Wirtschaft im Kontext. Oliver Schlaudt

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Wirtschaft im Kontext - Oliver Schlaudt


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die – nach dem soeben dargelegten – in die subjektive Gesamteinstellung integriert wird, welche schließlich den ökonomischen Wert ausmacht. John Bellamy Foster vergleicht die Ökonomie mit der mythischen Gestalt des törichten Königs Midas, der sich vom Gott Dionysos ausbedang, dass alles, was er berühre, zu Gold würde – woraufhin er zu verhungern drohte. Ebenso könnten auch die Ökonomen nur schätzen, was ›zu Gold wird‹, nämlich in ökonomischen Wert übersetzt wird und sich in Geld messen lässt.22 Kritiker der Neoklassik zitieren an dieser Stelle gerne die Definition des Zynikers, welche Oscar Wilde 1892 der Figur des Lord Darlington in seinem Drama Lady Windermeres Fächer in den Mund legte:23

      Cecil Graham: Was ist ein Zyniker?

      Lord Darlington: Ein Mensch, der von allem und jedem nur den Preis kennt und nicht den Wert.

      Leider vergessen es dieselben Kritiker, Cecils schlagfertige Antwort zu zitieren:

      Cecil Graham: Und ein Romantiker, mein lieber Darlington, ist ein Mensch, der allem einen übertriebenen Wert beimißt, ohne sich je nach dem gängigen Preis für irgend etwas zu erkundigen.

      Tatsächlich ist erst mit diesem Begriffspaar von Zyniker und Romantiker (cynic und sentimentalist) das Spannungsverhältnis hergestellt, in welchem sich die Diskussion um die Neoklassik in Wirklichkeit bewegt. Besonders deutlich wird sich dies in der Diskussion um die Bewertung von unbezahlter Arbeit und von Ökosystemen niederschlagen, wo die Gefahr des Sentimentalen in der Kritik des Zynischen überall mit den Händen zu greifen ist (↓ 4.3, S. 113, und 5.2, S. 138). Diese Spannung ist um so wichtiger zu registrieren, als wir sie nicht werden auflösen können.

      2.2.4 Interaktion: der Markt

      Spannend wird es eigentlich erst, wenn mindestens zwei der so bestimmten homines œconomici aufeinandertreffen und ein System wechselwirkender Teile bilden. Was wird nun passieren? Gemäß der methodologischen Prämisse muss dies allein aus den dürftigen Spezifizierungen des Rationalitätsaxioms vorhersagbar sein, wie sich auch die Gestalt des Sonnensystems aus den Eigenschaften der rotierenden Massen ableiten lässt.

      Verfügen beide Akteure über eine gegebene Güterausstattung, so werden sie sehen, ob sie nicht ihr jeweiliges Wohlergehen durch entsprechend arrangierten Tausch verbessern können. Sie werden dies so lange verfolgen, bis eine Situation erreicht ist, in welcher sich keiner der Akteure mehr verbessern kann, ohne dass sich ein anderer verschlechtert. Denn so lange diese Situation nicht erreicht ist, gibt es Anreize für alle, zu tauschen, und sobald diese Situation erreicht ist, wird derjenige, der sich verschlechtern würde, den Tausch, der auf gegenseitigem Einverständnis beruhen muss, verweigern. Es ist eine Gleichgewichtssituation erreicht, so wie auch die Planeten schließlich stabile Umlaufbahnen erlangen. Das Gleichgewichtskriterium, dass sich niemand verbessern kann, ohne dass sich ein anderer verschlechtern würde, wird als Pareto-Optimum bezeichnet.

      Gleichgewicht bedeutet in diesem Zusammenhang wohlgemerkt nur, dass bestimmte Variablen einen konstanten Wert angenommen haben, nicht aber, dass das System stillsteht. Die Güter werden in der Regel ja verzehrt und stetig durch neue ersetzt. Im beschriebenen Optimum ist die Distribution der Güterarten über die Individuen lediglich eine konstante, aber die Güter fließen, wenngleich in fixierter Proportion. Auch bedeutet Optimum nicht, dass die Akteure nun zufrieden sind – der homo œconomicus ist prinzipiell nie zufrieden. Er befindet sich im Optimum lediglich in einer Situation, in welcher er sich nicht mehr kraft freien Tauschs verbessern kann. Gleiches gilt auch für jedes mechanische System: Stabilität – und im Grenzfall Stillstand – bedeutet nicht Abwesenheit von Kräften, sondern lediglich Kräftegleichgewicht. Stellt man eine Tasse auf den Tisch, zieht die Schwerkraft weiter an ihr, wird aber durch die elastischen Kräfte der belasteten (und unmerklich deformierten) Tischplatte konterbalanciert. Auch sollte betont werden, dass man nicht allgemein von ›dem‹ Pareto-Optimum sprechen kann. Abgesehen davon, dass es im Allgemeinen immer mehrere Optima gibt, gilt zudem, dass der optimale Endzustand jeweils relativ zum gegebenen Ausgangszustand bestimmt ist. Ein Pareto-Optimum ist der Idealzustand unter gegebener Ausgangsverteilung der Güter.

