Eine verborgene Welt. Alina Tamasan

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Eine verborgene Welt - Alina Tamasan


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und wies auf die Lichter in der Ferne, „sie haben es so schön bunt gemacht.“

      „Nur für euch“, antwortete der Ovate. „Oh, wer kommt denn da?“ Als Rangiolf seine zukünftige Frau erblickte, gefiel ihm ihre Erscheinung ausnehmend gut. In dem nach menschlichen Mustern genähten Kleid wirkte sie auf ihn faszinierend und hinreißend. In seinem Herzen entstand das Gefühl einer Vorahnung, die er erst in Worte zu fassen vermochte, als er seiner Geliebten in die Augen sah: Die Verbindung zu den Menschen war von Bestand, trotz des Bruchs der Welten. Vielleicht pflegte so mancher Mensch unwissentlich ebenso die Bräuche aus dem Reich der Naturwesen.

      Finilya musste unwillkürlich lachen. Alle Bedenken, sie könnte in ihrem Kleid lächerlich wirken, schwanden in dem Augenblick, als sie ihrem Bräutigam in die verliebten Augen sah. Das Paar reichte sich die Hände. Verwandte, Freunde und die Gäste applaudierten, gurrten und trällerten in einer einzigen Freudesbekundung. Pythera leitete die Gesellschaft in die Mitte des Festplatzes, wo neben dem Feuer, das leise vor sich hin prasselte, ein großer Baumstumpf lag. Er war mit Intarsien geschmückt und diente als Altar. Neben einer Schale mit klarem Wasser lagen zwei Buchsbaumzweige.

      Finilya spürte Rangiolfs Hand in der ihren, sie zitterte vor Aufregung. Sie drückte ihn und lächelte verlegen. Die Gäste setzten sich auf die Holzkloben, während das Paar vor dem Feuer stehen blieb.

      „Finilya, stell dich links vom Feuer und Rangiolf rechts.“ Die beiden folgten der Anweisung der Heilerin und sahen einander gespannt an.

      „Die Mutter möge euch vereinen im Angesicht der Elemente Luft“, Pythera streckte ihre Arme himmelwärts, „Erde“, sie stampfte mit den Füßen auf, „Feuer“, ihre Handflächen fuhren flüchtig über die züngelnden Flammen, „und Wasser!“ Sie tunkte ihre Finger in das Schälchen und besprenkelte die Stirn von Braut und Bräutigam. „Willkommen im Bund der Ehe. Seid leicht und flexibel wie die Luft, beständig und fruchtbar wie die Erde, leidenschaftlich und innig verbunden wie das Feuer und geht stets im Rhythmus allen Seins wie das Wasser. Ihr seid nun vor der Mutter vereint.“ Sie reichte jedem einen Buchsbaumzweig.

      Die junge Gniri fühlte sich wie im Rausch. Es war ihr, als läge ein geheimnisvoller mystischer Zauber auf ihr. Ihr Herz klopfte vor Aufregung und ihr Verstand schlug Kapriolen: Ja, sie heiratete ihren Rangiolf! Ein Traum wurde wahr! Ohne zu zögern umfasste Rangiolf Finilyas Taille und zog sie zu sich. Dann küssten sie sich. Als sich ihre Zungen im Spiel vereinten, schmeckte sie den Saft jener Paste, die alle Verheirateten genießen durften. Sie begann sanft seinen Mundraum abzulecken und als sie sich von ihm löste, streckte sie ihre nun ebenfalls verfärbte Zunge aus. Ein freudiges Trällern setzte ein, untermalt vom vibrierenden Lärm stampfender Füße und dem Echo klatschender Hände. – Nach und nach verebbten die Jubelrufe. Finilya streichelte sanft Rangiolfs Wange und sagte:

      „Wir gehen neue Wege, du und ich. Von Anfang an fühlte ich, dass wir heiraten werden. Ich sagte es niemandem, denn das wäre ein Verrat an meinen Verstand gewesen, der doch sagte: Das ist ja nicht möglich. Und ich bereue es nicht, ich werde dir folgen, überall hin, wo du hingehst.“ Sie steckte ihm den Zweig in die Brusttasche seiner Weste. Rangiolf lachte. Jetzt verstand er, warum er die Weste trug!

      „Oh“, begann er gerührt, „ich liebe dich, weil du so bist, wie du bist und mit mir diesen Weg gehst. Es heißt, die begehrteste Gniri ist nicht bereit, ihr Heim zu verlassen, da der heimische Baum doch gemütlicher ist – aber du bist anders! Du lässt einen Teil deines Herzens am heimischen Baum und der andere ist immer hier drin.“ Er tippte sich auf die Brust und steckte ihr seinen Buchsbaumzweig ins Haar. Finilya schlang als Antwort ihre langen Arme um seinen Hals und gab ihm einen zärtlichen Kuss auf die Lippen. Jetzt konnten sich die Anwesenden nicht mehr zurückhalten. Sie erhoben sich und überschütteten das frisch getraute Paar mit Freudesbekundungen und guten Wünschen.

