Das Mitternachtsschiff. Wilfried Schneider

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Das Mitternachtsschiff - Wilfried Schneider


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Dem Sidoner wurden Stallungen, Brauhaus und Speicher bekannt, ohne dass er fragen musste. Der Gewinn überstieg alles bisher Gewohnte. Neferheres sah die gebeugten Rücken zwischen Zaun und Fluss, ein Lächeln glitt über ihr schönes Gesicht.

      »Kainofer, du bist ein kochender Kessel, deine Zahlen sind der Dampf. Udja-horesnet vermag kaum zu atmen. Press Ift-ar nicht in deine Rollen. Zeige das lebende Ift-ar. Ich will meine Zukunft nicht hören, ich will sie sehen. Meine Füße sollen mich überall hintragen. Gehen wir!«

      »Und wo bin ich zwischen den Zahlen?«, fragte Abdi-ashirta.

      »Alles wächst dort, wo die Götter es zulassen.«

      »Dann muss ich zu Bastet flehen!«

      »Sei doch still!«, rief die Frau. »Wie vielen Ungenannten verweigert Bastet deren Bitten. Über den Fischen breiten sich Wasserlinsen aus, Frauen werden nicht schwanger, und Schwangere gebären nicht. Eine Feige ist bereit gelegt und wie diese still ist, soll jener still sein, der sie verzehren wird. Zieh das Schaf an der Mähne, und es geht mit dir.« Noch nie hatte die Frau solch schwere Worte gefunden, der Seefahrer ahnte nicht, dass die traurige Seite ihrer Seele sie gebar. »Die Speisen stehen auf dem Tisch, also iss. Das Wasser im Krug ist frisch, also trink! Was fragst du erst, wer es hinstellte, wenn du hungrig und durstig bist. Gehen wir!« Sie wies den Verwalter an, den Abstand zu vergrößern.

      »Höre meine Worte, Seefahrer. Höre sie, glaube sie, vergiss sie nicht. Ich kenne die hohe Zahl der Iteru nicht, die dein Weg um Libyen misst. Ich weiß nicht, wie viele Male Schemu und Peret wechseln, ehe du wiederkehrst. Man zwingt die Tochter des Nomarchen von Menfe nicht in Fesseln! Mich regiert allein die Vernunft, und der Befehl Pharaos ist vernünftig. Wir sind das lockende Ziel für dein Wagnis, Ift-ar und ich. Um solcher Ziele willen haben Feldherren Schlachten geschlagen. Du wirst mich lieben, und ich werde dir eine Gefährtin sein. Du hast das Wissen eines Schreibers, doch deine Seele ist mir fremd. Die Zeit ist unser Arzt, sie wird heilsam sein, wenn aus Abdi-ashirta Udja-horesnet geworden ist, der Kerifer-Neith dient, dem ich in Liebe zu Kemet verbunden bin.«

      Sie gingen zu Kainofer, der stehen geblieben war und auf ein dachloses Bauwerk deutete. »Das Haus des Herrschers. Aus ihm trägt man Masten und Segel, Sandalen und die Schurze der Armen, vor allem aber Pa-en-per-aa‚ das des Pharao. Die Griechen wandelten das Wort zu Papyrus. Für die Arbeiten braucht es gutes Licht, setzen die Regen ein, wird das Haus verhüllt. Ift-ar ist wichtig. Ift-ar bringt dem Hof, wessen der Hof bedarf.«

      »Ich möchte das sehen«, bat Abdi-ashirta. »Wer je geschrieben hat, kann daran nicht vorbei gehen.« Seine Augen baten Neferheres um Verständnis. Kainofer öffnete die versiegelte Tür. »Geschützt durch das Zeichen des Herrschers«, las er die Inschrift.

      Die Wände maßen drei Ellen, tiefe Nischen waren eingelassen. »Jeder Mann hat seine Arbeit«, erläuterte Kainofer. »Tag um Tag. Einer spaltet das Mark, einer richtet die Streifen, einer netzt sie mit Wasser, einer schlägt die Schichten, einer führt den Polierstein …«

      »… einer schafft die Rollen auf sidonische Schiffe, die Kemets Schatz heimlich den Griechen bringen wie sonst die Katzen«, unterbrach Neferheres den Redefluss und zog den Seefahrer hinüber zu den anderen Werkstätten. »Schau! Sandalen, Bier, Schmuck, Gürtel. Alles!« Sie drehte sich, dass die Tonkügelchen in ihrem Haar den Mann berührten. »Als ob eine Stadt von Ift-ar lebt!«

      »Es lebt eine Stadt von Ift-ar.« Kainofer führte sie zum Geflügelhaus.

      »Verstehst du jetzt, was Necho diese Fahrt bedeutet?«, fragte Neferheres. »Deine Fahrt ward noch nie gefahren, mit solchem Lohn ward noch nie belohnt. Steig mit mir dort hinauf!«

      Sie blickten von einem der Ecktürme in das Land. Ift-ars Grün zog sich in das Delta, als verweigere es sich dem heißen Atem des Sanddrachens. Gott Hapi trug seine Boote zu den Zielen, die wenigen Befehle ihrer Führer brachen kaum die Stille des Mittags.

