Tambara. Heike M. Major

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Tambara - Heike M. Major


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waren Staatsdiener und wurden von den jeweiligen Konzernen angemietet. Der Vorstand schilderte den Bedarf, die Regierung schickte die entsprechend qualifizierten Fachkräfte. Sie konnte man nie ganz sicher sein, ob die Überprüfung tatsächlich nur dem Schutz des Unternehmens diente oder auf diese Weise nicht vielleicht auch firmeninterne Daten die staatlichen Ämter erreichten.

      „Ich hoffe, wir kommen nicht ungelegen“, entschuldigte der Mann die Störung, „aber das Ereignis auf der gestrigen Modenschau hat das Volk von Tambara in Unruhe versetzt. Besorgten Anrufen zufolge wurden in hiesigem Stadtviertel weitere Insekten gesichtet, und wir sind beauftragt worden, der Sache auf den Grund zu gehen. Hat einer von euch etwas Verdächtiges bemerkt?“

      „Nein, mir ist nichts aufgefallen …, dir vielleicht?“, antwortete Reb als Erster und wandte sich an seine Schwester.

      „Nein, absolut nichts“, entgegnete Soul.

      Der Sicherheitsbeauftragte blickte prüfend zu Mortues und Botoja hinüber.

      „Vielleicht irgendwelche dunklen Punkte, die sehr schnell ihren Standort wechseln?“

      „Nicht dass ich wüsste“, antwortete Mortues.

      „Nein, so etwas wäre mir aufgefallen“, bekräftigte Botoja.

      „Wirklich gar nichts?“, mischte sich die Frau ein.

      „Nein, wirklich nichts.“

      „Tut uns leid.“

      „Nein, bestimmt nicht.“

      In diesem Augenblick ertönte irgendwo im Raum ein lang anhaltender, aufdringlicher Summton. Fast gleichzeitig drehten die beiden Angestellten ihre Köpfe in Richtung Schreibtisch.

      „Was war denn das?“, fragte der Mann barsch.

      „Was?“, entgegnete Reb.

      „Na, dieses merkwürdige Geräusch?“

      Mortues, der gerade nervös an seinem Partnerschaftsring drehte, zog geistesgegenwärtig das Kunststoffmetall von seinem Finger und stellte es hinter dem Rücken des Paares mit seiner Schmalseite auf den Boden, gerade noch rechtzeitig, bevor die beiden sich ihnen aufs Neue zuwandten.

      „Es war ein ganz seltsames Geräusch, leise und doch irgendwie kraftvoll“, schilderte der Mann.

      Während sich die Angestellten noch einmal umdrehten, um in den Raum hineinzuhorchen, stupste Mortues den Ring mit der Schuhspitze an, und ganz langsam begann das schwere Metall zu rollen. Noch ein wenig half er nach, dann bewegte es sich von alleine weiter, wurde immer schneller und verursachte fast so ein Geräusch, wie sie es vorher aus der Schublade gehört hatten. Es rollte dem Sicherheitsbeauftragten direkt vor die Füße.

      „Nanu“, sagte dieser und bückte sich instinktiv „hat jemand von Ihnen einen Ring verloren?“

      „Darf ich mal sehen?“, meldete sich Mortues. „Tatsächlich, das ist meiner.“

      Ehe der Mann sich versah, hatte er ihm das Schmuckstück schon aus der Hand gezogen und an seinen Finger zurückgesteckt.

      „Es hat also niemand etwas Verdächtiges bemerkt?“, wandte sich der Angestellte noch einmal an die ganze Gruppe.

      „Nein.“

      „Ich wüsste nicht.“

      „Ich auch nicht.“

      „Nein, nichts Verdächtiges.“

      „Gut, dann wollen wir nicht länger stören.“

      Umringt von den jungen Leuten, begab sich der Staatsdiener in Richtung Ausgang. Man redete noch ein wenig über die Fantasie der Tambara-Bewohner – eine einzige Fliege und schon wurden die Bürger hysterisch, manche Leute waren wirklich zu empfindlich –, dann fiel die Tür hinter dem Paar ins Schloss und die Freunde atmeten erleichtert auf.

      „Meine Güte, das hätte schiefgehen können“, platzte Mortues heraus, nachdem die Schritte auf dem Flur verhallt waren. Mit gesenkten Köpfen trotteten die vier in den Wohnraum zurück.

