Spenglers Nachleben. Группа авторов

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und gleichzeitig die Videokamera als revolutionäres Medium übersehen.« Weswegen, so Kittler, Rumänen in Ostberlin »geradezu tonnenweise«33 Videokameras kauften, sie nach Hause schmuggelten und mit großem Erfolg gegen das Regime einsetzen. Ob das den historischen Tatsachen entspricht, ist zweifelhaft. Hier geht es jedoch um die Grundthese, dass Machthaber sich im technologischen Bereich verhalten wie naive Kriegsgewinner. Ihr Blick ist rückwärtsgewandt, während die Revolutionen, von denen sie entthront werden, die neuesten Medien aufgreifen.

      In diesem Zusammenhang springt Kittler von Ceauşescu und Timişoara zu Hitler und Stalingrad. So wie die polizeidienstliche Erfassung rumänischer Schreibmaschinen Ceauşescu zum Glauben verführte, er habe sein Land im Griff, so erzeugte die ständige telekommunikative Erreichbarkeit seiner Armeen bei Hitler den Eindruck, er habe den gesamten Kriegsraum unter Kontrolle:

      Solange die Funkverbindungen noch stehen, ist der russische Schlamm auf einer bestimmten Ebene weg. Das erzeugt eine virtuelle Machbarkeit – zum grossen Schaden der Panzergruppen selbst. Feldmarschall Paulus war ja bis zum Zeitpunkt seiner Kapitulation noch telefonisch erreichbar.34

      Und nun der Clou: Kittler behauptet nämlich – und ich bin noch auf keinen Text oder Sachverständigen gestoßen, der das bestätigen konnte –, dass niemand anderes als der junge Reinhart Koselleck für die technische Verbindung von Hitler zu Paulus zuständig war. Haut- bzw. hörernah erlebt Koselleck das Verenden der telekommunikativ beflügelten Hybris Hitlers in der unverfügbaren Steppe zwischen Don und Wolga. Se non è vero, è ben trovato: Als Parasit des militärischen Fernmeldewesen belauscht der zukünftige Historiker das kriegsbedingte Auseinanderklaffen von Erwartung und Erfahrung. Der Interviewer ist beeindruckt: »Das ist ja wirklich abgefahren […] Koselleck und General Paulus am Telefon … Das ist nun tatsächlich die perfekte geschichtsphilosophische Konstellation.« Darauf Kittler trocken: »Ja, so wird man Historiker.«35 Quod erat delirandum.

      Hand und Mord: Zur heroischen Evolution

      So wird man als Verlierer Geschichtswissenschaftler (Koselleck), Geschichtsmorphologe (Spengler) oder Geschichtsmythologe (Jünger) – und unter Umständen eben auch militärgeschichtskundiger Medienwissenschaftler. Was die Frage aufwirft, wie Kittler den Zweiten Weltkrieg umschreibt. Doch um ihn nicht in die Nähe von Leuten zu rücken, zu denen er nicht gehört: Umschreibung ist nicht gleich Revisionismus. Es geht wie bei Spengler um eine Ebenenverlagerung, im Verlaufe derer die Beschreibung einer vermeintlich tieferen Ebene mit der Umschreibung der von ihr abhängigen höheren zusammenfällt.

      Ich habe an anderer Stelle näher ausgeführt, wie man die prekäre Rolle des Krieges im Oeuvre Kittlers vermittels eines Tripel-M Schemas analysieren kann: Der Krieg ist bei ihm Motor, Modell und Motivation.36 Motor, weil in den martialischsten Texten der Krieg die Medienentwicklung vorantreibt, und Modell, weil der Krieg auch als Muster und Analogie der Medienentwicklung fungiert. Der Krieg ist sowohl explanans als auch illustrans. Einerseits bestimmen Medien unsere Lage und der Krieg wiederum die Lage der Medien, andererseits bekriegen und überbieten Medien sich in quasi-martialischen Eskalationen, die – ›selbstredend‹ – in Kriegszeiten besonders deutlich hervortreten.

      Wie nicht anders zu erwarten, hat Kittlers These vom martialischen Apriori der Medien ganze Heeresgruppen von sachlichen und empirischen Einwänden gegen sich aufgebracht. Die These ist – wie so manche andere aus seiner Feder – von brachialer Plakativität: Sie ist so wahr, dass sie auch dann wahr bleibt, wenn man sie auf den Kopf stellt, wobei es nach einer Weile schwer fällt, Köpfe und Füße voneinander zu unterscheiden. Das martialische Apriori der Medien vermischt sich mit dem medialen Apriori des Krieges. Lange bevor es zum Gemeinplatz der neuen media militarism studies wurde, hat Kittler darauf hingewiesen, dass Medienfortschritte im Kern Feinderkennungsfortschritte sind. Weder beginnt das erst mit Drohnen und kamerabestückten Lenkwaffen, noch geht es nur um Menschengegner. Van Leeuwenhoeks Mikroskop, um nur eines von unzähligen Beispielen zu erwähnen, erschließt unseren Sinnesorganen unzugängliche Kleinstwelten, und was entdecken wir dort? Allerlei gefährliches Gewimmel, das es zu bekämpfen oder als Waffe gegen andere Mikroskopbesitzer einzusetzen gilt. Medienerweiterung ist Kriegserweiterung. Marshall McLuhan und Carl Schmitt marschieren im Gleichschritt durch die Geschichte: Der Feind ist unsere mediale Expansion als Gestalt.

