Die Farben des Mörders. Miriam Rademacher

Читать онлайн книгу.

Die Farben des Mörders - Miriam Rademacher


Скачать книгу
einigen Monaten überantwortet hatte, hatte ebenfalls seinen Teil dazu beigetragen. Der Tanztherapiekurs im Altenheim war allerdings meilenweit von allem entfernt, was Colin sich für seine Zukunft wünschte. Doch Wettschulden mussten beglichen werden. Egal, wie unbequem sie auch waren.

      Und so hatte Colin sich der völlig fremden Materie genähert und dabei einen schweren Kulturschock erlitten. Zwar hatte er geahnt, dass Tanztherapie nur ganz entfernt etwas mit dem zu tun hatte, was er unter Tanz verstand, doch das volle Ausmaß der Katastrophe war ihm erst nach einigen kostengünstig erworbenen Lehrvideos und einer umfangreichen Internetrecherche klargeworden. Jetzt zockelte er an zwei Tagen in der Woche mit den vom Alter gebeugten Bewohnern von Hodge House im Kreis herum, schunkelte, klatschte und litt lächelnd zu psychedelischer Musik. Nichts davon hatte seiner Meinung nach etwas mit Tanz zu tun, und auch der therapeutische Effekt erschloss sich ihm nicht. In Colins Augen war Jasper mit dem Malkurs noch viel zu gut weggekommen.

      Lucy, seine wesentlich jüngere Freundin, war hingegen ganz anderer Meinung. »Jasper kann nichts dafür, wenn dir das Tanzen mit den alten Leuten keinen Spaß macht«, sagte sie gerade und rührte in ihrer Kaffeetasse.

      »Das ist kein Tanzen. Das ist Beschäftigungstherapie für debile Bewegungslegastheniker. Und wer bitteschön kann dann etwas dafür, wenn nicht Jasper?«

      »Nur du selbst. Du bist ja auch schuld daran, dass wir jeden Morgen diesen widerlichen Instantkaffee trinken müssen. Wenn du mir erlauben würdest, eine gute Kaffeemaschine anzuschaffen, wäre der Morgenkaffee für uns beide ein Hochgenuss.«

      »Und das sagt die Frau, die ihren Kaffee bisher beim Bäcker in einem Pappbecher erwarb. Hier ist kein Platz für eine Kaffeemaschine«, erwiderte Colin und wies auf die schmale Küchenzeile, die Teil seines Zimmers war. Seines ganzen Lebensraumes. Auch Lucy bewohnte ein solches Einzimmerappartement mit Siebzigerjahrecharme auf dem gleichen Flur. Seit einer Weile überlegten die beiden, wie sie ihre kleinen Haushalte sinnvoll kombinieren könnten. Ihre Hauswirtin Mrs Grey, die das Erdgeschoss bewohnte, stand dieser Idee grundsätzlich positiv gegenüber. Doch noch waren ihnen keine sinnvollen Ideen zur Umgestaltung der Räume gekommen.

      »Die Kaffeemaschine könnte ja bei mir stehen«, fabulierte Lucy weiter. »Meine Küchenzeile könnte die Frühstücksmeile werden. Und deine Küchenzeile stellt abends das warme Buffet.«

      »Überzeugt mich nicht wirklich. Obwohl es natürlich sehr luxuriös klingt, über zwei Küchenzeilen verfügen zu können, ist es aber irgendwie albern, meinst du nicht?«

      »Dann ändere es. Genauso wie diesen Kaffee und deine Tanztherapie!«

      Colin stocherte mit dem Messer im Marmeladenglas herum und attackierte eine unschuldige Erdbeere. »Ich kann das nicht einfach so ändern! Tanztherapie ist nun mal anspruchslos und albern! Meine Güte, Lucy, ich habe mich beim Kindertanz mehr amüsiert, als bei diesem Mist! Bei Ententanz und Sitzboogie gibt es immerhin noch so etwas wie Entwicklungspotenzial! Aber das hier ist einfach nur schwachsinnig! Ich wette, die Tanztherapie wurde von irgendwelchen Hippies im Drogenrausch entwickelt, während sie um Stonehenge herumhopsten. Und dann diese Musik!«

      »Du hast einfach die falsche Einstellung«, erwiderte Lucy mit Nachdruck. »Die falsche Einstellung und den falschen Kaffee.«

      »Nichtsdestotrotz werde ich jetzt nicht mehr die einzige Fehlbesetzung in Hodge House sein. Und ich werde nicht allein mit meinem Schicksal hadern. Glaub mir, das fühlt sich richtig gut an«, sagte Colin und erlegte die Erdbeere mit einem gezielten Stich.

