Zeitschrift für kritische Theorie / Zeitschrift für kritische Theorie, Heft 36/37. Thomas Jung

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sie sich als Illusion erkennen und entweder resignieren oder ihre Energien transformieren. Eine Hoffnung, die keine – wenn auch in wiederkehrendem Zweifel sich bewährende – Möglichkeitsgewissheit hat, ist unmöglich.

      In der Sehnsucht nach dem Absoluten sollten sich nach Horkheimer alle vereinigen, »die den Schrecken der Vergangenheit nicht als endgültig betrachten wollen«83. Dieses Motiv war Horkheimer schon in den 1930er Jahren nicht unbekannt. Auch »seit dem Übergang der religiösen Sehnsucht in die bewußte gesellschaftliche Praxis« lässt sich »das Bild vollendeter Gerechtigkeit«, in dem selbst das vergangene Elende gutgemacht ist, nicht verscheuchen.84 Es gehört aber zu ihm »das zunehmende Bewusstsein der Vergeblichkeit«, jenes Bild ist »Schein«, »Illusion.« Im Unterschied zur Abgebrühtheit, die alles durchschaut und an alles sich anpasst, erkennt das kritische Bewusstsein Horkheimers in jener Illusion eine positive Wirkung. »In einer freiheitlichen Gesinnung bleibt jener Begriff des Unendlichen als Bewußtsein der Endgültigkeit des irdischen Geschehens und der unabänderlichen Verlassenheit des Menschen erhalten und bewahrt die Gesellschaft vor einem blöden Optimismus, vor dem Aufspreizen ihres eigenen Wissens als einer neuen Religion.«85

      Diese Position scheint mir auch nach 70 Jahren noch haltbar. Die religiöse Hoffnung ist vergangen, aber sie bleibt als Erinnerung und soll in dieser Form den Götzendienst jeder Art verhindern. Demgegenüber kann man die Überlegungen der 1960er Jahre nur als eine Theologisierung von Horkheimers Denken bezeichnen. Der Theismus habe »eine neue Aktualität gewonnen.«86 Sie ergibt sich aus der Kritik der autonomen Moral. Der kategorische Imperativ sei durch die Geschichte nicht bestätigt worden87 – als ob er auf eine solche Bestätigung angewiesen sein könnte. Horkheimer ignoriert hier Kants Unterscheidung von technischer und moralisch praktischer Vernunft und meint, dass Vernunft nicht notwendig die Achtung vor dem Menschen als Selbstzweck, sondern ebenso das Gegenteil gebieten könnte.88 Ein ähnlicher Gedanke war schon in der Dialektik der Aufklärung geäußert worden,89 nicht aber die Behauptung, dass zwischen theistischer Tradition und Überwindung der Selbstsucht eine notwendige Beziehung bestehe. Hatte Horkheimer 1936 noch von der »egoistischen Seelenverfassung der meisten Religiösen« gesprochen,90 so gilt ihm nunmehr, fast dreißig Jahre später, Atheismus als Synonym für Unmoral, auch wenn diese sich bei bloß konventionellen Christen findet.91 Er fällt hinter die aufklärerische Position von Kant zurück, dass der Glaube nicht zur Moral, sondern höchstenfalls durch Moral notwendig sei.

      Mit der Abgrenzung vom theologischen Dogmatismus sind solche Standpunkte schwer vereinbar. Horkheimers spätes Denken macht einen widersprüchlichen, im Grunde hilflosen Eindruck. Theismus ja, weil es ohne ihn keine Wahrheit und keine Moral gibt. Aber nein zur Gewissheit des Glaubens, weil sie dogmatisch sein muss und die Menschen trennt. Am äußersten Punkt wird Religiosität definiert als die Sehnsucht nach dem ganz Anderen. Aber in dieser Unbestimmtheit lässt sich keine notwendige Beziehung zu irgendeiner Form von Praxis mehr herstellen, und es bleibt unklar, was für die Theologie noch zu tun sei. Mir scheint noch die Theologisierung von Horkheimers spätem Denken als eine Schwundstufe revolutionärer Hoffnung verstehbar, die sich erst auf die messianische Plötzlichkeit der Befreiung und nun auf den utopischen Traum zurückgezogen hat, der von den Problemen der Verwirklichung, die nur umkämpft sein kann, abgelöst ist:

      »In kühnen Träumen scheint mir, es könnte einmal so werden, daß eine Art mit Theologie verbundener Gesinnung sich entfalte, in der die Menschen es als ihre wesentliche Aufgabe ansehen, zusammenzustehen, damit niemand mehr hungere, damit jeder ein anständiges Heim habe, damit auch in notleidenden Ländern keine Epidemien mehr herrschen. Die Menschen würden versuchen, ihre Probleme als endliche Wesen gemeinsam zu lösen und die Existenz nicht nur länger, sondern auch schöner zu machen. Ja, ich gehe sogar so weit, zu denken, daß sich die Solidarität schließlich sogar auf die anderen Kreaturen ausdehnen könnte.«92

      Welcher Art die Verbindung der Gesinnung mit der Theologie sein soll, bleibt offen. Schon die kantische Position, dass Religion durch Moral notwendig sei, bildete eine Verteidigungslinie, die unhaltbar war. Hält man sich an den Horkheimer der 1930er Jahre, kann »Verbindung mit Theologie« nur so viel bedeuten, dass wir den Gedanken an eine transzendente Macht, die gerecht ist und vom Tod zu erlösen vermag, nicht vergessen sollten. Sobald die utopischen Träume »in die bewusste gesellschaftliche Praxis übergehen«, wird es wieder unwesentlich werden, ob sich mehr als diese Erinnerung mit der moralischen Gesinnung verbindet.

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