Eine verborgene Welt. Alina Tamasan

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Eine verborgene Welt - Alina Tamasan


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ließ.

      Rangiolf kannte Retasso kaum, aber er mochte seinen Ovatenkollegen und suchte, wann immer es ging, das Gespräch mit ihm. Auch jetzt verlangte es ihm danach, doch er wusste, dass er nicht einfach ungefragt in andere Gespräche hineinplatzen durfte. Er hielt nach Finilya Ausschau und als er sie im Festgetümmel erkannte, rannte er zu ihr.

      Der Festplatz befand sich auf der Lichtung inmitten von Pytheras Eichenhain. Dem Ortskern eines Dorfes gleich fanden hier allerlei Zusammenkünfte statt, in schwierigen Zeiten versammelte und beriet man sich hier. Heute war ein helles Feuer entfacht und rundherum lagen Matten ausgebreitet. In den Zweigen der Bäume hingen bunte Lampions und die Luft war erfüllt vom würzigen Duft delikater Speisen und schmackhaften Branntweins.

      „Komm, mein Lieber, setz dich!“ Die Heilerin wies auf einen freien Platz, der zwar nah am Feuer aber abseits des Trubels lag. „Du hast sicher Hunger. Wahrscheinlich hast du dich die ganze Zeit nur von Feigen ernährt“, lachte Pythera.

      „Apropos Feigen“, fiel Retasso ein, „schade, dass Finilya nicht da ist. Ich habe ihr welche mitgebracht.“

      „Falls du sie nicht triffst, kannst du sie mir oder Rangiolf geben.“

      „Rangiolf? Was hat er mit ihr zu tun? Heiratet er sie etwa?“ Retassos Miene verriet aufrichtiges Erstaunen.

      „Tu nicht so, als hättest du es nicht schon von Anfang an geahnt“, sagte Pythera. „So, wie die beiden bei deinem letzten Besuch miteinander geturtelt haben, war das doch vorauszusehen.“

      „Wie machen sie das denn mit den Ressourcen?“

      „Ich gebe etwas und Rangiolfs Familie auch. Wer mag, kann sich anschließen.“

      „Wo werden sie wohnen?“

      „Sie werden wohl fortziehen. Ich vermute, Rangiolf hat immer noch diese fixe Idee, seinen Freund Sutia im PARK zu besuchen.“ Als er dieses Wort vernahm, verdunkelte sich Retassos Miene.

      „Hätte ich ihm diese Flausen nur nie in den Kopf gesetzt“, flüsterte er und rieb sich müde das Kinn.

      „Sein Freund lebte dort schon, bevor du ihm die Bedeutung dieses Wortes erklärt hast“, antwortete die Heilerin schlicht. „Warte auf mich, ich komme gleich wieder.“ Pythera erhob sich und ging zu den ausgebreiteten Matten, auf denen eine große Vielfalt an Speisen drapiert lag. Nach kurzer Zeit kam sie mit allerlei Köstlichkeiten beladen wieder. „Schau“, sagte sie, „hier habe ich feinen Schnaps für dich und deine Lieblingsspeise, weiches süßes Riàt. Und die Spezialität des Hauses, Pìrcha-füür.“

      „Kiefernrindenkuchen?“ Der Gniri runzelte die Stirn. „Na ja, die Rinde ist nicht giftig, aber sie schmeckt auch nicht besonders, stimmt’s?“

      „Probier sie doch einfach, dann wirst du es merken“, lächelte die Heilerin. Sie legte eine der Köstlichkeiten auf ein großes Blatt und reichte es ihm. Retasso schnupperte neugierig daran, dann schob er sich ein Stück in den Mund und kaute bedächtig.

      „Nicht schlecht“, er leckte sich über die Lippen, „wie TO-FU bei den Menschen. Wenn man es richtig zubereitet, bekommt es Geschmack.“

      „Es gibt wirklich keinen Ort auf dieser Welt, an dem du nicht warst, hm?“ Retasso entging die Wehmut in Pytheras Stimme nicht.

      „Ich ahne, was du damit sagen willst“, sagte er ernst. Pythera nickte.

      „Ja, genau das. Ich bitte dich, die Druidenweihe anzunehmen.“

      „Du kennst meine Meinung dazu“, erwiderte der Ovate trotzig und trank einen Schluck aus der kleinen irdenen Flasche mit dem schmalen Hals. „Ich sehe, du trägst dein schönes Kleid?“

      „Retasso, du lenkst vom Thema ab.“ Pytheras bernsteinfarbene Augen ruhten auf ihm.

      „Ich müsste mehrere Jahre hierbleiben und dir dienen!“ Er seufzte. „Das ist nicht das, was ich will. Ich … will einen eigenen Schüler. Wie du einen hast. Einen, den ich ausbilden kann, du weißt, es gibt von uns Heilern nicht mehr viele. Was meinst du, warum ich so viel reise?“

      „Weil du einen unstillbaren Freiheitsdrang hast, mein Freund“, antwortete die Gniri leise.