      Der Markt als Ort des Güterverkehrs, wie er hier zugrundegelegt wurde, entspricht freilich nicht ohne Weiteres dem realen Markt, sondern ist vielmehr durch einige idealisierende Hauptannahmen charakterisiert:

      1 vollständige Konkurrenz (perfect competition) mit atomisierter Marktstruktur (keine Monopole);

      2 Markttransparenz, d. h. vollständige Information (perfect information) der Marktteilnehmer über Angebot, Nachfrage, Qualität usw.;

      3 vollständige Verträge (complete contracts), in welchen alle Bedingungen spezifiziert sind.

      Diese Idealisierungen werden explizit und in vollem Bewusstsein als solche gesetzt. Auch sind Idealisierungen in allen empirischen Wissenschaften gang und gäbe. Diese Stelle der Theorie ist also weder für eine innerdisziplinäre noch eine philosophische Kritik sehr aufregend. Für unser Anliegen sind diese Idealisierungen interessant, sofern sie eine Grenzfläche verdecken. Unvollständige Information beispielsweise kann ein Ausdruck und Mittel von Machtungleichheiten sein. Der Begriff der Machtverhältnisse ist aber ein soziologischer, und in diesem Sinne verdeckt die Fiktion des perfekten Marktes eine Grenze zur Gegenstandssphäre der soziologischen Untersuchung (dazu später mehr, ↓ 3.4, S. 86).

      Man beachte, wie abschließend bemerkt werden sollte, dass sich auf dem (idealen) Markt das Pareto-Optimum immer von allein und zwangsläufig einstellen wird. Dies ist auch die Aussage des sog. Ersten Wohlfahrtstheorems. Hierin gründet der tief verwurzelte Glaube, dass jeder Eingriff in den Markt, insbesondere von staatlicher Seite, zwangsläufig schädlich sein wird, da der gestörte Markt das Pareto-Optimum unweigerlich verfehlen muss und sodann nur einen global schlechteren Zustand erreichen kann. Die Lehre vom Pareto-Optimum ist die moderne Fassung der »unsichtbaren Hand«, als welche Adam Smith den Mechanismus beschrieb, wonach das allgemeine Wohl befördert wird, indem jeder nach seinem eigenen Gewinn strebt.24 Die Rolle der Institutionen muss sich in diesem Bild umgekehrt darauf beschränken, ein Marktversagen (market failures) zu korrigieren, wie es sich aus den Beeinträchtigungen des unvollkommenen Markts ergeben kann. Diese Lehre beruht dabei wohlgemerkt nicht auf empirischen Studien, sondern resultiert allein aus der begrifflichen Anlage der neoklassischen Theorie. Sie hat damit einen auf fatale Weise zwieschlächtigen Charakter: sie ist einerseits nicht ohne Weiteres fundiert, andererseits aber von einem Anhänger der Neoklassik nicht abzustreifen, da sie kein ideologisches Versatzstück, sondern seinen Modellen eingeschrieben ist.25

      2.2.5 Werte und Preise: Das Marginalprinzip

      Die Vorstellung vom Gütertausch zur wechselseitigen Nutzenmaximierung enthält implizit eine ökonomische Werttheorie. Die ältere Politische Ökonomie von David Ricardo bis Marx ging von einem (in bestimmtem Sinne) objektiven und den Gütern intrinsischen, nämlich durch die in der Produktion verausgabte Arbeit bestimmten Wert aus, der die Tauschproportionen und somit insbesondere die Preise bestimmte. In dem Bild des Tausches, wie wir es eben nachzeichneten, fehlt allerdings eine solche äußere Zwangsbedingung. Die Individuen tauschen in Proportionen, die sich allein aus dem Streben nach Nutzenmaximierung unter gegebenen Gütermengen und Präferenzordnungen ergeben. Man könnte sagen, an die Stelle des objektiven Werts sei die subjektive Wertschätzung getreten.

      Erinnern wir uns daran, dass der Nutzen eines Gutes von der bereits im Besitz befindlichen Menge solcher Güter abhängt, nämlich jedes weiter hinzutretende Gut von geringerem Nutzen ist. Dieses Prinzip des Grenznutzens ist grundlegend für die neoklassische Ökonomie, auf ihm basiert insbesondere auch die neoklassische Theorie der Produktion und des Lohns (↓ 2.2.6, S. 31). Seine Stärke wird meist anhand des sogenannten Wertparadoxes aufgezeigt, welches in der merkwürdigen Tatsache besteht, dass ziemlich nutzlose Diamanten viel teurer sind als überlebenswichtiges Wasser. Das Paradox lässt


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