      „Die Idee mit dem Ring war gut“, lobte Reb. „Aber nun lasst uns überlegen, wo wir das Tier am besten unterbringen.“

      Nur, wo versteckte man eine Fliege? Ein Insekt konnte man nicht einfach abstellen wie eine Maschine. Es würde sich das Fliegen nicht verbieten lassen, und der Summton wäre auch aus der entferntesten Schublade zu hören. Nachdenklich blickten sie sich in dem großen Raum um. Eine Weile standen sie so, dann fiel es ihnen auf. Ungewöhnlich still war es geworden. Zu still.

      „Man hört ja gar nichts“, stellte Botoja fest.

      Reb sprang zum Schreibtisch, öffnete die Schublade, holte das Kästchen heraus und stellte es auf die Tischplatte. Es war leer.

       7

      „Du hättest den Kasten eben nicht mit solcher Wucht in die Schublade werfen sollen. Dabei muss sich der Deckel verschoben haben, und die Fliege ist entkommen.“

      Soul war wütend. Was sollte sie jetzt Sir W.I.T. sagen, wenn er kam, um sein Tier abzuholen? Die Geschwister saßen im Restaurant des Medienkonzerns und diskutierten über das Ereignis des Vortages.

      Die Konzerne der Stadt Tambara förderten durch ein breit gefächertes Freizeitangebot die enge Bindung ihrer Mitarbeiter an den Arbeitsplatz. Restaurants, Fitness-, Schlaf- und Entspannungsräume, Freibäder auf den Dachterrassen, kleine Kinos und Kommunikationsbereiche mit Gesellschaftsspielen gehörten zum Standard jeder Firma und konnten vom Stammpersonal kostengünstig genutzt werden. Die wohl durchdachte Mischung aus Sport-, Unterhaltungs- und Wellness-programmen in unmittelbarer Nähe des Arbeitsplatzes erlaubte eine optimale Nutzung der freien Zeit und hatte die Produktion der Unternehmen um ein Vielfaches gesteigert. Entnervende Fahrten zur häuslichen Wohnung während der Hauptverkehrszeit entfielen, die eingesparte Zeit kam der Erholung zugute und die Möglichkeit, zwischen Einzelkabinen für den Mittagsschlaf, großzügig gestalteten Ruheräumen, deren Liegen mit Kopfreifen für kurzweilige Musik- oder Fernsehsendungen ausgestattet waren, individuellen Trainingsprogrammen zur körperlichen Ertüchtigung und gemeinsamen Spielen in Gesellschaft Gleichgesinnter wählen zu können, entspannte das Verhältnis zu den Kollegen und stärkte darüber hinaus das Zusammengehörigkeitsgefühl innerhalb der Belegschaft. Nur wenig Erziehungsarbeit war nötig gewesen, um einige phlegmatische Naturen davon zu überzeugen, ihre Pausen nicht über Gebühr in die Länge zu ziehen. Die Gewissheit, das Angebot jederzeit in Anspruch nehmen zu dürfen, stimmte versöhnlich und steigerte ganz allgemein die Freude an der Arbeit.

      Gleichzeitig nutzten die Konzerne ihre Räumlichkeiten für hauseigene Werbung. Auch wenn Entspannungszonen, so forderte es das Gesetz, von den schrillen Schriftzügen verschont bleiben mussten, durfte man doch die konzerntypischen Farben in diesen Bereichen einsetzen. Im Ruheraum des Medienkonzerns zum Beispiel unterstrichen mittlere Blautöne in Kombination mit einem spärlich eingesetzten Weiß den Anspruch sachlich kompetenter Medienarbeit.

      Soul studierte die Speisekarte in der Tischplatte. Unschlüssig drückte sie auf einen der Fruchtcocktails und betrachtete das Bild, das sich aus den Schriftzeichen formte. Neben dem Glas erschien ein Ausrufezeichen mit der Angabe des Zuckergehaltes. Vor Kurzem hatte sie ihrem Fingerabdruck einen Grenzwert für „nur kontrolliert zu konsumierende Nahrungsmittelbestandteile“ zugeordnet und wurde nun jedes Mal, wenn sie ein Gericht mit einem höheren Prozentsatz auswählte, daran erinnert. Unmutig tippte sie auf den Apfelsaft, doch wieder erschien das Warnsignal.

      „Wasser tut’s auch“, murmelte sie mehr aus Bequemlichkeit denn aus Überzeugung und orderte noch eine Reisplatte dazu. Indem sie auf das Anforderungssymbol drückte, wurde ihre Bestellung an die Küche weitergeleitet, und der Text auf ihrer Hälfte des Möbels verwandelte sich in ein blau-weiß kariertes Tischdeckenmuster.

      Während Reb noch die Karte unter dem Kunststoffglas durchforstete, schaute Soul sich in dem großen Saal um. Das Restaurant war gut besucht wie immer um diese Tageszeit. Die Angestellten


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