      Als sich der größte Tumult gelegt hatte, schmückten einige Männer Finilya mit mehreren Halsketten, die den Wert und die Art der künftigen Brautgeschenke symbolisieren sollten. Auch Gabra legte ihr welche um. Die Anzahl der Heilsteine in ihnen zeigte dem Publikum, wie viel ihm seine neue Schwiegertochter bedeutet, denn sie stellen besonders wichtige und wertvolle Gaben dar. Alsdann stellten sich die Frauen in einer langen Reihe auf und überreichten dem Paar die reellen Gaben.

      Es hatte sich herum gesprochen, dass die beiden nicht im Ort bleiben würden. Also erhielten sie hauptsächlich leichte Geschenke, wie zum Beispiel Werkzeug und Proviant, handliches Geschirr, Kämme und Kleidung, darunter übrigens ein hübscher bunter Rock für Finilya. Die frisch gebackenen Eheleute waren über die Freigiebigkeit der Gäste erstaunt. Mit klopfendem Herzen sahen sie zu, wie zusammen kam, was sie für ihr Nomadenleben brauchten. Schließlich kam Retasso.

      „Das ist für dich!“, er verbeugte sich und überreichte Finilya einen kleinen Beutel. Ein wohlvertrauter Duft stieg ihr in die Nase.

      „Feigen! Du hast mir Feigen mitgebracht! Danke!“, rief sie hocherfreut und nahm Retasso spontan in die Arme.

      „Keine Ursache“, sagte dieser verlegen, während er ihre Umarmung herzlich erwiderte, „ich weiß doch, wie sehr du sie magst.“ Dann trat er auf Rangiolf zu, seine Miene wurde ernst.

      „Für dich habe ich etwas, dessen Sinn sich dir nicht gleich erschließen wird, aber wo du hingehst, könnte es wichtig werden.“ Er holte aus seiner Hosentaschen ein kleines in Leder gehülltes Bündel hervor. Er überreichte es Rangiolf und wartete, dass dieser es öffnete.

      „Was ist das?“, der junge Gniri hielt ihm das bunte Papier ratlos hin.

      „Das ist GELD“, antwortete Retasso knapp.

      „GÄLDE? Was ist das?“ Rangiolf kratzte sich nervös hinter dem Ohr. Irgendwo hatte er dieses Wort schon einmal gehört.

      „Es ist Ufisr bei den Menschen, ein Zahlungsmittel, um etwa Nahrung zu erwerben. Menschen tauschen nicht, sie KAUFEN.“

      „Aber“, rief Rangiolf bestürzt aus, „du denkst doch nicht, dass ich zu den Menschen gehe, um bei ihnen etwas zu … KAUFEN?!“

      „Dein Freund Sutia kennt GELD“, erklärte Retasso geduldig. „Die Gniri im PARK verwenden es auch als Zahlungsmittel. GELD ist in ihren Kreisen sehr wertvoll, denn Gniri können es nur haben, wenn Menschen es verlieren. Je nach Sippe mögen sie lieber die blauen, die braunen oder die grünen Scheine, denn sie wissen nicht, wie viel sie wert sind.“ Rangiolf hörte gespannt zu und machte große Augen.

      „Kannst du mir zeigen, was sie wert sind?“, fragte er.

      „Du kannst die Schrift der Gelehrten lesen?“ – Rangiolf nickte.

      „Gut, ich schreibe dir den Wert der einzelnen Scheine auf, auch jener, die nicht in deinem Besitz sind. Wenn du Sutia besuchst, verrate ihm nicht, dass du welche hast! Tausche sie nur ein, wenn du in höchster Not bist, verwahre sie gut, sonst bist du sie umgehend los!“

      „Du meinst …“ Rangiolfs Miene verriet tiefe Bestürzung.

      „Genau das meine ich“, erwiderte Retasso ernst und verbeugte sich vor ihm. Der junge Mann schaute hilfesuchend zur Heilerin. Diese schenkte ihm ein zuversichtliches Lächeln, trat näher heran und legte beiden eine Hand auf die Schulter.

      „Viel Neues erwartet euch – Gutes und Schlechtes. Nehmt Retassos Aussage als eine Warnung, aber habt keine Angst!“ Sie griff in eine der Taschen ihres Kleids und zog einen Beutel hervor. „Das sind Heilkräuter für die unterschiedlichsten Beschwerden“, sagte sie. „Rangiolf, du wirst dich sicherlich daran erinnern, was Hiara dir sagte, als du ihr die Raupen brachtest.“

      „Sie sagte, sie würde kommen, wenn Retasso hier ist!“

      „Genau!“, antwortete die Heilerin. „Sie wird dir und Retasso Heilsteine bringen. Du brauchst ihr diesmal keine Raupen dafür geben. Ihr teilt euch den Inhalt des Medizinbeutels und die Heilsteine. Verwahrt alles gut! Manch einer wird es begehren, von dem ihr es nicht annehmt!“, riet sie, bevor auch sie sich verneigte. „Nun, meine Freunde“, sie wandte sich an die übrige Gesellschaft, die angesichts dieser neuen und ungewöhnlichen Geschenke still geworden war, „das Fest ist eröffnet!“


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