Zeitschrift für kritische Theorie / Zeitschrift für kritische Theorie, Heft 36/37. Thomas Jung

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Zeitschrift für kritische Theorie / Zeitschrift für kritische Theorie, Heft 36/37 - Thomas Jung


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Adorno wird das »Bildverbot« ausgeweitet auf die eschatologische Hoffnung wie auf die messianische Utopie. Die jeweilige Begründung lässt es als fraglich erscheinen, ob der theologische Begriff überhaupt angemessen ist. Was die eschatologische Hoffnung betriff, läuft das »Bildverbot«, wie gesehen, auf ein Denkverbot hinaus. Im Hinblick auf die mögliche Zukunft einer klassenlosen Gesellschaft verweist Adorno auf den historischen Materialismus von Karl Marx, der das Bildverbot säkularisiert habe, »indem er nicht gestattete, die Utopie positiv auszumalen.«62 Tatsächlich folgt die Marx’sche Kritik des utopischen Sozialismus einem Motiv, das mit dem Adornos übereinkommt. Es besteht nämlich die Gefahr, beim Entwurf der zukünftigen Gesellschaft nur Ideale der bestehenden auszugestalten, ohne nach dem Zusammenhang dieser Ideale mir der schlechten Wirklichkeit zu fragen. Diese Utopiekritik hat Marx freilich nicht daran gehindert, Prinzipien einer aus der Überwindung der kapitalistischen hervorgehenden Gesellschaft anzugeben. Ihre nähere Ausgestaltung sollte der geschichtlichen Bewegung, welche den jetzigen Zustand aufhebt, überlassen bleiben. Dass eine solche Praxis ohne Antizipationen, Programme und Pläne ebenso wenig auskommt wie ohne Experimente, Fehler und Korrekturen, war ihm selbstverständlich.

      Für Adorno hingegen besteht das eigentliche Problem darin, dass die revolutionäre Arbeiterbewegung gescheitert ist. Dies ist das Problem eines jeden, der an der Analyse des Kapitals festhält und praktische Konsequenzen zu ziehen sucht; Horkheimer und seine Mitarbeiter haben es nur relativ früh gemerkt, schon nach der Konsolidierung der Diktatur Stalins in den 1930er Jahren. Unter diesen Voraussetzungen kann nicht verboten werden, was es nicht gibt: konkrete Antizipationen einer klassenlosen Gesellschaft. Nötig wäre nicht ein Bildverbot über der sozialen Utopie, sondern eine Kräftigung der Phantasie, die freilich nur im Zuge der praktischen Anstrengungen erwartet werden kann.

      Die messianische Tradition bietet ein beeindruckendes Beispiel utopischer Phantasie, die auch heute noch gleichsam als Fundus utopischer Archetypen dienen kann. Indem Adorno sein Bildverbot auf messianische Utopie und eschatologische Hoffnung gleichermaßen erstreckt, drohen die begrifflichen Differenzierungen zwischen beiden verloren zu gehen. Das ist vielleicht der Grund, warum die zentralen messianischen Motive von Gerechtigkeit und Frieden bei Adorno meist nur eine implizite, jedenfalls eher unscheinbare Rolle spielen. Bisweilen ist unklar, ob zwischen sozialer Utopie und Eschatologie überhaupt noch unterschieden werden kann.63 Zwischen befreiter Gesellschaft und der Möglichkeit einer Erfüllung der transzendenten Sehnsucht besteht aber, wenn es diese Möglichkeit überhaupt gibt, ein Bedingungsverhältnis: »Die metaphysischen Interessen der Menschen bedürfen der ungeschmälerten Wahrnehmung ihrer materiellen. Solange diese ihnen verschleiert sind, leben sie unterm Schleier der Maja. Nur wenn, was ist, sich ändern läßt, ist das, was ist, nicht alles.«64

       3.5 Messianische Splitter, Namensprache und Negativität als Spiegelschrift

      Das Motiv der Rettung ist das beherrschende messianische Motiv bei Adorno. Neben ihm, und in entsprechender Verwandlung, gibt es weitere messianische Motive, die mit dem Denken Benjamins in Zusammenhang stehen, an erster Stelle das Motiv des messianischen Splitters. Benjamin bezeichnet das einmalige Verhältnis von Gegenwart und Vergangenheit als Konstellation. In ihrem Erfassen – in der Rettung des unwiederbringlichen Vergangenen – begründet der Historiker »einen Begriff der Gegenwart als der ›Jetztzeit‹, in welcher Splitter der messianischen eingesprengt sind.«65 Bei Adorno nimmt der messianische Splitter die Form einer Spur an, die auf Transzendentes deutet: »Bewußtsein könnte gar nicht über das Grau verzweifeln, hegte es nicht den Begriff von einer verschiedenen Farbe, deren versprengte Spur im negativen Ganzen nicht fehlt.«66 Dieses Motiv korrespondiert mit der objektiven Bedeutung des messianischen Lichts aus dem Schlussaphorismus der Minima Moralia.

