Als Luther vom Kirschbaum fiel und in der Gegenwart landete. Albrecht Gralle

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Als Luther vom Kirschbaum fiel und in der Gegenwart landete - Albrecht Gralle


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Scherz, aber dann … Hören Sie, das ist ja eine … Sensation … Eine Zeitreise! Der echte Luther! Ich bin Theologiestudentin und schreibe gerade eine Semesterarbeit über Luthers Vorstellung von Gesetz und Evangelium, und es wäre genial, wenn ich … Und seine Worte über den Krieg und die Juden würd ich auch gerne mal mit ihm …“

      „Hören Sie“, sagte Sonnhüter, dem es heiß und kalt wurde. „Das … ist ein Irrtum. Dieser Mann ist ein Schauspieler, der sich auf seine neue Rolle einlässt und sich in das 16. Jahrhundert einfühlt. Wenn Sie mich jetzt entschuldigen.“

      Er setzte sich und wollte die Tür zuschlagen, aber die Studentin hielt sie fest.

      „Das glaub ich Ihnen nicht. Das ist kein Schauspieler.“

      „Lassen Sie sofort die Tür los“, rief der Pfarrer und zog daran. Im letzten Augenblick ließ die junge Frau los, und die Tür knallte zu. Sonnhüter startete und fuhr aus der Parklücke. Er beachtete die Studentin nicht, die gestikulierend neben dem Auto herlief und schließlich aufgab.

      Als Sonnhüter in den Rückspiegel blickte, sah er sie nicht mehr.

      „Mann“, seufzte er, „noch mal gut gegangen. Die sind wir los!“

      „Was wollt das jung Weib?“

      „Was wollte die junge Frau, Luther. Das Wort Weib klingt heute nicht mehr gut.“

      „Gut. Was wollte die junge Frau?“

      „Sie hat gedacht, dass du der echte Luther bist, und wollte mit dir reden. Sie studiert Theologie …“

      „Was? Die Wei … die Frauen studieren wie die Männer?“

      „Natürlich. Du hast übrigens Genesis zwei falsch übersetzt. Es heißt nicht: Gehilfin, die um ihn sei, sondern: eine Hilfe ihm gegenüber. Verstehst du? Gleichwertig! Männer studieren, Frauen studieren, Männer fahren Autos, Frauen fahren Autos …“

      „Frauen werden schwanger, Männer werden schwanger?“

      „Nein!“, lachte Sonnhüter. „Das nun nicht.“

      „Aber warum hat die jung Frau nicht mit mir reden dürfen?“

      „Mann, Martin, wenn sich das herumspricht, dass der echte Luther hier unterwegs ist oder ein Mann, der sich für Luther hält, dann kommen hier Tausende von Leuten und das Fernsehen. Wir hätten keine ruhige Minute …“

      „Was heißt: ein Mann, der sich für Luther hält?“, unterbrach ihn Luther aufgebracht. „Ich bin es selbst!“

      „Ja, ja, natürlich. Aber ich habe auch meine Zweifel …“

      „Sie wollt mit mir disputieren über Gesetz und Evangelium? Schad, dass du’s mir nicht erlaubst.“

      „Martin, vertraue mir, wenn das die Leute mitkriegen … das wär nicht gut.“

      „Und wo reisen wir hin?“

      „Wir besuchen die katholische Kirche.“

      „Was sollen wir bei den Römischen?“

      „He, du hast selbst dazu gehört! Und die Katholischen haben sich geändert. Sie verlangen kein Geld mehr für die Verwandten im Fegefeuer. Es gab ein großes Konzil. Die Messe wird auf Deutsch zelebriert. Und der Papst ist bescheidener geworden.“

      Luther schüttelte den Kopf. „Das glaub, wer will.“

      „Nein wirklich, es hat sich vieles geändert. Das liegt daran, dass wir Kirche und Staat getrennt haben. Die Kirchen haben kaum noch weltliche Macht. Wenn du heute an Gott glaubst, dann ist das dein Privatvergnügen.“

      „Privatvergnügen? Es geht nit darum, in der Religion nur Vergnügen zu haben. Ist manchmal ein hart Geschäft.“

