Krampenfieber – Im Fangarm der Pimperbrille. Tobie Schmack

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Krampenfieber – Im Fangarm der Pimperbrille - Tobie Schmack


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Passagiere einbringt. Wie lange braucht man eigentlich für ’ne Platzwunde! Keine Ahnung, aber die Sitzung hier dauert und dauert. Wenn alle Ärzte so bummeln, muss ich mich nicht wundern, warum die Warteräume aus allen Nähten platzen. Nach einer gefühlten Ewigkeit verzieht sich der Medizinmann wieder in die First-Class-Zone hinter dem tiefblauen Vorhang. Ein bitterer Beigeschmack bleibt mir als Andenken auf der Zunge zurück.

      Das Flugzeug nimmt auf dem Anflug nach Frankfurt noch ein paar unterhaltsame Luftlöcher mit. Der Umstieg in den Luftshuttle nach Berlin bleibt zwischen mir und Delia dagegen äußerst ereignisarm. Wir sitzen wieder am Fenster, zusammen und doch auf dem Weg in verschiedene Welten.

      Berlin gibt sich nassgrau und regnerisch. Willkommen in der Hauptstadt, da wo die Merkel lacht und das Volk arm, aber sexy logiert. Das Gepäckband in der Ankunftshalle wirkt trostlos. Einsam zieht ein bunter Koffer aus Thailand seine Bahnen. Durch eine Lautsprecheransage piepst eine Frauenstimme furchtbar freundlich, dass nun die Koffer unserer Maschine durch die kleine, mit Gummilamellen dekorierte Öffnung einmarschieren. Die Glatzwunde schnappt sich zwei mausgraue Schalenkoffer, seine Frau eine mattbraune Rolltasche. Als sie gehen, nehmen sie wenigstens auch ihre verächtlichen Blicke mit, mit denen sie mich die ganze Zeit dankbar bedacht haben. Völlig entnervt diskutiert Delia mit dem Rollband. Und als ob sie einen besonderen Draht zu ihm hätte, erscheint zu meinem Erstaunen Sekunden später ihr knallroter Koffer, der sich dem mir gewidmeten hingebungsvollen Ignoranzgehabe entsprechend genauso hartschalig gibt. Gerade als ich ihr gentlemanlike zur Hand gehen will, drückt sie mich seitlich weg und zieht ihr Gepäck herunter. Sie klappt den Griff aus, würdigt mich dabei keines Blickes und … geht. Ja, sie geht. Das macht sie doch nicht wirklich, oder?

      »Delia! Jetzt komm schon. Wo willst du denn hin? Ich mein, du kannst uns doch nicht einfach so …!«

      Ja, was eigentlich? Wegwerfen? Aufgeben? Abschreiben? Quatsch, Henry, locker bleiben! Die ist sicher nur sauer wegen der Nummer im Flieger. Ein Blick von ihr lässt mich erschauern und meine Gelassenheit direkt in die Luft jagen. Mann, das wird jetzt aber echt nicht nett. Die wird doch nicht …! Spinnt die jetzt? Junge, wenn du nicht gleich was tust, dann ist das die längste Zeit ein »Wir« gewesen. Ich muss sie rumkriegen. Natürlich muss ich das! Okay, was war das Highlight am Strand? Mach schon, Henry! Hier geht’s doch um Delia, dein Schnuckelschnäuzchen … einfach die bestimmt größte Liebe deines Lebens. Hey, was heißt bestimmt, ganz sicher. Na klar! Wir sind das Paar, für immer und ewig, wie man das eben so ist. Mann, wie billig und abgedroschen das alles klingt. Nein, das will und kann ich ihr so nicht servieren. Das muss krachen, ganz tief drinnen. Ich schließe meine Augen. Junge, mir muss doch was einfallen, bevor sie sich ihre Koffer schnappt und einfach auf und davon ist. Also! Komm schon! Und? Jetzt! Ein verzweifelter Schrei entweicht durch meine weit auseinandergerissenen Lippen.

      »Was uns nicht umbringt, macht uns härter.«

      Autsch! Das … war … nix! Japp! Blödester Spruch ever zum definitiv falschesten Moment. Langsam öffne ich meine Lider und starre direkt auf ihre Hand. Ihr Mittelfinger prangt deutlich vor meiner Nase und zeigt keine erwähnenswerte Regung. Willkommen zurück in Deutschland, wo das klare Wort triumphiert und der unattraktive Dödel ohne Tamtam aus dem Beziehungsamt gejagt werden kann. Der Copy-and-Paste-Minister, der hatte wenigstens noch seinen ganz öffentlichen Zapfenstreich, aber ich fürchte, dass ich das bald selbst wieder aber sowas von allein für mich feiern darf.

      »Hey, Delia, was wird das denn jetzt? Hier? Mit uns?«, frage ich mitleiderregend, nicht ganz ohne provoziert jämmerliche Moll-Note, und muss mich dabei völlig bedeppert anhören.

      Sie neigt ihren schmalen Kopf und schaut mir noch immer regungslos in die Augen, als sie sich anschickt, die Eiszeit über uns auszubreiten. »Schau auf meinen Status bei F...!«

      »Was?«, falle ich ihr komplett orientierungslos ins Wort und bemerke dabei nicht, dass Sie weitergeht, während ich unter der Kälteglocke zu bibbern beginne.

