Marivan unter den Kastanienbäumen. H. Ezadi

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Marivan unter den Kastanienbäumen - H. Ezadi


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Eltern nicht böse auf mich waren.

      Am nächsten Tag traf ich Jewad auf der Straße. „Oh, Hussein, ich freue mich, dich wiederzusehen. Wie geht es dir? Was machst du hier? Ich dachte, du bist für mehrere Wochen in diesem Ferien-Camp, und jetzt bist du hier?“

      Ich schüttelte den Kopf und antwortete zerknirscht: „Ja, ja du hast recht, ich bin vorzeitig wieder zurück. Die haben mich und meine Freunde rausgeschmissen.“

      Dich und deine Freunde? Wer sind deine Freunde?“ Mit erstauntem Gesicht wartete Jewad auf meine Antwort.

      Ich sagte: „Jewad, wenn du Zeit hast, erzähle ich dir, was passiert ist.“

      „Ja, natürlich habe ich Zeit, erzähle schon!“

      Dann begann ich von der Reise zu erzählen. Ich sprach von Huschiar, Hossein, Mohamed und den anderen neuen Freunden, die ich kennengelernt hatte. „Jewad, weißt du, trotz dieser kurzen Reise und obwohl man uns rausgeschmissen hat, war es schön und beeindruckend. Ich habe gute neue Freunde gefunden, und noch wichtiger: Ich habe große Städte gesehen und sehr große Straßen, die man dort Autobahnen nennt. Es ist jammerschade, dass du nicht dabei warst. Wärst du mitgekommen, wäre es noch schöner gewesen. Es hätte dir auch gefallen.“

      Jewad lächelte mir zu. „Ja Hussein, ich glaube dir. Eine Reise ist immer gut und man kann viel Neues sehen und neue Erfahrungen sammeln. Aber du weißt doch, dass wir eine arme Familie sind und meine Eltern mir diese Reise nicht erlauben konnten. Ich freue mich, wenn ich während der Sommerferien arbeiten und etwas Geld für Schulsachen sparen kann. Einen Teil gebe ich meinen Eltern für den Haushalt. Du weißt doch, mein Vater verdient sehr wenig, und mein Bruder und ich müssen mithelfen, damit unsere Familie nicht um Hilfe bitten oder gar wie Bettler die Hand aufhalten muss. Es ist ein Geschenk, wenn meine Mutter einmal lächelt, weil ihr Gesicht sonst nur von Sorgenfalten gezeichnet ist. Ich liebe meine Mutter, weil sie für uns Kinder immer das Beste versucht, sodass wir alle zwei Tage eine warme Mahlzeit haben. Auch verstehe ich, dass mein Vater manchmal auf dem Basar trinkt, es sind seine Sorgen, und ich schäme mich dafür. Aber was kann ich schon tun?!

      „Jewad, ich würde auch gern etwas Geld verdienen, aber ich weiß gar nicht, wie und wo ich in den Ferien arbeiten könnte.“ Der Gedanke erschien mir gar nicht so schlecht. Ich sagte: „Auch ich möchte meinen Eltern eine Freude machen und vielleicht heimlich etwas sparen.“

      Jewad kam etwas in den Sinn: „Ich kenne zwei Jungs aus unserer Schule, die arbeiten in einer Autowerkstatt. Die haben von dem Meister viel gelernt und wissen, wie man Autos repariert. Sie lernen, schauen zu und später wollen sie eine eigene Autowerkstatt aufmachen – also später, wenn die Schule beendet ist.“

      Ich hatte Bedenken. „Jewad, ohne Studium können die doch nicht selbständig werden!“

      Jewad war anderer Meinung und erwiderte: „Die können, weil ihnen nichts anderes übrig bleibt, als praktisch zu denken. Meine Freunde können nicht lange auf Kosten ihrer Eltern leben, weil die nämlich arm sind.“

      „Aber auch ich möchte mein eigenes Geld eher verdienen.“ Der Gedanke nahm immer mehr Formen an. „Und weißt du, Jewad, wenn ich einmal eine Freundin habe, möchte ich ihr imponieren und ihr jeden Freitag ein Geschenk kaufen, damit sie mich mag. Danach würde ich sie zum Zarivar-See auf einen Spaziergang einladen und sie küssen. Dann würde ich ihr eine Seerose aus dem See holen und wir würden verliebt, Hand in Hand, um den See wandern. Es wäre mein Traum, einem Mädchen aus Marivan zu gefallen.“

      Jewad hatte mir die ganze Zeit zugehört, ohne mich zu unterbrechen. Nach einer Weile sagte er: „Hussein, ich finde, dein Vater hat recht. Du hast einen sehr guten Vater.“

      „Wie meinst du das?“, fragte ich.