      „Nicht nit, sondern nicht, heißt das.“

      „Gut, also: nicht.“

      „Es ist so, Martin, die meisten glauben nicht mehr so richtig an Gott. Viele sind noch Kirchenmitglieder, aber Gott spielt keine Rolle mehr. Die Leute führen ihr Leben, so gut sie es können, und kommen nicht auf die Idee, Gott um Rat zu fragen, außer, sie sind in Not. Gott ist irgendwie aus unserem Leben verschwunden, wie … wie Wolken an einem sonnigen Tag. Es ist … normal, nicht an Gott zu glauben. Die Politiker, die Fürsten, fühlen sich Gott gegenüber nicht mehr verpflichtet. Sie machen ihre Arbeit. Und ich muss sagen, das Regieren ist zwar nicht immer opti … gut, aber wir leben in einem stabilen Land. Seit über siebzig Jahren gibt es keinen Krieg in Nordeuropa, und wir leben hier ganz bequem, wie du siehst. Es scheint alles ohne Gott zu gehen. Und der Glaube ist deine eigene Sache, eine Art Hobby – das Wort kennst du nicht –, eine Art Spiel für den Sonntag.“

      Luther hatte aus dem Fenster geblickt und nur halb hingehört. Ihn beschäftigte offenbar etwas anderes. Plötzlich platzte er los:

      „Die Römischen, die verdammten Papisten, werd ich nicht treffen!“ Er spuckte auf den Boden des Golfs. „Der Papst ist nichts anderes als der Teufel persönlich!“

      Und als Sonnhüter verblüfft schwieg, fuhr der alte Reformator fort: „Oh, Papst, Vater aller verleugneten Christen, geschändet werde dein verfluchter Name, dein Reich komme in die Hölle, dein teuflischer Wille muss alsobald vergehn …“

      Sonnhüter drückte auf den Knopf, und die Scheiben schlossen sich.

      „Luther! Bist du wohl ruhig?“

      „Ruhig soll ich sein? Wo doch der Papst die Gewissen aller Christen geknechtet hat, wo die Beicht zum Instrument des Teufels worden ist und die Kirch über die armen Christen herrscht wie der Satan mit der Peitsch.“

      „Mäßige dich, Luther! Und immer gleich mit dem Teufel zur Hand, was?“

      „Ja, hab viel mit dem Teufel zu tun. War ein Kampf auf Leben und Tod, sich gegen die ganze römische Christenheit zu stellen, wenn die Zweifel an dir nagen. Einmal nachts hat der Teufel mit mir disputieret, hat mich anklagt, dass ich sei ein Dieb, weil ich den Papst und so viele Klöster beraubt hätt. Aber ich han ihm nicht antworten wollen und hab zu ihm g’sagt: ‚Leck mich am Arsch!’ Da hat er aufgehört. Anders kann man ihn nit loswerden.“

      Luther blickte Sonnhüter an, der gerade den Wagen parkte: „Du weißt nicht, in welcher Knechtschaft die Christenleut warn zu meiner Zeit. Hier bei euch, im bewegten Zeitalter, geht’s leicht und glatt daher. Aber die Christen zu meiner Zeit waren wie die Jüden in Babylon und haben gezittert vor den Strafen der Kirch. Da musste doch einer dreinschlagen, damit der Furz aus der Sau rauskömmt!“

      Sonnhüter schüttelte den Kopf: „Jetzt redest du wieder dein Lutherdeutsch.“

      „Ja“, sagte Luther, der sich nicht beirren ließ, „wenn der Papst sein Kron absetzt und von seim Thron runtersteigt und auf den Primatanspruch verzicht’ und bekennt, dass er geirrt hätt, dass er die Kirch verdorben und unschuldig Blut vergossen hätt, dann wollen wir ihn wieder in die Kirch aufnehmen. Kein Christenmensch braucht den Papst. Soll sich all auf die Gnad Gottes verlassen und darauf scheißen, was die Kardinäl, Priester und Pfaffen schrein. Das ist genug. Amen!“

      Sonnhüter stöhnte, zog die Handbremse und schaltete den Motor ab.

      „Hier sind wir. Das ist die katholische Kirche. Sie ist aber erst Jahrhunderte nach dir gebaut worden durch Zuzug. Also, willst du nun rein oder nicht?“

      „Kein zehn Pferd schleppen mich in das Sklavenhaus.“

      Trotzdem öffnete Luther die Autotür und stieg aus. Erstaunt folgte Sonnhüter ihm mit seinen Augen und sah, wie Luther neben die Eingangstür trat, an seiner Jeans herumnestelte und schließlich anfing, an die Kirchenmauer zu pinkeln.

      Entsetzt sprang der Pfarrer aus dem Auto, rannte zu dem pinkelnden Luther und rief: „Aufhören! Bist du verrückt?“

      Luther beendete in aller Seelenruhe sein Geschäft. „Was ist passiert? In meiner Zeit pissen alle Männer gegen die Wand, wenn sie zuhaus kein Gelegenheit nicht haben.“

      „Aber


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