      Was soll ich machen? Das ist doch alles ein bekloppter Scherz. Kein »Komm schon, Henry, wir fahren heim«? Keine Umarmung? Kein »So, und nun sind wir alle mal wieder normal«? Ich soll mich an den Rechner schmeißen und nachlesen, woran ich bei ihr bin? Sag mal, geht’s noch! Scheiß auf das Fratzenbuch! Was haben bloß alle damit? Kann denn keine Sau mehr was sagen, wenn es angebracht ist? Direkt, ungepimpt, einfach analog, ohne dass die halbe Welt mitliest! Das Kofferband leert sich, doch mein Gepäck kann ich einfach nicht entdecken. Delia taucht gerade in eine Menschentraube ein, als ich ihr nochmals nachrufe.

      »Delia!«

      Es bringt nichts. Ein paar Passanten schauen mich blöd an, als hätte ich ihnen frisch verkündet, dass das Ende aller Tage sowas von nah wäre. Da geht sie, meine … was auch immer … zum Taxistand und hebt ihren Arm. Sie winkt. Und winkt. Nur nicht nach mir.

      Das Gepäckrollband bleibt leer und steht nun still. Langsam sacke ich auf der Metallkante ab und rutsche zu Boden. Ich habe doch immer gewusst, was ich wollte. Ich wollte sie, irgendwie bei mir, das musste doch so sein. Das war doch schon immer so. Sie kann jetzt nicht einfach hinschmeißen, sich selbst auf den Markt werfen und mich als Ladenhüter zurücklassen. Das ist sie mir schuldig. Ich meine, alles war klar und wir beide … zusammen und glücklich … aber sowas von zusammen glücklich … mit all unseren Träumen von Haus, Kind und … na eben Pipapo. Glücklich. Glücklich? – Natürlich … glücklich! Na ja, eben was man so erträumt. Mit jeder stummen Wiederholung auf meinen trockenen Lippen wird es blasser, unwirklicher, kälter. Aber es ist doch das, was ich will. Was jeder will. Natürlich nach und nach und wohlüberlegt, nicht überstürzt. All das soll jetzt nicht mehr sein wegen einer lächerlichen Frage nach Chicken or Pasta? Wegen eines blassen Karibikurlaubs und einer klaffenden Platzwunde. Sie hat sich entschieden – allein entschieden. Ich bot ihr blass durchgekochtes Chicken, aber sie verlangte wohl nach unbekannter Pasta. Basta! Mit einem Spontananfall an verletztem Stolz blicke ich ihr verächtlich hinterher. Soll sie doch glücklich werden. Mit mir war sie es wohl nicht. Und ich? War ich es je gewesen? Mein Gepäck hockt in diesem Augenblick, so soll ich später erfahren, übrigens noch in Amsterdam. Meine Klamotten sind also noch kiffen und mich beschleicht ein beschissenes Gefühl, dass nicht nur meine dreckige Wäsche völlig vom Kurs abgekommen ist, sondern auch ich mich gründlich verflogen habe.

      Ich könnte jetzt also gehen und Delia wäre mein persönlicher Hans-Dietrich Genscher, der heute nun zu mir gekommen ist, um mir mitzuteilen, dass meine Ausreise – bei mir will kein frenetischer Jubel einsetzen – aus ihrem Leben bewilligt ist. Da stehe ich also, am Flughafen, ohne Koffer, ohne Freundin und ohne eine Ahnung, was ich eigentlich verloren habe. Mein altes Ich ist noch immer in Punta Cana und schlürft Piña Colada. Mein altes Ich hatte einen klar durchdachten Lebensplan, der wie ein Bordcracker im Nichts zerkrümelt ist.

      BLANKGEZOGEN

      Die Fahrt von Schönefeld nach Hause vergeht wie in Trance. Es ist völlig egal, wann ich daheim ankommen werde. Delia hat wohl schon beim Passieren des Ortschildes unserer in sich selbst zerrissenen Doppelstadt den Landarzt im Social Net gesucht, gefunden und sicherlich zehn Minuten später durchgedated. Und ich würde die Reste aus meinem übersichtlich bestückten Kühlschrank vernichten wollen, nur mager fündig werden und bei bestellter Pizza und Bier vor der inhaltsarmen Glotze versacken. Nein, ich habe es wahrlich nicht eilig und der Shuttle-Chauffeur sicherlich auch nicht. Immerhin habe ich ihm fünfzig Euro extra in die Hand versprochen, wenn er die Klappe halten und einfach über die Autobahn juckeln würde.

      »Willkommen im Land der Frühaufsteher! Ja, ihr mich auch, Leute! Ihr mich auch.«

      Ja, wir in Sachsen-Anhalt stehen früher auf, weil die guten Tage einfach kürzer sind. Allein für diesen Slogan lohnte sich schon die Flucht in den Westen. Noch immer sind es siebenundvierzig Kilometer bis Dessau. Siebenundvierzig Kilometer Abstand vom Heute ohne sie.

      Als ich die Wohnungstür – bepackt mit fälligen Rechnungen und Werbeblättern – mit leisem Knarren öffne, kommt mir nicht der erwartete Duft von verfaulten Zimmerpflanzen und Partymief entgegen. Wann immer ich für längere Zeit nicht zuhause bin, gebe ich Tacko die Schlüssel, damit er sich ums Grün kümmert. Und bisher hatte er nicht den Hauch einer Ahnung,


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