      „Das weißt du ganz genau, mein lieber Freund. Wir Kurden haben keine Möglichkeit, wichtige Beamte dieses Landes zu werden oder gar in ein Ministerium zu gehen. Wir werden doch offensichtlich gehasst, wenn schon unsere Kleidung wie im Camp nicht erlaubt ist. Wir haben in unserem Land niemals eine Chance weiterzukommen.“

      „Aber wir sind stolze Menschen.“

      „Ja, Hussein, das weiß ich auch, aber trotzdem hat dein Vater recht. Du musst lernen zuzuhören und solltest erst dann sprechen. Du hast noch gar nicht begriffen, warum dein Vater recht hat. Er ist ein kluger Mensch und weiß, dass Lernen nicht nur für dich gut ist, sondern auch für unsere Stadt und unser Volk. Nur mit Wissen kann man den Menschen helfen, also den Armen. Nimm doch als Beispiel meinen Vater. Vor lauter Kummer betrinkt er sich dreimal die Woche und wird mit der Schubkarre nach Hause gebracht. So möchte ich in meinem Leben nicht enden.“ Jewad seufzte und sprach weiter: „Mein armer Vater hat nicht studiert und weiß es nicht besser. Er sorgt sich um seine Familie und wie er sie ernähren soll. Dabei sinkt er immer tiefer. Hussein, du weißt es. Ich will nicht so werden wie er, aber er ist mein Vater! Er war doch nie in einer Schule und hat nur einziges Ziel vor Augen: das Überleben. Sonst nichts. Ich wollte dir damit sagen: Nur das Lernen bringt den Menschen weiter. Stell dir vor, du hättest Medizin studiert, dann könntest du Wunder vollbringen, den armen Menschen helfen, gesund zu werden, du könntest Krankheiten bekämpfen, gerade bei den armen Menschen in unserem Volk.“ Als ich nichts auf seine Worte erwiderte, fragte mich Jewad: „Hussein, hast du schon mal von unserem großen Dichter Qaneh gehört und was er in seinen berühmten Gedichten schrieb? Das hörte sich so ungefähr an: Kurden, Kurdistan, steht alle auf, senkt nicht mehr euren Kopf aus Unwissenheit, wir leben im zwanzigsten Jahrhundert. Andere Nationen bereisen die Sterne, fliegen mit Menschen auf den Mond, schicken Satelliten in den Himmel, ergründen andere Planeten. Deshalb müssen wir auch lernen und unser Wissen ständig erweitern. Nur mit Wissen kommen wir weiter oder wir sind verlorene Schafe.“

      „Ja, Jewad, natürlich weiß ich von Mamosta Qaneh. Und ich verstehe, was du meinst. Mein Vater liest manchmal zu Hause aus seinen Büchern. Oft habe ich ihm gelauscht. Ohne Studium kann keiner von uns Politiker werden und für unsere Gerechtigkeit kämpfen. Ohne Wissen kann man nie kämpfen. Das weiß ich auch. Die Machthaber wollen uns in Dummheit hüllen. Nur mit Wissen können wir deren Kampagnen entgegenwirken und kämpfen. Die Machthaber denken ausschließlich an ihr eigenes Wohl und ihren Reichtum und behandeln uns, das Volk, wie eine dumme Viehherde. Aber wir sind es nicht. Ich weiß noch nicht viel über unsere Welt, weil ich noch sehr jung bin. Jedoch bin ich überzeugt, dass es überall auf der Welt gleich funktioniert. Die Menschen arbeiten oft Tag und Nacht, um zu überleben. Sie haben gar keine Zeit nachzudenken. Woher kommt das, warum ist das so? Gott weiß das? Meine Mutter sagt immer wieder, Gott hat das gegeben und das ist das Schicksal für uns Menschen. Aber ich glaube nicht daran, denn jeder hat die Möglichkeit, sein Schicksal selbst in die Hand zu nehmen.“ Jetzt musste raus, was ich schon so lange mit mir herumtrug: „Jewad, bei uns im Land wird gefoltert! Ich habe von einem Beispiel gehört und weiß nicht, wie viele Fälle es in unserem Land noch gibt.“ Das Beispiel von Hajeje ging mir wieder durch den Kopf. Man hatte ihm Finger- und Fußnägel ausgerissen, nur weil er sich nicht in persischer Sprache hatte wehren können. Hajeje würde immer in meinen Gedanken bleiben, ebenso wie die Ungerechtigkeit in unserem Land. Die Würde des Menschen wurde bis auf das Blut verletzt.

      „Oh, Hussein, sehr gut, was du sagst. Diese Reise hat dir offenbar gutgetan. Schön, dass du so denkst. Pass auf, ich mache dir zwei Vorschläge. Ich sorge erstens dafür, dass du während der Ferien eine Arbeit findest, damit du nicht nur etwas Geld verdienst, sondern auch andere Menschen kennenlernst, die sich wie du Gedanken machen und sich sorgen. Sie wissen schon mehr als wir, da sie etwas älter sind. Du solltest mit eigenen Augen sehen, wie hart der Kampf um das Überleben der armen Menschen ist, besonders das der Arbeiter, die tagtäglich für ihren Lebensunterhalt kämpfen und keinen gerechten Lohn erhalten. Zweitens schlage ich dir vor, meine Freunde kennenzulernen. Wir treffen uns dreimal pro Woche, manchmal auch öfter, im Abe Balkis, dem kleinen Kaffeehaus, und spielen Backgammon. Das Spiel ist jedoch nicht das Wichtigste. Wir diskutieren viel. Das Spiel dient dazu, die Neugierigen abzulenken, damit sie sich nicht fragen, warum wir so oft zusammensitzen. Komm doch morgen am Nachmittag dorthin, dann kannst du meine Freunde kennenlernen und selbst von ihnen lernen.“

      Das imponierte mir. Voller Freude gab ich Jewad meine Hand und sagte: „Danke Jewad, du bist


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