      Ein weiteres, von Benjamin geprägtes messianisches Motiv bei Adorno ist das sprachphilosophische. Es muss erwähnt werden, auch wenn sich die Negative Dialektik von ihm distanziert, indem sie von der »Hoffnung des Namens« als einem Vergangenen spricht. Rettung bedeutete bis dahin die Beziehung der Begriffe auf eine bilderlose Wahrheit, die in der Sprache der Namen besteht.67 Die Sprache der Namen, nach Benjamins Trauerspielbuch das intentionslose Sein der Wahrheit, ist in den historischen Sprachen nicht verfügbar. Ihre Idee ist vielmehr abhängig von der biblischen Überlieferung einer adamitischen Sprache, von der Benjamin in dem hier grundlegenden Sprachaufsatz von 1916 schrieb, der Mensch sei der Erkennende in derselben Sprache, in der Gott Schöpfer ist.68 Die Restitution dieser Sprache wäre ein echt messianisches Motiv, das sich vielleicht auch zu Zephanja 3, 9 in Beziehung setzen lässt: »Dann aber will ich den Völkern reine Lippen geben, daß sie alle des Herrn Namen anrufen sollen und ihm einträchtig dienen.« Hermann Cohen kommentiert: »Die Völker haben nunmehr eine Sprache zur Verehrung des Einen Gottes.«69 Auch für Benjamin war die messianische Welt charakterisiert durch eine universale Sprache, in der die rettende Vergegenwärtigung besteht.70

      4. Messianische Motive in der Dialektik der Aufklärung und im Spätwerk Max Horkheimers

      Unverkennbare Zeugnisse des Wirkens messianischer Motive finden sich in Horkheimers Werken aus den 1930er Jahren, soweit ich sehe, nicht. Bei Adorno, der sich schon an Benjamin anschloss, als dieser noch ohne materialistische Vorbehalte Theologie betrieb, verhält sich dies anders. Deshalb mag man vermuten, dass sich die messianischen Motive der Dialektik der Aufklärung vor allem Adorno verdanken. Diese Annahme wird gestützt durch Horkheimers spätere Auskunft, dass der Messianismus für ihn selbst, im Unterschied etwa zu Ernst Bloch, nicht »bestimmend gewesen«71 ist. Allerdings konvergieren einige der eindrucksvollsten Stellen, an denen die Dialektik der Aufklärung für messianische Motive zeugt, mit einem für Horkheimer von früh auf wichtigen Gedanken. Es handelt sich um das messianische Motiv des Naturfriedens und den Gedanken einer Solidarität mit der leidenden Natur.

      Das Eingedenken der Natur im Subjekt, das die Dialektik der Aufklärung fordert und vollzieht, schärft den Blick für den »Drang des Daseins nach seinem Frieden«72. Erkennbar wird »die unendliche Geduld, der nie erlöschende zarte Trieb der Kreatur nach Ausdruck und Licht, der die Gewalt der schöpferischen Entwicklung in ihr selbst zu befrieden scheint«73. Noch in der Qual der gefolterten Leiber erscheint als in ihrer Verneinung die »Freiheit als Bestimmung der Materie«74. An Leid und Tod in der Natur entzündet sich die messianische Phantasie, die Bilder produzierende Kraft des Denkens: »Die Anrufung der Sonne ist Götzendienst. Im Blick auf den in ihrer Glut verdorrten Baum erst lebt die Ahnung von der Majestät des Tags, der die Welt, die er bescheint, nicht zugleich versengen muss.«75

      Während das Motiv der Rettung in der Dialektik der Aufklärung – »der Drang, Vergangenes als Lebendiges zu erretten, anstatt als Stoff des Fortschritts zu benützen«76 – in den diskutierten Thesen Adornos weiter wirkt, tritt in Horkheimers spätesten Äußerungen eine Kritik des Atheismus in den Vordergrund. Die Dialektik der Aufklärung enthält, wenn auch eher versteckt, die These, dass »die Leugnung Gottes in sich den unaufhebbaren Widerspruch [enthält], sie negiert das Wissen selbst.«77 In den 1960er Jahren nimmt die Beschäftigung mit dem Gottesbegriff, bis dahin eher ein Nebenmotiv, bei Horkheimer einen verhältnismäßig breiten – man könnte auch sagen: einen unverhältnismäßigen – Raum ein. Er verweigert ein Bekenntnis zum Atheismus, weil sich über das Absolute überhaupt nichts aussagen lasse,78 und behauptet wie Adorno einen notwendigen Zusammenhang zwischen Wahrheit und Gottesbegriff. »Wahrheit als emphatische, menschlichen Irrtum überdauernde, läßt sich […] vom Theismus schlechthin nicht trennen.«79 Horkheimer formuliert unverschlüsselter als Adorno, aber auch unbekümmerter um mögliche Begründungen. Er meint, auch für die Marx’sche Kapitalismuskritik seien theologische Postulate aus logischen Gründen entscheidend, auch wenn dies Marx selbst nicht bewusst war.80

      Wichtiger als rein theoretisch bezogene Bezugspunkte sind freilich praktisch-moralische. Der Gottesgedanke sei unverzichtbar, weil er für uns die Verlassenheit und Bedürftigkeit der Menschen bewusst macht und so die Bedingung solidarischer Hilfe ist.81 Dieser Gedanke bekennt sich als eine Sehnsucht:

      »Gott als positives Dogma wirkt als trennendes Moment. Die Sehnsucht hingegen, daß die Welt mit all ihrem Grauen kein Letztes sei, vereint und verbindet alle Menschen, die sich mit dem Unrecht dieser Welt nicht abfinden wollen und können. Gott wird so zum Gegenstand der menschlichen Sehnsucht und


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