Das Mitternachtsschiff. Wilfried Schneider

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Das Mitternachtsschiff - Wilfried Schneider


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nach allen, die sich ihnen mehr als drei Schritte näherten. Es war die letzte Nacht der Männer an einem Strand, den sie kannten.

      Abdi-ashirta setzte sich an seinen Tisch, öffnete einen Papyrus und erlebte noch einmal die ersten Tage in Menfe. Erinnerungen drängten in das Geschriebene. Er sah sich in der Kammer von Amasis Herberge, die er kaum verlassen hatte, da er die Schmähungen des Pöbels fürchtete, der unter seinem Fenster zum Vorstadtmarkt zog. Die Untätigkeit dieser Stunden hatte ihn bereit für alles gemacht, das den Aufenthalt in diesem Haus am Hapi beendete.

      Erneut drang Lärm aus den Gassen in den Raum. Peitschenleder klatschte auf die Leiber, Gardisten vertrieben grölende Zimmerleute, die in einer Bierschenke das Ende ihrer Arbeit gefeiert hatten.

      Abdi-ashirta strich mit dem Daumennagel über eine Stelle des Papyrus. Das Wort Ift-ar war größer gesetzt als die anderen. Er hatte die kemetischen Zeichen verwendet. Die Stunden auf dem Landgut waren der Beginn eines Traums gewesen, sie löschten an vielen Tagen die Zweifel in seiner Seele. Er legte sich auf seine Bettstatt und zog die Knie an, der Leib schmerzte. Der Schlaf war geflohen, das Haus schien auf den Lidern zu lasten, er dachte an die morgige Begegnung mit Kerifer-Neith. Die Bilder vorbeziehender Ruderer verließen ihn nicht. Er schuf sich die ruhigen Wasser des Hapi, doch die Fackeln der Straße und die marschierenden Männer verwischten die friedvolle Landschaft.

      Der stumme Morgen verkündete den Tod einer Zeit, die geprägt war vom Lärm der Schiffsbauer und den Geschäften der Händler. Die Bewohner strömten durch die Strandgasse zum Hafen der uralten Siedlung, die aus Nechos Willen zu einer chaotischen Stadt gewachsen war, die vielen ihrer unfreiwilligen Bewohner in zorniger Erinnerung bleiben sollte, war ihnen und selbst den Freien doch nur knapper Lohn bemessen worden, denn die Jahre, die auf Pharao Psammetichs Feldzüge gefolgt waren, sahen das Heer als ein gefräßiges Reptil. Syrische Wachen führten die letzten der Ruderer von der Registrierkammer zum Ufer. Umstehende bedrängten sie mit ihren Rufen.

      »Ihre Gesichter. Guck den, mit dem breiten Kopf. Der grinst vor Freude, bald im Meer zu ersaufen!« Soldaten schoben die Spötter zur Seite, konnten aber nicht verhindern, dass andere in die Menge brüllten. »Der Phenesch soll krank sein. Seht sein Haus! Ein Priester besucht den Günstling.« Eine Peitsche klatschte in das Gesicht des Schreiers. Der Mann rannte davon. »Soldatenpack! Schlägt Kemeten! Prügelt doch die Fremden!« Er fiel auf die Knie uns spie aus.

      »Die Saatzeichen sind längst der Reife gewichen. Bald fällt neuer Emmer in Kemets Erde. Der Tag birgt eine schlechte Nachricht. Du wirst ohne den Abschied des Göttergleichen fahren. Er liegt krank im Palast. Wir bereiten ein neues Hebsed-Fest vor. Die Götter unserer Zeit erlauben es, die Fristen zu verkürzen.« Kerifer Neith fasste den Admiral an den Schultern, wie er es seit den ersten Gesprächen im Delta oft getan hatte. »Höre doch! Ist dir das gleichgültig, weil Neferheres auch heute in Menfe geblieben ist? Die Frau liegt dir als Kette am Hals. Richte den Blick, wohin die Füße dich tragen.« Er scharrte in dem löchrigen Fußboden. »Hier ist kein Ort für Herrinnen.«

      »Ist das jetzt wichtig?« Abdi-ashirta beugte sich aus dem Fenster. Lastträger hasteten mit Proviantkisten vorbei. Am Morgen hatten fünf Sklaven versucht, mit einem Boot nach Osten zu entkommen. Ein Wachschiff verfolgte sie. Die Schreie der Ertrinkenden waren am Ufer zu hören gewesen. Sie hatten sich fallen lassen, bevor die Verfolger sie erreichten, war ihnen doch der Tod gnädiger erschienen, als diese Reise, deren Ziel sie nicht verstanden.

      »Die Hälfte der Besatzung ist unfrei. Wir haben zu viele Unfreie!« Abdi-ashirta stöhnte. »Wie soll ich Libyen mit Sklaven umsegeln?«

      »Mit Sklaven oder gar nicht. Noch in den letzten Dekaden zogen Werber durch dein Phenesch-Land. Was sie am meisten bekamen, waren Unglaube und Spott.«

      »Es gab auch Freiwillige!«

      In den Gefängnissen, dachte der Priester, kein Mann, der bei Verstand ist, geht freiwillig ohne schweren Grund auf diese Fahrt.

