Wirtschaft im Kontext. Oliver Schlaudt

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Wirtschaft im Kontext - Oliver Schlaudt


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das heißt der Nutzen einer zusätzlichen Wareneinheit über den Bestand hinaus. Wasser ist (vielerorts, angeblich) in Hülle und Fülle vorhanden, Diamanten hingegen sind rar. Eine jeweilige zusätzliche Einheit wird daher anders bewertet, als es die praktische Bedeutung der Güterart erwarten ließ. Es ist freilich nicht so, dass die älteren Ökonomen diesem Paradox hilflos ausgesetzt waren. Das Paradox tritt im Gegenteil nur auf, wenn der ökonomische Wert durch den Gebrauchswert determiniert werden soll. Bei Ricardo oder Marx waren dies aber strikt unterschiedene Dimensionen. Gebrauchswert wurde zwar als Bedingung dafür betrachtet, dass sich ein Gut überhaupt verkaufen lässt, der Preis wurde aber als durch andere Größen bestimmt vorgestellt, nämlich durch die zur Herstellung notwendige Arbeitszeit.

      Bleibt darzulegen, wie sich aus dem Marginalprinzip über die Marktpreise das konkrete Konsumverhalten ableiten lässt. Verfügt ein Marktakteur über eine gegebene Menge Geld und kann dafür in frei zu wählendem Verhältnis zwei verschiedene Produkte erstehen, wird er das Verhältnis so wählen, dass die beiden Gütermengen x und y zu identischen Grenznutzen für jede weitere ausgegebene Geldeinheit führen. Denn solange die Grenznutzen nicht dieselben sind, könnte der Akteur seinen Nutzen maximieren, indem er seinen Warenkorb zugunsten des Produkts mit höherem Grenznutzen umschichtet. Es stellt sich mithin mechanisch ein Gleichgewicht ein, in welchem das Verhältnis der Gütermengen x/​y schließlich so bestimmt ist, dass das Verhältnis ihrer relativen Preise P (x)/P (y) für diesen Akteur gleich dem Verhältnis ihrer beider Grenznutzen MU (für marginal utility) ist:

      MU(x)/P(x) = MU(y)/P(y) bzw. P(x)/P(y) = MU(x)/MU(y). (2 - 1)

      So ergibt sich für das jeweilige Individuum der relative Preis zweier Güter genauer als das Verhältnis ihrer beider Grenznutzen. Diese subjektive Wertlehre macht die sogenannte Grenznutzenlehre aus, die in den 1870ern entstand und mit den Namen William Stanley Jevons, Léon Walras und Carl Menger verbunden ist. Die Attraktivität, die dieser Ansatz für die Ökonomen hat, beruht nicht zuletzt darin, dass das Marginalprinzip eine direkte Entsprechung in der mathematischen Ableitung hat, was es erlaubt, allen Sätzen dieser Theorie einen eleganten mathematischen Ausdruck zu geben.

      2.2.6 Produktion und Löhne

      Was auf dem Markt gekauft oder getauscht wird, muss freilich zuerst produziert werden. Hinter der neoklassischen Theorie der Produktion steht die Überlegung, dass sich der Produzent oder das Unternehmen im Grunde genau so verhält wie der Konsument auf dem Markt: er muss die sogenannten Produktionsfaktoren, welche er zur Produktion benötigt, (in der Regel auf Kredit) einkaufen – vor allem Maschinen (= Kapital, K) und Arbeit (L) – und diese sodann so ins Werk setzen, dass er seinen Profit maximiert. An die Stelle des Grenznutzens tritt die Grenzproduktivität. Die Grenzproduktivität ist der durch eine zusätzliche Einheit des Produktionsfaktors erzielte zusätzliche Output. Wie der Grenznutzen wird auch die Grenzproduktivität als eine fallende Funktion betrachtet: Bei konstanter Menge von Maschinen und Werkzeug nimmt der zusätzliche Output pro weiterem Arbeiter ab. Halten wir sogleich fest, dass die neoklassische Produktionstheorie im Grunde nichts über die Produktion verrät, beispielsweise was in der Produktion geschieht und wie der Wert entsteht. Sie ist eine reine Theorie der Ressourcenallokation.

      Zwei Szenarien können nun diskutiert werden: (1.) Es steht eine gegebene Menge a einer Ressource zur Verfügung, und es ist zu bestimmen, wie diese zwischen verschiedenen Produktionszweigen, also verschiedenen Warenarten verteilt wird. (2.) Es steht in einem Produktionszweig eine Geldmenge zur Verfügung – die Investitionssumme –, und es ist zu bestimmen, wie diese optimal auf die verschiedenen, notwendigen Produktionsfaktoren verteilt wird. Ziel ist jeweils die Profitmaximierung. Das Ergebnis ist in beiden Szenarien im Grunde dasselbe. Bringt ein zusätzlicher Input von Faktor a im Produktionszweig x mehr als in y, wird er dorthin umgeschichtet, bis Gleichheit der Grenzproduktivitäten pro verwendeter Geldeinheit erreicht ist. Bringt im Produktionszweig x ein zusätzlicher Input von Faktor a mehr als einer von Faktor b, wird sich das Verhältnis zugunsten von a verschieben. Der erste Fall führt auf Gleichheit der Grenzproduktivitäten pro verwendete Geldeinheit desselben Faktors für verschiedene Waren, der zweite Fall umgekehrt auf Gleichheit der Grenzproduktivitäten pro verwendete Geldeinheit verschiedener Faktoren in der Produktion derselben Ware. Wie schon in der Markttheorie wird jeweils ein Pareto-Optimum erreicht und somit ein Gleichgewichtszustand, in welchem Rahmengrößen des Geschehens einen statischen Wert annehmen.

