Der Schattendoktor. Adrian Plass

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Der Schattendoktor - Adrian Plass


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den Weg. Als er sich wieder eingepackt hatte und in der Tür stand, um erneut der Witterung zu trotzen, drehte er sich um und sagte zu mir: »Alice, ich habe unseren gemeinsamen Abend sehr genossen, und besonders das Scrabble-Spiel. Es kann gut sein, dass ich in der nächsten Zeit hin und wieder mal in Eastbourne bin. Dürfte ich mich dann melden, damit wir wieder einmal spielen können? Wenn ich natürlich durch Ihren Anrufbeantworter erfahre, dass Sie sich inzwischen umgebracht haben, wird wohl nichts daraus, aber – nun ja, ich fände es schön.«

       Ich schrieb ihm meine Nummer auf ein Blatt aus dem kleinen Notizbuch auf dem Tischchen in der Diele, und er steckte sie in seine Seitentasche.

       »Danke, Alice. Auf Wiedersehen.«

       Das war’s. Er war weg. Und ebenso weg war, ob Du es glaubst oder nicht, die scharfe Kante meiner Absicht, mir das Leben zu nehmen. Frag mich nicht, warum. Es war einfach so. Seltsam. Irgendetwas in mir hatte zu schweben begonnen. Klarer kann ich es nicht ausdrücken. Nicht zuletzt zeigte sich das darin, dass ich mich nicht mehr so störrisch dagegen gewehrt habe, mir von anderen helfen zu lassen. Wie Du weißt, kommen die wunderbaren Leute von Golden Hands jetzt jeden Tag hierher. Zwei davon, besonders ein Mädchen namens Barbara, sind mir echte Freundinnen geworden. Und Doc hat mich auch wieder besucht. Zwei oder drei Mal seit jenem ersten Abend. Jedes Mal rief er mich vorher an, um zu sagen, dass er in Eastbourne sei, und um sich zu erkundigen, ob ich noch am Leben sein würde, wenn er vorbeikäme. Wirklich witzig. Schöne Begegnungen. Schöne Gespräche. Jede Menge vergrabener Schätze. Und beim Sichten dieser Schätze habe ich manches gelernt, was ich bisher nie gewusst hatte. Du würdest staunen. Ich werde Dich jetzt nicht damit behelligen. Das erzähle ich Dir ein anderes Mal.

       Eine Sache noch. Das letzte Mal, als Doc mich besuchte, gab er mir eine Karte, bevor er ging.

       »Mir kommt da ein Gedanke, Alice«, sagte er. »Hier steht eine Nummer drauf. Es ist nicht meine direkte Nummer, aber die Person am anderen Ende weiß, wie ich zu erreichen bin. Wir haben ja viel über Ihren Enkel geredet. Wenn Sie meinen, es wäre vielleicht gut, wenn wir mal miteinander reden – nun, er darf sich gerne jederzeit melden.«

       Also habe ich das gemacht. Die Karte, die er mir gegeben hat, steckt mit diesem Brief zusammen im Umschlag. Warum ich bis jetzt damit gewartet habe? Ich weiß es nicht. Warum es vielleicht gut für Dich wäre? Keine Ahnung. Ich lasse mich einfach mit der Strömung treiben. Es ist Deine Entscheidung.

       Wahrscheinlich liegen Dir noch zwei letzte Fragen auf der Seele. Warum habe ich Dir nie von Doc erzählt? Ich vermute, weil die Begegnung mit ihm ein ganz besonderes kleines Goldkörnchen nur für mich war. Ich hatte nie damit gerechnet, dass in meinem Leben noch einmal etwas Besonderes passiert. Und da wollte ich, dass es meine Privatsache bleibt. Meine ganz allein. Aber ich habe es sehr genossen, Dir davon zu schreiben. Ich hoffe, Du bist mir nicht allzu böse.

       Die andere Frage habe ich mir selbst schon oft gestellt. Sie betrifft seinen Namen. Was für ein Doktor ist er eigentlich? Ist er überhaupt ein Doktor? Ich bin immer noch nicht dazu gekommen, ihn danach zu fragen. Bis Du diesen Brief bekommst, schaffe ich es vielleicht noch, aber dann werde ich es Dir nicht mehr sagen können. Schau Dir seine Karte an. Du wirst nicht schlau daraus werden. Ging mir jedenfalls so.

       Und das war es dann, Jack. Ich höre jetzt mit meinem Geschwafel auf. Wahrscheinlich bekommst Du diesen Brief erst, wenn ich gegangen bin. Vergiss nicht, dass ich Dich immer lieben werde.

       Deine Oma xxxx

       P.S.: Ich habe gesagt, ich würde Dir ein anderes Mal erzählen, was mit mir passiert ist, aber dazu kommt es vielleicht nicht mehr. Falls Du Doc triffst, frag ihn nach der großen Veränderung, die in meinem Leben plötzlich vorgegangen ist. Er wird wissen, wovon Du sprichst.

      Jack legte das letzte Blatt von Alices Brief nieder und schaute auf seine Uhr. Es war schon spät, und sein Kopf fühlte sich von innen ziemlich übel zerschunden an. Kein guter Zeitpunkt, um sich an die Aufgabe zu machen, die Fäden der Verwirrung und der kindlichen Entfremdung zu entwirren, die sich in seinen Emotionen verknotet hatten. Er beschloss, sich alles für eine Weile vom Leib zu halten und auf dem Laptop eine Episode Miranda zu schauen. Besser als ein Aspirin. Ob er danach schlafen konnte, würde sich schon zeigen.

      Doch vorher noch eine Sache. Er nahm den Umschlag, der Omas Brief enthalten hatte, in die Hand, drückte unten die Seitenkanten zusammen und schüttelte ihn über dem Bett aus. Eine olivgrüne Karte flatterte hinunter auf die Decke. Er nahm sie und betrachtete sie blinzelnd im Licht der Nachttischlampe am Fenster. Zwei Zeilen waren auf der Karte aufgedruckt. Die eine war eine Telefonnummer. Die andere bestand nur aus zwei Worten: DER SCHATTENDOKTOR.

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