      „Ah, komm mir nicht wieder damit. Bei unserer Arbeit geht es um mehr als um Bardengesänge oder Heilsteine für Wehwehchen. Wir wollen die Vereinigung der Naturwesen-Völker bewirken, die nur vereinzelt und weit über das Land versprengt leben. Ein vereinigtes Kaiserreich mit großen Königsgeschlechtern? Das war mal!“

      „Retasso, das Thema hatten wir schon so oft.“ Bitterkeit schwang in Pytheras Stimme mit. „Wie oft habe ich dich gebeten, hierzubleiben und mir zu helfen? Von allen Herren Völkern kommen Leute zu mir, damit ich diese eigenartige Krankheit heile, die alle befällt. Doch das einzige, was ich tun kann, ist, ihre Schmerzen zu lindern. Manche von ihnen kommen heimlich. Verstehst du? Heimlich! Nur weil irgendein Dhàrdhatsfürst zu hochnäsig ist, um seine Untertanen von einer Gniri behandeln zu lassen.“

      „Wenn du ihnen nicht helfen kannst, ist mir das erst recht nicht möglich. Ich brauche einen Schüler, der eine starke Persönlichkeit hat. Es geht mir darum, die Entwicklungen der Zeit zu erkennen und die Menschen wieder an unsere Existenz zu erinnern. Mein Schüler muss sich dafür einsetzen, er soll die Vereinigung der Naturwesenvölker vorantreiben und als Informant für die Menschen fungieren!“

      „So-so, als Informant für die Menschen … Hör dich mal reden, Retasso. Du bist ein Tagträumer und Idealist – und ein Sturkopf!“, antwortete Pythera matt. „Wir sind uns doch selbst nicht mal einig, und dann wollen wir zu den Menschen gehen? Du solltest dich lieber um dein eigenes Fürstentum kümmern, das immer noch in der Verwaltung deines Bruders Ìrtha liegt. Oder um die vielen Kranken, die an meine Tür klopfen.“

      „Mein Fürstentum“, wiederholte Retasso verächtlich. „Ich bin Fürst und Heiler. Ich dachte, sie würden mich deshalb mehr respektieren und mir besser zuhören. Aber weit gefehlt: Ich schaffe es einfach nicht, sie in ihrem Denken zu beeinflussen. Sie denken immer noch wie vor Tausend Jahren, halten sich für die Krone der Schöpfung, dabei sind sie Gniri, Pythera! Gniri, die einst von Dhàrdhatsfürsten versklavt wurden und nur durch Blut und Krieg ihre Ämter erhielten, die damals der wirklichen Krone der Schöpfung vorbehalten waren. Und nun frage ich dich: Wer ist die Krone der Schöpfung? Der Mensch, der zu Milliarden den Erdball bevölkert? Der Gniri? Oder die spärlichen Überreste der königlichen Dhàrdhatsgeschlechter? – Soll Ìrtha das Ding doch haben.“

      „An dem ‚Ding‘, wie du es nennst, hängen aber viele Leben!“

      „Pythera.“ Der Gniri sah auf einmal müde und gebeugt aus. „Versteh mich doch.“ Er nahm ihre Hände und sah sie mitfühlend an. „Ich kenne das Problem der Schwarzen Krankheit, aber ich habe noch kein Heilmittel gefunden. Die einzige Rettung, so besagt Namrahìs Prophezeiung, besteht in einer auserwählten Mischkreatur von Mensch und Naturwesen. Sie kann die Schwarze Krankheit heilen, die ja eine Folge des Weltenbruchs ist, der vor langer Zeit bewirkt hat, dass die Menschen uns vergaßen. Nur solch ein Wesen kann die Welten einen und uns den Kontakt zu den Ur-Ahnen im Jenseits wieder ermöglichen. Die Möglichkeit seiner Existenz will ich nicht bestreiten, nur – ich habe so ein Geschöpf noch nicht getroffen. Also suche ich mir einen Schüler und bilde den dafür aus. Das ist mir lieber, als auf eine Fantasiegestalt aus Prophezeiungen zu warten.“

      „Ich hätte da einen Vorschlag.“ Pythera nahm einen tiefen Schluck aus der Flasche und sah ihn geradezu an. „Geh nach Fisàr Tarà5. Dort triffst du den jungen Parthion.“

      „Parthion?“ Retasso runzelte die Stirn. „Du machst Scherze! Der Kerl ist doch der Sohn der Fürstenfamilie. Seine Eltern wollen ihn auf die Militärakademie schicken. Seine Karriere ist also längst beschlossen!“

      „So, ist sie das?“ Die Heilerin hob ihre buschige Augenbraue. „Bei dir war das auch eine beschlossene Sache oder irre ich mich?“

      „Was willst du mir vorwerfen?“, blaffte Retasso sie wütend an.

      „Gar nichts. Aber


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