      »Finde heraus, warum die Freien als Ruderer mitkamen. Ich habe dich über unsere gemeinsame Zeit beobachtet. Du sprichst mit Untergebenen mehr als nötig. Du bist voller Unruhe. Du lässt andere nicht ausreden. Deine Finger trommeln den Takt der Ruder, auch hier in dieser Hütte. Was ist?«, unterbrach er seine Rede, der Admiral hatte die Hände auf den Leib gehalten. Kerifer-Neith wies auf den Hocker. »Schmerzen?«

      »Euer steinhartes Brot. Ich habe ein Geschwür im Bauch.«

      »Unsere Kräuter werden dich heilen. Sie fressen sogar Geschwüre weg. Vielleicht wird dein Baal dir beistehen.«

      »Baal!« Abdi-ashirtas Lippen zuckten. »Es ist nichts«, beruhigte er den Priester. »Gedanken mit schweren Flügeln. Mein Großvater Samranu kehrte einst mit Drakons Ideen von der griechischen Küste zurück. Gleichheit für alle Freien, forderte er in Zor. Er bekam dafür das Messer. Die Nacht verbarg die Hand, die es führte. Wenn der Löwe umgeht, singt der Vogel nicht. Samranu schrieb in Zors Bibliothek altes Wissen auf neue Tafeln. Ich war ein Kind zu dieser Zeit. Manchmal nahm er mich mit in die Berge zu einer Gemeinschaft von Hirten. Das geschah heimlich, sie war verboten. Der Weise, der sprach, hat Baal als hohlen Gott bezeichnet, geknetet aus Lehm für alle, die ihn brauchen. Wer Besitz hat, stärkt mit Göttern die Gewalt, die ihm den Besitz erhält. Die Gemeinschaft glaubt an eine hohe Macht, die in allem ist, im Inneren der Erde, im Wind und in den Meeren. Sie ist alles, sie erschafft die Welt, bewegt und beendet sie. Mit Baal haben sich die Menschen ihren Gott selbst geformt. Dieser Gott ist tot, der wahre Gott schaffe selber sich die Menschen, so sagen sie in den Bergen. Samranu hat sich später mehr mit euren Gottheiten beschäftigt, vor allem wenn zwei liebevolle kemetische Augen ihn anblickten. Meine Mutter aber lebte für diesen Gott der Hirten, sie betete mit mir zu ihm.«

      »Du denkst viel über unsere Welt nach, du wirst es schwer haben. Ich glaube, Ir-nim muss mit offenen Augen leben.«

      »Wieso Ir-nim?«

      »Ir-nim, Vizeadmiral und dein Vertreter.«

      »Wieso denn er? Der Erhabene hat mir die Wahl überlassen. Ich entschied mich für Zimri-da! Ir-nim, der feiste Bauch mit dem dreimal gelegten Schurz der Vornehmen! Dieser Sidoner hat doch seine kemetischen Jahre in Küchen verbracht. Zimrida hat mein Vertrauen, ich kenne ihn noch von Zor.«

      »Für uns ist Ir-nim der bessere Mann. Er machte sechs Fahrten für den Hof.«

      »Herr! So sieht kein Seefahrer aus. Er kam doch erst in der Siedlung zu uns. Kennt ihn der Pharao?«

      »Der Herrscher über Kemet sieht jeden. Und was sagst du über den Schiffsmeister der Kemet?« Kerifer-Neith entrollte das Verzeichnis der Offiziere. »Hier. Vorgeschlagen von eurem Seefahrtsamt. Guwali aus Sidon. Schau dir später seine Hände an. Sind das die Hände, wie sie ein Schiffsmeister braucht? Und seine Sprache! Ich verstehe die Worte nicht, doch er redet anders als ihr.«

      »Ich habe ihn nicht ausgesucht, das weißt du. Ich lebte mit den Zimmerleuten, nicht bei den Werbern. Meinen Vertreter bestimme ich selbst. So ist es Brauch. Am dritten Tag werden es die Männer wissen.«

      »Eine seltsame Gewohnheit, erst am dritten Tag die Namen der Offiziere zu nennen.«

      »Am dritten Tag ist die Heimat schon weit, die Mannschaft erfährt die Ferne. Es wächst die Achtung vor jenen, die ein Schiff zu führen versuchen, und man begegnet ihnen mit Ehrfurcht.«

      »Also wird Zimri-da das Admiralsschiff führen?«

      »Mit deiner Erlaubnis, Herr.«

      »Zimri-da regiert mit der Peitsche. Sein Gesicht ist verschlossen. Er redet in Befehlen. Ist das so? Du nickst.« Der Priester wartete lange, bevor er weiter sprach. »Handle, wie deine Wahrheit es dich lehrt. Du wirst mit ihr allein sein. Doch schweig über unser Gespräch, schweige vor allem vor Ptahhotep.« Kerifer-Neith tippte auf den Papyrus. »Horudja, der Dolmetscher. Der Kleinste in deiner Flotte. Den hat Neferheres ausgesucht. Er wird dir Freude machen.« Der Priester legte Abdi-ashirta erneut die Hände auf die Schultern. »Du wirst bald gesund sein. Auf der Kemet lagern Kräuter, wie sie nur mehrere Männer tragen können. Nimm das Pulver der Schlafbeere vom Strauch, der durch die Wüste rollt. Kemet


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