Eine verborgene Welt. Alina Tamasan

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Eine verborgene Welt - Alina Tamasan


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lächelte.

      „Sie ist in drei Tagen, so lange können wir uns für die Vorbereitungen noch Zeit lassen, oder?“, meinte Pythera.

      „Wenn ich mit anpacke, müssten drei Tage ausreichen, um eine schöne Hochzeit auf die Beine zu stellen“, fügte Retasso hinzu.

      Feste zu feiern, und sei es auch noch so oft, dafür war das Gnirivolk zu haben, und so halfen alle bei der Vorbereitung der Hochzeit mit. Beginnend bei den Bäumen, welche die Elternhäuser von Braut und Bräutigam beherbergten, wurden die Wege bis auf den Festplatz in Pytheras Hain mit bunten Lampions behängt. Jeder einzelne war eine Besonderheit, denn die Gniri besaßen keine Elektrizität und stellten auch keine Kerzen in diese aus hauchfeiner Zellulose gefertigten Behälter. Stattdessen hofften sie, dass sich kleine fliegende Sòumfar dort hinein begeben würden, um ihnen in vielfarbigem Licht zu leuchten.

      Die großen Ohren der Gniri hörten viel, doch war es nicht einfach, das Gepiepse eines dieser kleinen Wesen zu verstehen. Aber das war auch nicht notwendig, sie wussten, dass sich umso mehr einfanden, je mehr Freude sie in den Herzen der Gniri spürten. Deswegen beleuchteten sie die Lampions nur zu den Festen, und das umso zahlreicher, je größer die Vorfreude der Leute von Iàtranür Tarà darauf war.

      „Ich habe es lange aufbewahrt“, sagte Irukye stolz, derweil sie in einer großen alten Truhe herumkramte. „Mèfai würde Augen machen, mein Kind, aber du bist die älteste, du sollst es haben.“ Dann zog sie ein schlichtes, sehr feines Hochzeitskleid hervor. Es war aus hellblau gefärbtem Material, mit dünnen Trägern versehen und am Rücken frei.

      „Vor langer Zeit – ah, meine Güte, ich war noch ein Kind – da kam ein Wandersmann zu uns in den Ort. Er sah sehr arm aus und deshalb haben meine Eltern ihn eingeladen. Wir waren zwar auch nicht reich, aber was wir hatten, teilten wir gern. Er war unser Gast und blieb über Nacht, als er am nächsten Tag ging, sagte er: ‚Dafür, dass ihr so freundlich zu mir wart, möchte ich euch etwas schenken.‘ Er gab uns eine Garnrolle, das Garn der Iàkrafüür8 – es ist sehr wertvoll! Meine Mutter hat daraus dieses Kleid gefertigt, nach Art der hohen Menschenfrauen, allerdings mit einigen Abwandlungen.“ Finilya machte große Augen.

      „Woher wusste deine Mutter denn, wie sich die hohen Menschenfrauen kleiden?“

      „Sie sah es auf einem Bild. Jemand muss es im Wald verloren haben, meine Mutter fand es. Warte, ich zeige es dir, muss es nur suchen.“ Irukye steckte ihren Kopf wieder in die Truhe und kramte darin herum. Dann hob sie eine kleine, grob gefertigte Holzschatulle empor. „Hier ist sie. Komm her, schau, die hohe Menschenfrau“, sagte Irukye und öffnete den Deckel. Dann hielt sie ihrer Tochter ein kleines abgegriffenes buntes Bildchen hin. „Da steht was … kannst du das lesen, mein Kind?“

      „Ähm“, zierte sich ihre Tochter.

      „Komm, Kind, ich weiß, dass du die SCHILDS lesen kannst, dann kannst du auch das. Was steht da?“ Finilya kniff die Augen zusammen und versuchte, die Schrift zu entziffern.

      „Die Zeichen kenne ich“, murmelte sie, „da steht: MARIA, MUTTER GOTTES.“

      „Und was heißt das? Wer ist sie?“

      „Sie heißt wohl Mària9“, grübelte die junge Gniri, „MUTTER, das könnte Mathr10 heißen.“

      „Und das hier?“ Irukye deutete auf das letzte Wort.

      „Hm … Ich weiß nicht, was GOTTES ist, es könnte ein Name sein, wie Mària. Also: Mària, die Mutter von GOTTES. Wenn das, wie du sagst, eine hohe Frau ist, dann muss dieser GOTTES vielleicht ihr Sohn sein. Vielleicht ein hoher Menschenheiler. Und die Menschen ehren sie, weil sie den hohen Heiler geboren hat – so etwas in der Art.“

      „Ah, du bist mein schlaues Kind, ja, das bist du“, sagte Irukye und klopfte ihrer Tochter stolz auf die Schulter. „Und nun lass uns dir das Kleid anlegen.“ Finilya runzelte trotz aller Faszination nun doch skeptisch die Stirn. Sie wünschte sich zwar schon lange etwas zum Anziehen, aber sie hatte an einen bunten Rock gedacht. Was sollte sie denn mit diesem Kleid? Die hohe Menschenfrau hatte so eins getragen – durfte sie sich auf dieselbe Stufe mit dieser heiligen Frau stellen? Finilya behagte das nicht, und außerdem: Eine Gniri in einem Menschenkleid sah bestimmt genauso ungewöhnlich aus, wie … wie … die junge Frau dachte angestrengt nach, aber es fiel ihr kein Vergleich ein.

