Krampenfieber – Im Fangarm der Pimperbrille. Tobie Schmack

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Krampenfieber – Im Fangarm der Pimperbrille - Tobie Schmack


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guck mal an, DSL wird billiger«, murmele ich vor mich hin, als ich nebenbei einen der Umschläge sichte und plötzlich eine Einladung in die Vergangenheit in der Hand halte: Ehemaligentreffen Abschlussjahrgang ’97? Schon Anfang September, am Ersten!

      »Na super! Was soll ich denn da? Und ausgerechnet jetzt. Feiern? Weltkriegsbeginn sicher nicht, obwohl ich ja gerade genug frische Trümmer ins Haus schleppe. Danke, Dörte!«, reiße ich gedanklich an und komme nicht umhin, mit der Nase hastig umherzuschnüffeln.

      Komisch! Hier riecht’s so merkwürdig neutral? Hat Tacko etwa gelüftet? Nee, das wäre zu abwegig. Hausfrauenarbeit lehnt er kategorisch ab, irgendeine im Internet gefundene Religion würde ihm das streng verbieten. Bestimmt die gleiche, nach der sich gebrauchte Kondome auch in der Wohnung des besten Freundes als Innenraumdeko drapieren lassen. Als Gegenleistung, als ob man sich für die Vernichtung von Zimmerbegrünung noch erkenntlich zeigen müsste, kann er während meiner Abwesenheit hier tun und lassen, was er will. In seiner Welt heißt das, bei Dates, die später nerven könnten, ist das die ideale Alibi-Absteige. Reinkommen, flachlegen und abschieben. Na ja, bisher hat er seinen …

      Ich zucke zusammen, als hätte ich einen Geist gesehen. Der Schreck fährt mir in die Tennisschuhe, prallt in den schweißgefluteten Einlagen zurück, schnellt mir unter mein straßenköterblondes Haupthaar und hinterlässt ein geschocktes Stechen in der Brust. Für einen Moment glaube ich, freien Blick auf die total weiß gehaltene Flurwand zu haben, als ich meinen Blick von der Ladung Post in meiner Hand abwende. Nein, ich glaub das nicht! Muss ich auch nicht, denn ich sehe es. Ich meine, ich sehe da nichts, gar nichts, nicht mal die Ahnung von einem Etwas. Nichts, was steht, hängt oder liegt. Alles leer!

      »Wo ist mein Schuhschrank?«, entfährt es mir. Ja, ich atme es aus, als trete eine neue Eiszeit mit ganzer Macht aus meinen Hirnwindungen hinab in meine Glieder, die sich allesamt zusammenziehen, als müssten sie in der Stunde der nackten Not zusammenhalten. Meine Stimmbänder möchten versagen, aber das Herz gibt sich kämpferisch. »Wo ist das ganze Zeug hin?« Mein Bauhaus-Kunstdruck-Triple, der Wandteppich aus Pamukale und der original Star-Wars-Film-Schnipsel von 1977?

      Und die sauer erstandenen Monster-Movie-Filmplakate, auf denen elegante Sci-Fi-Türme, Panzerkreuzer und ganze Luftwaffenverbände unter gigantischem Geschrei geschlachtet werden? Was habe ich bei Ebay ausgeharrt für jene Frankensteins meiner Kindheit, heimlich aufgesaugt durch das Schlüsselloch zum fernsehgefüllten Wohnzimmer. Poster samt Original-Autogramm aller bereits sicher abgelebten Hauptdarsteller, wenn ich auch zugeben muss, bei Frankenstein selbst immer einen gewissen Zweifel gespürt zu haben, dass so etwas je real existierte. Egal, das waren Erinnerungsstücke. Meine, meine, meine! Allein die Rahmen haben so viel gekostet wie ein halbes Jahr genussvolle Zigarettensucht, der ich als Finanzierungskompromiss danach gänzlich entsagte. Und wo ist meine Vitrine mit der Jahrzehnte aufgebauten und gehüteten Sammlung originaler Ford-Modelle, die Matchbox je rausgebracht hat.

      »Mann, wo sind meine Matchis?«, stammele ich völlig perplex gegen die Raufasertapete und suche weiter nach einem Hauch von eingerichtetem Ich.

      Die Gästehausschuhe, das abgenutzte Schlüsselbrett, die Willkommen-Matte – alles Geschichte. Ich stürze durch den kahlen Flur. Der Schall meiner Schritte bis zur Wohnzimmertür ist das Einzige, was neben mir hier zu finden ist. Ich reiße die abgerundete Klinke nach unten und starre in die gleiche Leere, als hätte ich heute hier den Besichtigungstermin zur Unterzeichnung des Mietvertrages. Vier Wände und kein Halleluja! Ich komme mir vor wie beim Ausverkauf. Selbst die abgrundtief hässlichste Sammeltasse, die ich nur aus falscher Sentimentalität meiner Uroma zuliebe geduldet habe, ist wie vom Erdboden verschluckt. Letzterer auch. Besser gesagt das von mir in mühevoller Kleinstarbeit gesetzte Parkett. War nicht perfekt gelegt, aber meins. Und nun? Ich bin allein, allein … allein … im Zwiegespräch mit dem nackten Estrich, der sich devot vor mir ausbreitet. Fassungslos sacke ich zusammen und der Stress des Rückfluges scheint dagegen so harmlos wie ein Schulwandertag in der ersten Klasse auf den Gipfel des Spitzbergs mit gekochtem Ei und einem fröhlichen Pionierlied auf den Lippen. »SCHEEEIIIISSSEEE!!!«

      »Mensch, Herr Thomas, sinn ja noch da! Dachte schon, Sie sinn schon wech«, brummt eine tiefe Altherrenstimme in die Stille meines ausgeweideten Zuhauses.