      »Träumst du, meine Schöne? Beruhige den, der weint, gebieten eure Götter. Werden wir hier in Frieden leben?« Abdiashirta stellte sich die Ausbreitung der Felder vor, auf denen Bursa, die Seestadt, Platz fände. Er sah Neferheres und die vertrauten Barken. War Ift-ar bisher ein Wort, hatte dieser Tag das Ziel zum Leben gerufen.

      »Hathor, stärke mich mit deiner Macht. Es wartet der Lohn eines Gottes.« Das sagte er in einer Sprache des Ostens, die sein Großvater ihn gelehrt hatte.

      Gardisten mit rußgeschwärzten Gesichtern waren über den Abend durch die Gassen gezogen, nun schlief die Stadt hinter verriegelten Toren. Vor dem halb gefüllten Mond stieg der Rauch von Wachfeuern in den Himmel und löschte die Sterne aus.

      Das Fensterleinen war geöffnet, ein Luftzug trug den Duft der Blüten zum Lager, die Neferheres in der Stunde der Rückkehr von Ift-ar auf die Kleidertruhe gestellt hatte. Abdi-ashirta richtete sich auf. Dieser Wind vom Inneren Meer, der über die Lotosblüte nach Menfe wehte, verband die Villa mit Zor, seiner Stadt und mit dem Haus unter der Mauer, von dessen Dach ihm Talaya zugelacht hatte. Die Sehnsucht nach den behüteten Jahren zeigte ihm die Gefährtin der Kindheit als Frau, die er so nie erfahren hatte.

      »Du denkst nicht an mich, mein Seefahrer?«

      »Ich denke an dich, meine Schöne. Es muss einen Gott geben, den ich nicht kenne, der mein Inneres mit Glück erfüllt. Gesegnetes Kemet, dessen Männer von Wesen wie dir geliebt werden.«

      Neferheres beachtete diese Worte nicht. Sie starrte auf die Leinen des Südfensters, dessen Rot sich im Schein der Palastfeuer verstärkt hatte. Sie hörte das Wasser des Brunnens und Merit-Res Lachen, die Uliliya Gesellschaft leistete. »Von heute an wird die Vase nicht leer sein, als Zeichen meines Versprechens, mit dir zu leben.«

      Die Zofe schloss die Tür, mit starken Schritten ging der Soldat davon. Abdi-ashirta fasste nach den Schultern der Frau.

      »Chain! Chain hat geschrien! Hast du sie auch gehört?« Neferheres entglitt ihm. Als sie zurück kam, atmete er wie im Schlaf. Sie ging in ihre Kammer.

      Neferheres Augen folgten den schwarzen Kreisen, die sich auf der gelben Wand zu bizarren Mustern verwirrten. Sie sah auf die Seerosen der bemalten Deckenbalken und öffnete eine der Truhen, die unter dem Schrein Bastets, der Katzengöttin, standen.

      Vorsichtig entrollte sie einen Papyrus und streichelte den rot und gold bemalten Reiter, der einem grüßenden Mädchen Blumen reichte, beugte sich noch einmal über das Behältnis und legte die getrockneten Blütenblätter einer Seerose auf das Bild.

      »Wenn die Soldaten deinen Namen rufen, wird das Toben des Pöbels zum Angstgeschrei«, sprach sie eine alte Inschrift im Herrscherpalast nach. »Hörst du mich Sothur, Held meiner Mädchenzeit, mein Gefährte. Abdi-ashirta von Zor – er sitzt als Gast auf meinem besten Stuhl. Er schläft in einem Zimmer, dessen Tür das Bild der Göttin Wadjet schützt, sein Bett steht auf den Beinen eines Stiers, seine Nahrung ist mit Thymian und Koriander verfeinert, wie mein Vater es wünschte und Pharao es befahl. Aber er ist nur ein Gast, der weiterzieht, sein Weg führt an meinem Herzen vorbei. Ich gehöre nur dir in dieser Welt und in der kommenden anderen. Ich habe zwei Väter in Kemet und gehorche dem einen, der aus dem Willen des anderen spricht.« Sie nahm einen Pinsel, rückte die Lampe zurecht und schrieb:

       Im Totenreich ist man ewig

       Und wer darüber klagt, ist töricht.

       Wer es aber ohne Unrecht getan zu haben erreicht,

       Der wird dort wie ein Gott sein,

       Ungehindert wie die Herren der Ewigkeit,

       Ungehindert wie du und ich, mein Geliebter

      Sie rollte den Text zurück in das Bild, gab alles an seinen Platz und ging zum Fenster. Der Garten schickte kühlende Luft in das Zimmer. Auf den Türmen loderten die großen Wachfeuer, beleuchteten Brunnen und Bänke, die Zeugnisse glücklicher Tage. Die Macht Pharaos brach die Finsternis Menfes, und die Sehnsucht der Frau floh ins Gebet, das ohne Antwort blieb. Der brennende Himmel über Kemets Hauptstadt


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