Eine verborgene Welt. Alina Tamasan

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Eine verborgene Welt - Alina Tamasan


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bekräftigend, „ich habe eine gute Mischung für dich zusammengestellt.“ Sie hielt Rangiolf den geöffneten Beutel hin.

      „Das sind genau die Richtigen, für jedes Wehwehchen. Ich danke dir. Wann kommst du wieder?“

      „Wenn Retasso kommt“, antwortete Hiara.

      „Retasso?“ Rangiolfs Miene verriet aufrichtiges Erstaunen. „Kommt er uns etwa besuchen?“ Hiara nickte lächelnd und verabschiedete sich.

      „Hey, warte“, rief ihr der Gniri hinterher. „Wann kommt er denn?“

      „Bald“, hörte er sie noch antworten, ehe sie in den Wolken verschwand. Rangiolf starrte noch eine Weile ins Leere, dann besann er sich, kletterte den Baum hinab und eilte zu Gabra. – Der saß vor ihrem Heim auf einem Stein und blickte versonnen in die sonnenbeschienenen Kronen der Bäume.

      „Bin da, bin da“, keuchte Rangiolf und blieb vor ihm stehen, „tut mir leid, ich hatte ganz vergessen …“

      „Ist schon in Ordnung.“ Gabra machte eine wegwerfende Handbewegung und seufzte leise. „Ich sehe schon, deine Raupen waren dir wichtiger als dein alter Herr, hm?“ Er sah seinen Sohn forschend an.

      „Also, Papa, die gute Nachricht ist“, begann Rangiolf sogleich, um Gabra aufzumuntern, „deine Borsten haben dich nicht getäuscht, heute Nacht, wenn der Mond hoch am Himmel steht, ist die Weihe. Pythera sagt, ich soll euch beide mitbringen.“

      „Ehrlich? Das hat sie gesagt?“ Gabras Augen wurden groß und rund. Erstaunen und Freude paarten sich darin. „Das muss ich Yhsa sagen!“ Er erhob sich und war schon dabei, den Stamm der Eiche hochzuklettern, als ihn sein Sohn zurück hielt.

      „Warte!“ Gabra drehte sich um und sah Rangiolf an. Nackte Angst sprach aus seinem Blick.

      „Weißt du, mein Junge“, lächelte sein Vater, „ich lebe mit meinem Weib nun schon länger zusammen als du und ich kann dir sagen: Sie ist stolz auf dich, auch wenn sie es nicht zugibt! Und nun lass mich zu ihr gehen und ihr die gute Nachricht überbringen, und du …“, er sah seinen Sohn eindringlich an, „solltest uns mal über die holde Dame aufklären, wegen der du dich so häufig nachts aus dem Hause schleichst.“

      „Ähm … ich …“

      „Nein, keine Ausreden, mein Junge. Ich rede jetzt mit deiner Mutter und hole ich sie herunter, und du klärst uns auf, wie und was du zu tun gedenkst.“ Rangiolf spürte, wie ihm schwindlig wurde. Er ließ sich auf den Stein sinken, auf dem eben noch sein Vater gesessen hatte und blickte nun seinerseits gedankenverloren in die Kronen der Bäume. Kaum, dass er sich sammeln und eine Aussage zurechtlegen konnte, standen die beiden schon bei ihm. – Yhsa schrie nicht, noch sagte sie etwas. Stattdessen sah sie Rangiolf mit verschränkten Armen an. Ihre Miene war ernst, aber nicht aufgebracht, stellte der Gniri erleichtert fest. Er räusperte sich umständlich.

      „Sie heißt Finilya“, sagte er schließlich langsam, „und ist die Tochter von Rìa und Irukye. Also nicht gerade das, was du dir, Mama, unter einer idealen Ehefrau vorstellst, denn es fehlen ihnen die Ressourcen. Aber ich liebe sie, und ich möchte sie heiraten.“ Während er die Worte aussprach, sah er seine Eltern aufmerksam an. Beide wollten dazwischenreden. „Hört mir zu“, fuhr Rangiolf unvermittelt fort. „Ich werde meine Ovatenweihe erhalten, wie es dir am Herzen liegt, Papa. Und ich werde reisen, wie es ein Ovate tut – aber mit meiner Frau Finilya.“ Eigentlich wusste er gar nicht, ob Finilya mit seiner Entscheidung einverstanden war. Das Gefühl der Zuversicht in seinem Herzen machte ihm jedoch Mut, diese Worte auszusprechen. „Wir werden euch nicht zur Last fallen. Also müsst ihr von Rìa keine Mitgift verlangen, denn er kann sie euch nicht geben. Hiara sagte heute, die Ehe sei besiegelt, und ich möchte ihr glauben. Ich möchte auch, dass ihr heute Nacht zur Weihe erscheint.“ Er sah Yhsa an. Diese rieb sich nervös ihre Hände und blickte zur Seite. Dann nickte sie.

