Carl Friedrich von Weizsäcker. Ino Weber

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Carl Friedrich von Weizsäcker - Ino Weber


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wie es in den Goldenen Zwanzigern nicht selten vorkam. Wir schreiben das Jahr 1927. Der vierzehnjährige Carl Friedrich ist auch anwesend, in Begleitung seiner Mutter. Persönlich weniger an solchen Festlichkeiten interessiert, ließ er sich schließlich zum Mitkommen überreden.

      In der Ecke fällt ein anderer junger Mann auf, gutaussehend, nach damaliger Mode schick gekleidet, nur rund zehn Jahre älter als Weizsäcker. Er wirkt etwas schüchtern, spielt aber ausgezeichnet Klavier. Die Aufmerksamkeit der Gäste ist voll auf ihn gerichtet, und Carl Friedrich ist ebenfalls gespannt. Man lauscht andächtig der Musik.

       Wer da so gekonnt musiziert, ist kein anderer als Werner Heisenberg. Marianne von Weizsäcker macht ihren Sohn darauf aufmerksam, dass der Klavierspieler ein ziemlich kluger Kopf ist, ein aufstrebender Physiker. Carl Friedrich hat schon von ihm gehört und ist vollends begeistert. Was ihn so fasziniert, ist nicht nur die persönliche Erscheinung Heisenbergs, es ist der Glanz des großen Entdeckers, den das Physik-Genie bereits merklich ausstrahlt. Eine Vorahnung grundlegender Erkenntnisse geistert durch Weizsäckers wachen Verstand.

      Nach der Veranstaltung unterhält man sich kurz. Mutter Marianne führt sogar ein kleines Streitgespräch mit dem Physiker – über die Jugendbewegung. Carl Friedrich ist so beeindruckt, dass er die Mutter inständig bittet, diesen Musiker einmal nach Hause einzuladen. Sie gibt dem Drängen schließlich bereitwillig nach.

      So oder so ähnlich fand die Geschichte wirklich statt.

      Nur wenige Wochen später kommt es zur alles entscheidenden, unvergesslichen Begegnung. Die Gedanken klären sich im mehrstündigen Gespräch sehr schnell, was die künftige Wahl des Studienfachs anbelangt. Heisenberg, zu diesem Zeitpunkt erst fünfundzwanzig Jahre alt, spricht mit solcher Begeisterung von der Physik, dass Carl Friedrich einen Entschluss fasst: Physik zu studieren ist wohl doch das Beste, um die wirkliche Welt zu verstehen und um mit fester Basis Philosophie betreiben zu können. In großer Unbefangenheit erteilt Heisenberg dem Heranwachsenden gute Ratschläge. Schnell hatte er dessen Hang zur Philosophie erkannt und ging nun gezielt darauf ein. Etwas scherzhaft, doch ernst gemeint, argumentiert er in stark zugespitzter Form:

      1 Physik ist notwendig, um Philosophie betreiben zu können, jedenfalls wenn sie für das 20. Jahrhundert (in Anbetracht der begonnenen und weiter erwarteten großen Entdeckungen) relevant sein soll.

      2 Physik ist nur dann richtig erlernbar und man bekommt erst ein Gespür dafür, wenn man sie ausübt.

      3 Physik macht man am Besten vor dem dreißigsten Lebensjahr, Philosophie aber erst nach fünfzig.

      All dies vermittelt er dem empfänglichen Geist Weizsäckers in freundschaftlichem Ton. Und es ist tatsächlich der Beginn einer lebenslangen engen Freundschaft. Carl Friedrich von Weizsäcker nimmt sich den Rat zu Herzen, doch das Philosophieren ist ihm schon jetzt ein natürliches Bedürfnis, das kaum unterdrückt werden kann.

      Als Primaner wurde ihm erst völlig klar, „dass das, wonach ich eigentlich strebte, bei den Menschen Philosophie heißt …13

      Studium, Doktorarbeit, Habilitation, diese mühsame Kleinarbeit geht fast rasend schnell vonstatten. Sie ist für Weizsäcker größtenteils ein Vergnügen, eine intellektuelle Herausforderung, die er gern annimmt, obwohl er ein bisschen über die schwierige Mathematik klagt. Schließlich hat er ausgezeichnete Lehrer und ist fast ständig von Nobelpreisträgern umgeben. Sogar in fremden Fächern (Biologie!) erweitert er seinen Wissensschatz. In nur sieben Jahren hat sich der Weg vom Studenten zum Professor vollzogen (Habilitation 1936).

      1937, Carl Friedrich von Weizsäcker ist erst fünfundzwanzig Jahre alt und arbeitet als Assistent am hoch angesehenen Kaiser-Wilhelm-Institut in Berlin und zusätzlich an der Universität als Dozent für theoretische Physik, erscheint sein erstes Buch. Das Thema ist rein physikalisch, und der Titel lautet: „Die Atomkerne“. Weizsäcker gehört zur Avantgarde der Atomphysiker, führt regen Austausch und spannende Diskussionen mit den führenden Köpfen seiner Zeit.