      Meine Nase ist schneller als die müden Augen. Und so erkenne ich an der aufdringlichen Zigarrenwolke, dass das nur einer sein kann. Der Meier aus dem Erdgeschoss, nebenbei Hausmeister für die ganze Wohnanlage und Security für die Restmülltonen, sieht viel zu blendend aus in Anbetracht der Situation, in der ich mich befinde. Während er mir freundschaftlich auf die Schulter klopft, zieht er mit der anderen Hand einen Schlüsselbund aus dem von ihm prall ausgefüllten Blaumann.

      »Ich wechsele nur mal ehm de Schlösser. Wissen Se! Is Vorschrift, zur Absicherung für Ihre Nachmieter. Übrijens, Sie hamm echt dolle Kumpels. Machen den janzen Umzuch für Sie. Mann, warn die schnelle. Sollte ’ne Überraschung wer’n, woah! Sauber, nich!«

      »Hä!«, stottere ich und überlege, wo ich mein Handy hingesteckt habe, als würde ich da ein Wörterbuch »Hausmeister – Ich/Ich–Hausmeister« finden.

      Ich verstehe rein gar nichts. Neue Mieter? Überraschung? Und was für Freunde?

      »Ich war doch nur zwei Wochen in der Karibik, hab den Pelz in die Sonne gestreckt und …«

      Meier unterbricht mich mit sanftem Ton, als ich ihm gerade klarmachen will, dass ich nur noch ’ne kalte Dusche will.

      »Und? Wars scheen?«

      »Ja … äh … nein! Das weiß ich noch nicht … Mann, wo sind meine Sachen hin?«, gebe ich mit steigender Unruhe zurück.

      »Keene Ahnung! Sicher in de neue Wohnung. De Jungs hamm den janzen Lkw volljepackt. Also, ich weeß ja nich, wo Sie de Polen herhatten, aber faul warn die Brüder nich. Sacht mer doch so, woah. Mein lieber Scholli, ’ne Fünf-Raum-Wohnung in ’ner Dreiviertelstunde! Respekt, mein Lieber! Kannste echt nicht meckern.«

      Ich hab keine Ahnung, welche verdammte Kamera-Verarsche hier abläuft, aber mir ist absolut nicht danach, hier noch zusätzlich einen Eintrag ins Guinnessbuch der Rekorde für die schnellste Zwangsräumung meines Lebens zu feiern und wiederhole mich: »Wo sind meine Sachen?«

      Meier mit seinen sportlichen hundertzwanzig Kilo ist mittlerweile damit beschäftigt, die Schrauben der Türklinken zu lösen, als ich mich fasse und bestimmt auf ihn zugehe.

      »Äh, das können Sie lassen. Ich ziehe nicht aus. Haben Sie vielleicht mal nur einen kurzen Gedanken daran verschwendet, dass die mir hier alles geklaut haben!«

      Meier guckt mich ungläubig von unten aus der Hocke an.

      »Nee! Wieso? Die war’n doch total nett!«

      Stimmt! Nette Leute klauen nicht. Denn Typen, die Wohnungen ausrauben, tragen ja alle rote Pullover mit ’ner Nummernkombi auf der Brust, Dreitagebart und das fieseste »Hehehe« aller Zeiten im Gesicht. Mensch Meier!

      »Wir sind doch hier nicht in Entenhausen, Mann!«

      Meier, der nun gar nichts mehr versteht und seinen letzten Satz nochmals liebevoll ernüchtert, aber leiser wiederholt, lässt von der aufatmend hochschnellenden Klinke ab. Und als bräuchte ich jetzt noch einen Nachruf für meine tote Wohnung, stammelt der Haus-Hobbit verwirrt in sich hinein. »Na ja, sinn ja nur Sach’n. Kam’mer ja willer koofen, woah! Des Lehm jeht weiter. Hauptsache jesund, wie! Besser de Couch is weg als deene langbeenige Matratze fürs Schlafzimmer.«

      »Was? Meine Matratze ist noch da?«

      Meine Alterherrenwitzsensoren laufen nicht mal mehr auf Standby und so fühlt sich der Meier genötigt, mir den Witz auch noch mit reichlich Nachschlag zu erklären. »Ich meente eigentlich nur, na ja … de hübsche Freundin?«

      Aha! Ja, haha! Köstlich! Ich könnte kotzen vor Freude. Mein gezwungenes Lächeln ist ohne Frage kein Kick-off für eine legendäre Männerfreundschaft, was Meier auch nicht ignorieren kann. »Kam’mer nüschts mach’n. Aber seh’n Ses ma so, in Afrika hamm de Leute nich mal was, was ihnen eener klauen kann.«

      Richtig! Da geht’s mir ja hier eindeutig besser.


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