      „Was ist? Magst du es nicht?“ Aus Irukyes verhärmtem Antlitz sprach Enttäuschung.

      „Doch, Mama, schon. – Aber bedenke doch, ich bin so lange nackt herumgelaufen, dieses hübsche Kleid sieht so eng aus, es zwickt bestimmt – so viel … Garderobe vertrage ich einfach nicht. Hast du nicht einen Rock? Einen schönen bunten Gnirirock?“

      „Den bekommst du auch, später! Eure Ehe steht unter dem Segen der Heilerin. Sie ist eine weise Frau, deswegen darfst du auch das Kleid von Mària tragen. Es ist sehr, sehr wertvoll, wie ich schon sagte …“

      „Ja, ja, aus Baumwolle – gib her, ich ziehe es an.“

      „Wir mussten es etwas korrigieren, also ganz wie das Menschenkleid sieht es nicht aus, weil du ja sehr behaart bist und all das, und die schönen Haare soll man doch sehen, Kind! Auch wenn es mehr sein könnten. Aber das wird ja, spätestens, wenn du ein Kleines auf die Welt gebracht hast … oder im Winter. Du weißt, was ich meine?“, plapperte ihre Mutter aufgeregt. Mit unbeholfenen Bewegungen streifte sich Finilya den Stoff über – und wie sie es befürchtet hatte, es zwickte und ziepte überall. Ihre Brüste fühlten sich in diesem korsettartigen Ding wie abgeschnürt an. Der Rücken war zwar tief ausgeschnitten, aber das täuschte nicht darüber hinweg, dass er für ihre Haarmähne einfach nicht ausladend genug war. Links und rechts beulte sich der Stoff über dem weichen Fell aus. Irukye zupfte hie und da mit kundigen Fingern herum, aber das brachte auch nicht den erwünschten Tragekomfort.

      „Ich würde mich nur zu gerne sehen, Mama, steht es mir? Sag mir, ist es so? Sei ehrlich!“, bat sie ihre Mutter zweifelnd. Die alte Gniri leckte sich schelmisch über die Lippen. Dann ging sie wieder zur alten Truhe und kramte darin herum.

      „Ist zwar nicht groß, aber es zeigt etwas von deiner Schönheit. Als Rìa und ich hierher gezogen sind, habe ich es auf dem Weg gefunden! Schau nur!“ Sie reichte ihrer Tochter einen kleinen zerkratzten Handspiegel. Finilya sah hinein und zuckte erschrocken zusammen. Sie erblickte in einer Klarheit und Schärfe, wie sie es von ihrem Spiegelbild im Wasser nicht kannte, eine Gniri mit großen dunklen Augen und grobporiger graubrauner Haut. „Halte es vor die Stellen des Kleides, die du sehen willst, und schau hinein.“ Finilya tat, wie ihre Mutter ihr geheißen, und begutachtete nach und nach ihre Gestalt im Kleid.

      „Ah“, seufzte sie unbestimmt, derweil ihre Augen über ihre hagere Erscheinung wanderten. Wertvoll hin oder her, sie kam sich einfach verkleidet vor. Sie ließ den Spiegel sinken und nickte ihrer Mutter tapfer lächelnd zu – ‚Kneifen gilt nicht!‘

      Rangiolf ließ sich widerwillig von Gabra die Haare kämmen.

      „Papa“, maulte er, „so was sollte eigentlich Mama machen.“

      „Die hat zu tun, mein Junge, halt still, sonst ziept’s noch mehr.“

      „Aua!“

      „Ich habe gesagt, du sollst stillhalten … so ist es gut, mein Junge, nun bist du bereit für deine Braut – was die Haare anbelangt. Hast du dir die Krallen geputzt? Zeig mal!“

      „Papa, ich bin doch kein kleines Kind. Klar mache ich mir die sauber!“, empörte sich sein Sohn.

      „Ja, ja“, wiegelte Gabra ab und leckte sich aufgeregt über die Lippen. „Warte hier, ich bringe dir was mit.“ Er verließ das Zimmer und kam nach einer Weile mit allerlei Tiegeln bepackt und etwas Dickem unter die Achseln geklemmt zurück. „Diese Weste lässt gut Raum für deine Rückenborsten, ist also sehr bequem. Ich habe sie gut eingefettet, mein Junge, damit sie geschmeidig anliegt. Probier sie an! Ich habe sie schon bei meiner Hochzeit getragen!“, sprach der alte Gniri und zog stolz lächelnd das alte Kleidungsstück unter dem Arm hervor.

      „Aber, Papa, das


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