      Im Jahr 1943 erscheint das Fachbuch „Zum Weltbild der Physik“. Es atmet bereits den typisch Weizsäckerschen Geist der Philosophie. Durchaus um physikalische Themen kreisend, ist der Hauptinhalt jedoch keine konkrete Physik, sondern eine Art Grundsatzdebatte aus sehr verschiedenen Blickwinkeln. Ein zentraler Punkt ist die Quantentheorie, vor allem im Hinblick auf ihre weltanschaulichen Folgerungen. Das Buch besteht aus verschiedenartigen Vorträgen, niedergeschrieben in den Jahren 1938-1942.

      „Zum Weltbild der Physik“ ist ein Standardwerk, es leistet eine fachlich ausgereifte und zudem stark philosophisch orientierte Gesamtschau, die über das eigentliche Fachgebiet weit hinausgeht.14 Wenn man sich das Buch näher anschaut, stellt man zunächst fest, dass es für Nicht-Physiker und philosophische Laien kaum sehr erquicklich sein wird, es vollständig zu lesen. Man muss lediglich einen aufmerksamen Blick in das fein aufgeschlüsselte Inhaltsverzeichnis werfen, um zu erkennen, wie Weizsäcker das Thema angeht – aus ganzheitlicher Perspektive! Dies fällt sehr schnell auf bei Kapitelüberschriften wie „Ganzheit“, „Anschaulichkeit“, „klassische Physik“, „Realismus“, „Meditationsstufen“ usw.

      Dann gibt es noch weitere hoch komplexe, eher philosophisch interessante Themenkreise:

      „Die Auswirkung des Satzes von der Erhaltung der Energie in der Physik.“

      „Das Verhältnis der Quantenmechanik zur Philosophie Kants.“

      „Eine Studie über das Symbolische in der Naturwissenschaft.“

      „Naturgesetz und Theodizee.“

      „Komplementarität und Logik.“

      „Wohin führt uns die Wissenschaft?“

      Querverbindungen ziehen, ungewöhnliche Gedankenfelder erschließen, philosophische Grundsatzfragen stellen, dies alles ist typisch für Weizsäcker. Man kann den Physiker nicht vom Philosophen trennen.

      Der Wissenschaftler folgte einer unbändigen Neugier. Doch der Mensch folgte stets seinem humanistischen Ansatz – im Alter mit zunehmender Bewusstheit und Zielstrebigkeit –, der Gesellschaft, sogar der Menschheit als Ganzes zu dienen.

      Immer herrscht in Weizsäcker der Wille vor, ein gewähltes Thema mit größtmöglicher Gründlichkeit zu durchdringen. Die Methode, dies zu leisten, ist die wissenschaftliche; und die Physik ist eine objektive Wissenschaft, gleichsam das Aushängeschild an wissenschaftlicher Objektivität und rationaler Logik, eine kulturelle Errungenschaft der Menschheit, tief verwurzelt in der geistesgeschichtlichen Aufklärung. Weizsäcker war die traditionelle, effiziente, sachliche Denkweise des Wissenschaftlers in Fleisch und Blut übergegangen, dennoch versäumte es der große Physiker nie, auch die anderen, subjektiven Bezüge sowie Kultur und Geschichte und die sozialen und globalen Folgerungen einzubeziehen.

      Die Physik war sein übergeordnetes Lebensthema, und er strebte danach, es in allen bedeutsamen Beziehungen und Querverbindungen zu untersuchen, als Forscher im Bereich der theoretischen Kernphysik sowie auch als Philosoph. Fragte man ihn im Interview, als was er sich selbst sehe, welchen Beruf er eigentlich ausübe, so kam die Antwort ohne zu zögern und im Brustton der Überzeugung: „Ich bin Physiker!“

      Man kann die revolutionären Entdeckungen der Physik zu Beginn des 20. Jahrhunderts sehr übersichtlich chronologisch auflisten. Das empfiehlt sich auch, um den Überblick zu behalten.

      Diese Übersicht, sie ist gleichzeitig ein kurzer Abriss zur Wissenschaftsgeschichte, enthält die großen Namen der bedeutendsten Physiker, alles Nobelpreisträger, wobei die meisten aus Deutschland stammen. Niels Bohr, der Däne, taucht allerdings zweimal in der Liste auf. Hier interessiert dabei in erster Linie die Entdeckungsgeschichte der Quantentheorie.

      1900 Max Planck:

      Planck formuliert ein neues physikalisches Gesetz (E = h x f), wonach Lichtwellen auch als Quanten (also „Teilchen“, sogenannte Photonen) deutbar sind. „h“ ist eine universelle Naturkonstante,


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