      Während Irukye aufgeregt auf der Kralle ihres Zeigefingers herumkaute, rieb sich Rìa nervös die Hände. Finilya zupfte an ihrem weichen Haar herum. Pythera stand bei ihnen und im Gegensatz zu ihrem sonst schlichten Aufzug, trug sie nun ihr Baumgewand, wie es die Leute ihres Volkes nannten. Es war ein festliches Gewand aus einem dunkelgrünen und braunen Material, verziert mit Eichenblättern, Rindenteilen und Wurzelwerk, die niemals vergingen. Die Gniri erzählten sich, dass sie es einst, als die Bäume noch gesprächiger und beweglicher waren, von einer mächtigen Eiche geschenkt bekommen hatte. Wann und wo das gewesen sein soll, darüber spekulierten sie mehr als über den Namen dieses holden Baumes, der ihr angeblich einst diese hohe Ehre erwiesen hatte.

      Finilya konnte sich daran nicht satt sehen. Wenn Pythera dieses Gewand trug, glich sie einem Falter, der Mimikry betreibt: Sie verschmolz nicht nur mit ihrer Umgebung, sondern auch mit dem Kleid selbst. Sie wurde unsichtbar – und blieb doch sichtbar. Die Gniri trat näher an sie heran und betrachtete die langen schlanken Eichenblätter, die in ihr Kleid eingearbeitet waren. Sie waren frisch und grün und so zart, dass sie einfach nicht an deren Unvergänglichkeit glauben mochte. Dann sah sie an sich herunter und seufzte leise. Ihre eigene kindlich anmutende Nacktheit war eines solchen Anlasses wirklich nicht würdig, aber sie war nun einmal noch nicht verheiratet. Als hätte Pythera ihre Gedanken erraten, griff sie in eine der vielen verborgenen Taschen ihres Gewandes und holte eine kleine Kette hervor. Wie das Kleid selbst bestand sie aus feinem Wurzelwerk und vielen Eichenblättern. In der Mitte prangte als Anhänger eine wunderschöne goldgelbe Eichel.

      „Hier“, sagte sie und hängte sie der jungen Gniri um.

      „Danke“, flüsterte Finilya gerührt. – Als Rangiolf mit seinen Eltern kam und sah, dass nicht nur die Heilerin auf sie wartete, blieb er abrupt stehen, sodass Gabra in ihn hineinlief. Yhsa blieb verwirrt stehen.

      „Finilya …“, flüsterte der junge Mann fast unhörbar. ‚Wer hat ihre Eltern eingeladen?‘, fragte er sich erschrocken.

      „So was habe ich mir schon fast gedacht“, brummte Gabra und kratzte sich seine Armborsten, „schau nur, Yhsa, das sind ihre Eltern.“ Er deutete auf Rìa und Irukye. „Ich glaube“, er leckte sich schmunzelnd die Lippen, „die Auserwählte Rangiolfs ist auch die Auserwählte der Heilerin. Sie will, dass die beiden heiraten.“ Er kicherte leise hinter vorgehaltener Hand. „Also, mein Junge, mach dich auf deine Weihe und auf ein Hochzeitsarrangement gefasst, und du, Yhsa, auch!“ Nun lachte er meckernd.

      „Siehst du? Siehst du? Sagte ich doch!“ Sie kniff ihrem Mann sanft in die Seite. Rìa lächelte spitzbübisch, derweil er die Ankömmlinge neugierig musterte. Dann wanderte sein Blick ebenfalls zur Heilerin.

      „Du bist … eine Spitzbübin!“, rief er ihr zu.

      „Ich weiß“, grinste sie, „ich weiß! Darf ich vorstellen?“, Pythera trat zwischen die beiden Parteien, „Gabra, Rangiolfs Vater und Rìa, Finilyas Vater. Dann Yhsa, Rangiolfs Mutter und Irukye, Finilyas Mutter. Ich habe euch eingeladen, um der Weihe Rangiolfs beizuwohnen und das Arrangement der Ehe zwischen eurem Sohn und eurer Tochter mit einem Handschlag zu besiegeln.“ Endlose Minuten herrschte Totenstille. Rangiolf schluckte trocken. Hilfesuchend sah er zunächst Finilya und dann Pythera an. Die Augen der Heilerin glänzten voller Zuversicht. Gabra und Rìa sahen sich in die Augen und nickten einander zu – und dann kam die lang ersehnte Geste, welche die Ehe offiziell bestätigte.

      „Auf Grund besonderer Umstände sollen die Ressourcen gestiftet werden“, fuhr Pythera fort, „von Rangiolfs Familie, mir selbst und denen, die freigiebige Gemüter sind und etwas dazugeben möchten, damit es ein schönes Hochzeitsfest wird. Dafür, Rìa, gibst du deine Tochter in die Obhut dieses jungen Mannes“, sie zeigte auf Rangiolf, „und du, Gabra, gibst deinen Sohn in die kundigen Hände dieser jungen Frau“, sie wies auf Finilya. „Nach der Eheschließung möge sich das Paar entscheiden zu gehen oder bei uns zu bleiben. Ihr beide …“, sie sah nun die Väter an, „erklärt euch bereit, alles in eurer Macht stehende zu tun, damit sie, im Falle ihres Hierbleibens, nicht heimatlos werden, denn das verdient niemand … Ressourcen hin oder her.“ Die Männer besiegelten Pytheras Bedingungen mit einem Handschlag.

      „Und nun lasst uns zum Zeremonienplatz gehen.“ Sie ging voraus und alle folgten ihr.

      „Warum


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