Leise Musik aus der Ferne. Manfred Eisner

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Leise Musik aus der Ferne - Manfred Eisner


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die gelieferten Waren. Er kann auch nicht nur von leeren Versprechungen leben …“

      Hans-Peter bleibt abrupt stehen, wendet sich seiner Frau zu, richtet seinen Zeigefinger auf sie und brüllt sie wütend an: „Das fehlt noch! Du, meine Ehefrau, gibst diesem miesen Kerl auch noch recht? Diesem Petersen?“ Er verlässt das Zimmer mit lautem Schritt, die Tür knallt hinter ihm ins Schloss. Er geht ins Schlafzimmer, um seinen heiligen Mittagsschlaf zu halten. Die Wut, die in seiner Brust kocht, hindert ihn zehn Minuten lang am Einschlafen. Erregt liegt er mit offenen Augen im Bett und blickt stur zur Decke. Allmählich schwinden Petersen, Nachspeise und Ärger. Der Schlaf schleicht sich lautlos ins Zimmer und schließt sanft die Augen des Hans-Peter von Steinberg.

      Das Schweigen im Esszimmer wird erst nach einigen Minuten durch Frau Annette gebrochen. Kopfschüttelnd versucht sie den Ehemann vor der Tochter zu rechtfertigen: „Dein Vater ist so ungehalten, seit er das Gut verloren hat.“ Sie reinigt sich die Zähne mit einem Zahnstocher. Dann fährt sie fort: „Er war eben immer nur an das gute Leben gewöhnt. – Es ist zum Verrücktwerden! Wie soll das nur weitergehen?“

      Tante Therese steht auf. „Ich gehe, um mich fertig zu machen, der Hein wird ja bald kommen.“ Erwartungsvoll wie eine junge Braut geht sie hinaus, um sich das Gesicht zu pudern und Rouge aufzutragen.

      Clarissa und Annette sehen sich einen Augenblick stumm an.

      „Mama …“ Clarissas Stimme ist dünn und gebrochen.

      „Ja, mein Kind?“

      „Was hat der Papa eigentlich gegen mich?“

      „Gegen dich? Wie kommst du nur auf einen solchen Gedanken?“

      Trotz ihrer Anstrengung, nicht zu weinen, kann Clarissa das Herunterkullern einer Träne auf ihrer Wange nicht verhindern. „Ich bemerke das schon seit längerer Zeit. Der Papa sieht mich kaum an, spricht nicht zu mir. Und wenn er überhaupt spricht, dann böse …“ Weitere Tränen folgen der ersten und gleiten am Gesicht hinab.

      „Du musst nicht weinen, Dummerchen. So unwirsch verhält sich der Papa leider zu uns allen.“

      Obwohl sie sich darum bemüht, kann Frau Annette einfach nicht zärtlich sein und ihre Tochter trösten. Ihre unnahbare, derbe Art lässt solche Zeichen der Zuneigung anderen Menschen gegenüber nicht zu.

      Clarissa hat ihren Kopf zwischen den Armen aufgestützt und ihre Tränen benetzen den Armen Ritter auf ihrem Teller. „Ich weiß, der Papa wollte lieber einen Sohn haben.“

      „Lass das, Kind, was soll denn dieses Gerede?“

      „Doch, ich weiß es! Er sagt, die Familie würde aussterben, der Heiko sei ein Taugenichts und ich hätte lieber als Junge geboren werden sollen.“

      „Was hast du nur für dumme Gedanken in deinem Kopf!“

      „Aber ich … Ich trage doch nicht die Schuld, als Mädchen auf die Welt gekommen zu sein!“

      Frau Annette lächelt verlegen. Anstatt Clarissa zu umarmen und ihr mütterlichen Trost zu spenden, ist ihre Art, Liebe zu zeigen, eine ganz andere, eine unauffällige. Sie streichelt ihre Tochter nicht, sie näht ihr schöne Kleider. Sie schließt sie nicht in ihre Arme, sie bringt ihr in den kalten Winternächten ein Glas heißer Milch ans Bett und kuschelt sie in die Federdecke ein, wacht um ihre Gesundheit, gibt ihr Ratschläge. Aber Küsse, Umarmungen … wozu?

      „Kathrein, bitte räume den Tisch ab!“, ruft sie plötzlich.

      Kathrein kommt.

      Frau Annette steht auf und geht in die Küche, während Clarissa am Tisch sitzen bleibt. Kathrein trällert ein Lied, bringt die Teller in die Küche hinaus, kommt zurück und hebt die Tischdecke ab. „Geht das gnädige Fräulein heute ins Kino?“

      Clarissa verneint.

      „Tanzen? Ins Colosseum?“

      „Auch nicht.“

      Kathrein singt weiter, während Clarissa ans Fenster geht und sich die Tränen aus den Augen wischt.

      So ein schöner Sonntag! Sonne über der sonntäglichen Ruhe, stillstehende Schatten, keine Bewegung. Nur dort oben im blauen Himmel dreht ein Raubvogel seine Flugrunden, ohne mit den Flügeln zu schlagen …

      Jetzt ist vollkommene Ruhe. Oldenmoor gleicht einer verlassenen Stadt.

      Der Papa und die Mama halten ihren Mittagsschlaf. Tante Therese liest im Salon eine Zeitschrift und wartet auf ihren Verlobten. Das Hauspersonal hat Ausgang.

      Clarissa geht auf ihr Zimmer und lehnt sich aus dem Fenster. Sie blickt auf die Hagebuttenhecke, in der sich die Vögel laut kreischend und streitend an den reifen, roten Früchten sattfressen. Lieber Gott, denkt sie, gibt es denn nichts Wertvolles in diesem Leben?

      In rascher Bildfolge sausen die bekannten Personen und Szenen, die sie umgeben, durch Clarissas Gedanken: Gesche und Gesine in knallgelben Kleidern, der flötenspielende Onkel Suhl, der grimmige Papa mit seinen Kraftausdrücken, der schläfrige Onkel Johann, die Grimassen des Onkel Ewald, Hein Piepenbrink mit seinem Goldzahn, die ewig gelbliche Haut der Tante Therese, die Schule – ihre Schüler –, Heike, Tante Alexandra, Heiko …

      Ein Hahn kräht in der Ferne. Es gibt also doch noch zwei lebendige Wesen in der Stadt: den Hahn und Clarissas Herz, das wild und heftig schlägt.

      Sie kehrt ins Zimmer zurück. Der Spiegel zeigt ihr ein bekümmertes Gesicht.

      Was nützt ihr dieses hübsche, blaue Kleid? Wozu der Spiegel, das nett eingerichtete Zimmer mit der lustigen Tapete? Und dort, die Blumen? Wozu dient der Drang der Menschen, sich mit schönen Gegenständen zu umgeben? Warum hat man stets den Wunsch, gute Freunde zu haben, inmitten fröhlicher Menschen zu leben?

      Und was bedeutet all dies, wenn die „anderen“ einen einfach nicht verstehen wollen, einem nicht entgegenkommen? Mein Gott! Wenn sie wenigstens jetzt irgendjemanden hätte, einen Freund, um mit ihm zu reden …

      Sie greift zu ihren „Gedichten auf dem Wasser“. Reimer Madrigal kann ihr diesmal auch nicht helfen, er hat keine Antwort auf ihre ungeduldigen Fragen.

      Clarissa öffnet also ihr Tagebuch, um sich wenigstens mit sich selbst zu unterhalten.

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