      »Kindereien«, murmelte Lucy und rümpfte die Nase. »Das hat man eben davon, wenn man sich mit einem älteren Mann einlässt. Nahe der Midlifecrisis versuchen die anscheinend nicht einmal mehr, sich wie Erwachsene zu benehmen.« Lucy saß ihm noch eine ganze Weile mit strengem Gesicht gegenüber. Doch dann gab sie auf. Stattdessen zog sie den müden Spaniel an den Vorderpfoten aus seinem Versteck unter dem Sessel hervor und sagte: »Los, du fauler Hund. Wir gehen jetzt Gassi.« Der triefäugige Blick Hueys gab ihr offensichtlich den Rest. Sie stemmte die Hände in die schmale Taille und fauchte los: »Schlechter Kaffee, ein fauler Hund und ein zickiger Mann, das ist mehr als ich um diese Uhrzeit verkrafte. Ich gehe und kaufe mir einen neuen Hut.«

      Entschlossen stand sie auf, strich sich das blonde Haar zurück und das altmodische sonnengelbe Petticoatkleid glatt und stolzierte hocherhobenen Hauptes aus der Wohnungstür, die hinter ihr ins Schloss flog. Wenigstens hatte die Tür wieder eines. Nach seinem mörderischen Abenteuer im Frühsommer hatte es noch Wochen gedauert, bis Colin wieder eine funktionstüchtige Tür sein Eigen nennen konnte.

      Colins Blick haftete noch eine Weile an der geschlossenen Tür. Er war sich ganz sicher, dass Lucy mit mehr als einem Hut heimkommen würde, auch wenn sie nur einen Kopf hatte. Lucy liebte Hüte.

      Lehmbraun

      »Graham Horton! Nicht Graham Norton. Seine ganze Beerdigung lang habe ich den Mann mit dem Talkmaster aus dem Fernsehen verwechselt! Mann, war das peinlich. Und die versteinerten Gesichter der Hinterbliebenen, während alle anderen in ihre Taschentücher glucksten! Was für ein Albtraum. Merk dir das Colin: Man darf den Pfarrer nicht betrunken machen!«

      »Ich schreibe es zur Strafe hundert Mal auf dein Zeichenpapier.«

      »Hast du eine Ahnung, was für einen Kater ich habe? Und warum musste es ausgerechnet ein Malkurs sein? Warum nicht Seilspringen? Darin war ich in meiner Schulzeit ganz gut.«

      »Seilspringen für Senioren. Das nenne ich wirklich innovativ«, gab Colin zur Antwort und umfuhr elegant eine Reihe von Schlaglöchern auf der schmalen Teerstraße vor ihrer Motorhaube. Die gewundene Zufahrt zu Hodge House hatte schon bessere Tage gesehen. Der wendige kleine Seat, den er sich für seine Ausflüge zu dem Seniorenheim von seiner Zimmerwirtin lieh, auch. Doch er erfüllte seinen Zweck und brachte ihn und Jasper ihrem Ziel am Ende der Straße zuverlässig näher.

      »Und was sollte das eigentlich mit der Badehose?«, erkundigte sich Jasper. »Ich hoffe sehr, dass ich nicht auch noch selbst Modell stehen muss!«

      »Das wäre mal etwas Neues für die alten Leutchen: Heute malen wir den Pfarrer in der Badehose! Nein, die Badehose ist für unseren wohlverdienten Feierabend gedacht. Rose Halligan, die Leiterin von Hodge House, erlaubt mir, zu meiner Entspannung das Therapieschwimmbecken im Keller zu nutzen. Ab dem frühen Abend ist dort niemand mehr und das Wasser ist kuschelig warm. Ich dachte, das könnte dir auch gefallen.«

      Jasper schwieg einen Moment und murmelte dann: »Das tut es auch. Ja, das gefällt mir wirklich. Das versöhnt mich schon fast mit dem Malkurs. Wenn mir nur ein gutes Thema für die erste Stunde einfallen würde. Wie lautet ein therapeutisches Thema?«

      »Mach es dir nicht so schwer. Maltherapie ist anspruchsloser als du denkst. Wie wäre es beispielsweise mit blau?«, schlug Colin vor. »Sag deinen Schäfchen, dass sie heute nur Blautöne verwenden dürfen. Weil blau so beruhigend ist.«

      »Genial!« Jasper schlug sich auf die Schenkel. »Und nächste Woche nehme ich dann gelb und übernächste grün und so weiter!«

      »Das könnte dann doch etwas eintönig werden. Im wahrsten Sinne des Wortes«, gab Colin zu bedenken.

      Als sie die nächste Kurve hinter sich gebracht hatten, lag vor ihnen auf einer Anhöhe inmitten grüner Hügel das u-förmige Gebäude namens Hodge House. Ein früher Herbst färbte die Blätter der umstehenden Bäume bereits bunt, doch der Rasen vor dem und um das Gebäude war sauber geharkt worden. Das Gelände rund ums Haus machte einen gepflegten Eindruck. Einen Augenblick lang genossen sie den friedlichen Anblick schweigend.

      »Hodge House ist eigentlich recht hübsch«, bemerkte Colin dann. »Kein großer moderner Kasten. Eher schlicht und übersichtlich gehalten. Ich frage mich allerdings, was die Mauerreste entlang der Grundstücksgrenze zu bedeuten haben. Sie scheinen uralt zu sein.« Er wies mit dem Finger auf schmutzig-gelbe Steinmauern, die wie vereinzelte Zähne aus dem Rasen herausragten.

      »Sind sie auch. Hodge House ist keine dreißig Jahre alt. Es steht auf den Ruinen einer alten Klosteranlage. So ein idyllischer Bauplatz


Скачать книгу