      Stellt man in diesem Zusammenhang Kittler neben Spengler, so ergibt sich zunächst ein gegenläufiges Bild. Während in Kittlers zunehmend abendländisch proportionierten Altersprojekten der Krieg gegenüber der Liebe und den Göttern in den Hintergrund tritt, rückt in den zunehmend anthropologisch ausgerichteten Zettelkästen des älteren Spengler der Krieg immer mehr in den Vordergrund.37 Der Bismarck-Verehrer Spengler arbeitet an einer Realpolitik oder Realgeschichte der Seele: Was sich in Der Mensch und die Technik und den einschlägigen Notizen der Urfragen andeutet, mutet an wie eine martialische Fassung der Philosophischen Anthropologie. Spengler klingt zuweilen wie Helmuth Plessner oder Arnold Gehlen im Kampfanzug: Der Mensch ist der »freieste, schwächste, unabhängigste, sieghafteste Typus des Lebens«38, das »schwache Raubtier«, er »braucht widernatürliche Mittel – den Intellekt, [die Technik] – um die leibliche Stärke zu ersetzen, und diese Mittel vernichten ihn zuletzt. Kultur, das Künstliche, ist die Waffe des Schwachen gegen die Natur.«39 Das entscheidende Wort ist »Waffe«: Der Ausritt des ex-zentrischen Menschen aus der Natur wird als feindliche Wendung wider die Natur begriffen. Mensch sein heißt, der Welt »als Feind gegenüberstehen.« »Das Leben wird Krieg«,40 wenn nicht gar »ein endloses Morden.« Der Kern dieses Prozesses ist die Koevolution der Hand mit dem, was sie tötungsbereit umgreift: »Hand und Werkzeug entstehen gleichzeitig, bilden sich gegenseitig als eine einzige Waffe.«41

      Spenglers Ausführungen über das gleichzeitige Entstehen von Hand, Gang und Haltung des Menschen lesen sich bisweilen wie eine martialische Version von André Leroi-Gourhans Hand und Wort. Analog zum heroischen Realismus (und zur heroischen Moderne Kittsteiners) entsteht hier eine heroische Evolution, welche die Rückführung der Technik in die Herkunft des Menschen unter der Voraussetzung gestattet, dass diese Technik wesentlich martialischer Natur ist. Wenn unsere Werkzeuge an der Menschwerdung mitarbeiten, dann vor allem in Form von Waffen. Man veredelt die Nicht-Festgestelltheit des Menschen, indem man ihn zum geschichtsfähigen Raubtier höherer Potenz erhebt.

      Hier bestehen grundlegende Unterschiede zwischen Spengler und Kittler, der sich anthropologischen und evolutionären Fragestellungen dieser Art verweigert hat. Doch wie im Falle Heideggers drängt sich der Verdacht auf, dass die Abwehr auch deshalb so lautstark ausfiel, weil sie dazu diente, Ähnlichkeiten zu verdecken.42 Im Kern läuft die Grundthese von Musik und Mathematik darauf hinaus, dass Medien als Tatsachen und Begriff Sinn machen, weil diese Medien zuallererst Sinne machen. In beiden Fällen geht es um feedback-basierte Kulturtechniken der Hominisierung, oder, im Meßkircher Argot gesprochen, es besteht in beiden Fällen eine daseinsrelevante Verbindung von Medienperformanz und Seinsentbergungen. Ob es sich dabei um das Bekriegen von Neandertalern mit Faustkeilen oder das Besingen von Nymphen mit Kytharen handelt, ist zweitrangig. Gerüstetes Herausfordern oder gelassenes Hervorbringen beruhen gleichermaßen auf Medienvollzug.

      Hier müssen wir nachhaken. In Der Mensch und die Technik betont Spengler, dass die Hand als »eine Waffe ohnegleichen in der Welt des freibeweglichen Lebens«

      plötzlich entstanden sein [muss] im Vergleich zum dem Tempo kosmischer Strömungen, jäh wie ein Blitz, ein Erdbeben, wie alles Entscheidende im Weltgeschehen, epochemachend im höchsten Sinne. Wir müssen uns auch darin von den Anschauungen des vorigen Jahrhunderts lösen, wie sie seit Lyells geologischen Forschungen im Begriffe »Evolution« liegen. Eine langsame, phlegmatisch Veränderung entspricht dem englischen Naturell, nicht der Natur.43

      Die Natur ist also ein recht deutscher Gegenstand. Artenvielfalt entsteht nicht, wie in Darwins »Aufstieg des Menschen vom Affen zum Engländer«44, aufgrund einer langsam und gleichförmig verlaufenden, uniformitaristischen Mikroevolution, sondern durch ›plötzliche‹ makroevolutionäre Sprünge. Die Erwähnung Charles Lyells dient dem Hinweis, dass es auch unterhalb von Menschenfüßen und Tierpfoten keineswegs friedlich und gemächlich zugeht. So wie Darwins Evolution der anglophlegmatischen


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