisenden so hochgeschätzte – sich leicht verspätende Frühwarnsystem, das leider für den Höchstgefährdeten ungehört bleibt.

      »Kacke, der Typ unter mir pennt!«

      Mit einem imposanten Ausfallschritt, der mir die Hosennaht entjungfert, bemühe ich mich um Stabilität, die sich in diesen Tagen nicht nur die Anleger diverser Börsenunternehmen so sehnlich wünschen. Wie auch bei denen ist hier nichts mehr kalkulierbar, aber ich nehme gern noch Wetten an. Und so kann ich nur zuschauen, wie die Lasche reißt und mir einer der Hüte mit den feinen Blätterfasern ins offene Auge fährt und mir jegliche Sicht nimmt. Der andere sticht mir unter der Last des Instruments in den Unterarm, weshalb ich diesen wegziehe und damit dem gesamten Packen freie Fahrt nach unten gebe. Während Hüte, Trommel und eine plötzlich zum Vorschein kommende Kameratasche auf den Boden prallen, springt mich nun mein Rucksack an, den ich, als ich auf den Müllwagen knalle, am Riemen zu greifen versuche. Dummerweise drückt sich die bisher als unproblematisch betrachtete Fechtermuschel mit fröhlichen drei Kilo Kampfgewicht durch den Reißverschluss und landet unsanft auf der Glatze von 19 d. Guten Morgen! Der ist nun wach, aber sowas von. Blutüberströmt schreit der nun alles zusammen. Ich wäre ihm echt dankbar, wenn er sich eine Minute genommen hätte, die Situation mal nüchtern zu analysieren. Hat er aber nicht, obgleich er so schlaftrunken nun wirklich nicht


Скачать книгу