      Wir werden nicht weiter in die technischen Details eindringen. Notieren wir als wichtigstes Ergebnis, dass, wie der zweite Fall zeigt, im Gleichgewicht die Preise der Produktionsfaktoren schließlich ihrer jeweiligen Grenzproduktivität proportional sein werden. Dieses Ergebnis hat eine unmittelbare und konkrete Bedeutung, da sich die Ökonomen vor allem für die Produktionsfaktoren Kapital und Arbeit interessieren. Der Preis der Arbeit ist aber nichts anderes als der Lohn, und der Preis des Kapitals entsprechend der Lohn des Investors, also die Rendite. Die neoklassische Produktionstheorie erlaubt es also, die Aufteilung des erwirtschafteten Profits zwischen dem Kapitalisten und den Arbeitern abzuleiten. Die Abhängigkeit des Outputs von den Faktoren Kapital und Arbeit wird als Produktionsfunktion bezeichnet:

      Y = F (K(L). (2 - 2)

      Die Gestalt der Funktion hängt von der jeweiligen Produktionstechnik ab. Ist sie bekannt, erhält man Löhne und Rendite sofort durch eine einfache mathematische Operation (die partiellen Ableitungen). Dieses Ergebnis hatte in der Situation der Systemkonkurrenz mit dem sozialistischen Ostblock eine enorme Bedeutung, da es impliziert, dass es keine Ausbeutung gibt. Die Theorie zeigt vielmehr, dass jeder – Kapitalist, Manager, Facharbeiter, ungelernter Arbeiter – genau das verdient, was seiner Grenzproduktivität entspricht – mit anderen Worten: dass jeder verdient, was er verdient.26

      Steht also alles zum Besten in der besten aller Welten? Tatsächlich hat die neoklassische Produktionstheorie ernstzunehmende Defekte, deren Konsequenzen über die Neoklassik beredt Auskunft geben. Als erstes wird man feststellen, dass als Produktionsfaktoren nur Maschinen und Arbeitskraft in Betracht gezogen werden, Land, Rohstoffe und Energie aber gänzlich fehlen. Über die Gründe lässt sich spekulieren. Der amerikanische Sozialwissenschaftler Jason W. Moore sieht in dem Umschwung von einer auf der Produktivität des Landes beruhenden Reichtumsmatrix zu einer solchen, die in der Produktivität der menschlichen Arbeit gründet, den historischen Epochenwandel hin zum kapitalistischen Zeitalter abgebildet. Arbeit ist nun die Quelle des Werts und die Natur zu einer Ressource herabgestuft (näheres zu Moores Ansatz ↓ S. 171).27 Andere Autoren verweisen auf die Tatsache, dass sich die Grenzproduktivität in den Preisen widerspiegelt und die niedrigen Preise für Rohstoffe und Energie im 20. Jahrhundert, als die neoklassische Produktionstheorie formuliert wurde, als ein Hinweis auf die geringe Bedeutung dieser Faktoren aufgefasst wurde. Der Anteil der Energiekosten an den Produktionskosten liegt in der Tat nur bei etwa 5 - 6 %, was aber schlicht daran liegt, dass sogar endliche Ressourcen billig zu haben sind.28 Ein dritter möglicher Grund für die Vernachlässigung kann darin liegen, dass der Zweck der Produktionstheorie wie eben berichtet letztlich die Rechtfertigung der Einkommensverhältnisse durch objektive Faktoren ist, und die Natur (Land, Rohstoffe, Energie) zwar als Produktionsfaktor auftreten mag, aber nicht bei der Verteilung des Profits zu berücksichtigen ist. Wie dem auch sei, in jedem Fall ist der neoklassischen Produktionstheorie damit ein ökologisches Defizit eingeschrieben.

      Die Vernachlässigung des Produktionsfaktors Land hat zweitens aber auch unmittelbare und fatale technische Konsequenzen. Es stimmt selbstverständlich, dass zu verschiedenen historischen Zeitpunkten mit verschiedenem technischem Entwicklungsstand Kapital und Arbeit unterschiedlichen Anteil an der Produktion haben (mit dem technischen Fortschritt und dem Einsatz hochentwickelter Maschinen steigt der Kapitalfaktor). Zur Analyse eines solchen historischen Wandels ist die neoklassische Produktionstheorie in ihrer Eigenschaft als Theorie eines fixen Gleichgewichts nun prinzipiell nicht geeignet.29 Betrachten wir hingegen einen gegebenen Zeitpunkt, so kann umgekehrt das Verhältnis der Faktoren Arbeit und Kapital nicht frei gewählt werden, wie es der Formalismus der neoklassischen Produktionstheorie aber in der


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