Beten bei Edith Stein als Gestalt kirchlicher Existenz. Christoph Heizler

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Beten bei Edith Stein als Gestalt kirchlicher Existenz - Christoph Heizler


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exegetische, philosophische und spirituelle Zugänge finden darin Beachtung. Dem Thema Bittgebet wendet sich ein von Magnus Striet herausgegebener Sammelband zu und lässt darin kontroverse Positionen zu Wort kommen.31

      Ebenfalls jüngeren Erscheinungsdatums ist der im Jahr 2016 von Matthias Arnold und Philipp Thull herausgegebene Sammelband „Theologie und Spiritualität des Betens: Handbuch Gebet“.32 Dort sind unter den Überschriften „Das Gebet in der Heiligen Schrift“, „Das Gebet in der Theologie“ sowie „Formen des Gebets“, „Das Gebet in der Praxis“, „Das Gebet in der christlichen Ökumene“ und „Multidimensionale Zugänge zum Gebet“ insgesamt 35 Beiträge namhafter Autoren aus der akademischen und monastischen Welt vertreten. Eine detailliertere Sichtung dieser Veröffentlichung kann im Rahmen dieser Studie nicht geleistet werden. Es sei aber darauf hingewiesen, dass die Breite der wissenschaftlichen Zugänge zum Gebetsgeschehen insgesamt ein zunehmendes Interesse der akademischen Theologie und ihrer verschiedenen Disziplinen am Thema erkennen lässt.

      Einen Literaturüberblick über einige jüngste Veröffentlichungen zum Thema Gebet aus dem Bereich der Systematischen Theologie oder zumindest mit betontem Einbezug dieser theologischen Disziplin findet sich Anfang 2017 in einem Beitrag von Hilda Steinhauer. Sie fragt „Was ist Beten?“33 und sichtet dazu neben den oben schon thematisierten Arbeiten von M. Scheider und J. Brantl die Veröffentlichungen von A. Hunziker und S. Keller34, H. Schalk35, M. Schlosser36 und T. Keller.37 Neben den genannten Beiträgen finden auch jene von M. Egli38 und W. Eisele39 Erwähnung. Steinhauer kommt – ähnlich wie bereits Wüst-Lückl eine Dekade zuvor – zu der Auffassung, dass „auf Seiten der wissenschaftlichen Theologie eine meist nur implizite Wahrnehmung des Gebets als eines zentralen und spezifischen Ortes der theologischen Erkenntnis“ zu verzeichnen sei.40 Steinhauer zufolge weisen die von ihr gesichteten Publikationen vier gemeinsame Merkmale auf: „Gemeinsame, explizit angesprochene oder implizit vorausgesetzte Kernpunkte sind die biblische Fundierung des Betens, die Orientierung am Beten Jesu, die trinitarische Verankerung und die Betonung der Geschenkhaftigkeit.“41 Steinhauer bemerkt, dass dem Bittgebet eher weniger Beachtung geschenkt werde.42 Ans Ende ihres Überblicks über die aktuelle Literatur zum Thema stellt die Autorin ein Desiderat: „Das Gebet als eine Dimension der gesamten Wirklichkeit auszufalten, wäre aus systematischer Perspektive eine lohnende Aufgabe.“43

      Vor dem skizzierten Hintergrund der angeführten aktuellen Publikationen zum Gebet konzentriert sich meine Darstellung auf zwei für unsere Fragestellung besonders bedeutsame religionsphilosophische Positionen des 20. Jahrhunderts und deren Anliegen. Diese sind die Beiträge von Berhard Welte und Bernhard Casper. Nach Sichtung dieser Zugänge, die einer deskriptiven Entfaltung des betenden Ereignisses Raum geben, und dem Schweigen und dem Gebet der Stille in systematischer Perspektive Beachtung schenken, kann das eigene Interesse anschließend dargelegt und eigene methodische Schritte begründet werden. Es mag sich erweisen, dass die beiden Zugänge zum Gebet einen hermeneutischen und methodischen Horizont ausspannen, in dem das Beten der Edith Stein angemessen gesichtet und verstanden werden kann.

      Die systematisch-theologischen Zugänge zum Geschehen des Gebets bei Bernhard Welte und Bernhard Casper können die Frage nach dem Beten der Edith Stein wertvolle Hinweise liefern. Die Auswahl dieser beiden Theologen geschah mit Blick auf die inhaltliche und methodische Affinität zum Werk Edith Steins. In gleicher Weise entscheidend für die Auswahl waren bisherige Forschungen zur Religionsphilosophie Edith Steins und zur spirituellen (Gebets-)Theologie, die im Arbeitsbereich Christliche Religionsphilosophie der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg im Breisgau von Bernhard Casper begleitet wurden.

      Sowohl Bernhard Welte als auch Bernhard Casper stellen als ehemalige Inhaber des Freiburger Lehrstuhls für Christliche Religionsphilosophie Vertreter einer Tradition theologischen Denkens dar, die sich vom phänomenologischen Weltzugang und von der phänomenologischen Haltung maßgeblich hat beeinflussen lassen. Bei ihrem Anliegen, den christlichen Glauben in die Gegenwart hinein zu begründen und zu vermitteln, lieferten phänomenologisch ausgerichtete Denkansätze wertvolle Anregungen und wichtige methodische Hilfen. Insofern gibt es bei Bernhard Welte und Bernhard Casper methodisch und inhaltlich eine deutliche Entsprechung zu Edith Stein, wo diese sich in durchgängig phänomenologischer Manier unter Einbezug von Erkenntnisquellen der christlichen Offenbarung theologischen Themen widmet.

      Bernhard Casper hat des Weiteren eigens ein Promotionsvorhaben seines damaligen Schülers Andreas Uwe Müller zur Religionsphilosophie Edith Steins betreut. Darin wird Edith Steins Position betont vor dem Hintergrund der Husserlschen Philosophie konturiert und die innovativen Momente der Steinschen Auffassung in ihrer Aufnahme von Beiträgen Schelers, Reinachs und Heideggers detailliert dargestellt.44 Außerdem ist bei Bernhard Casper ein betontes Verständnis für die zeitliche Verfasstheit und Erstreckung des Gebetsgeschehens als Einbruch von Diachronie entfaltet, was eine Lesehilfe für die geistlichen Gebetstexte der Edith Stein darstellen kann.

      Bernhard Welte wird von Klaus Hemmerle ausdrücklich mit Edith Stein in einer Fluchtlinie gesehen, was ihr zentrales Anliegen betrifft, in dem sie übereinkommen: „Es sei verwiesen auf die andere Vermählung zwischen Phänomenologie und Denken des Thomas, auf die andere Wahrung und Reflexion des Verhältnisses von Philosophie und Theologie, auf die andere Weise der Nachbarschaft von phänomenologischer Ursprünglichkeit und interpretativem Mitgehen mit anderen Gedanken, die sich bei Bernhard Welte ausformulieren.“45 Insofern bietet es sich an, das Geschehen des Gebets bei Edith Stein unter Einbezug der gebetstheologischen Überlegungen Weltes zu sichten.

      Was die beiden Freiburger Religionsphilosophen zur Theologie des Gebets erarbeitet haben, wird im Folgenden als Zugangsweise zum betenden Geschehen bei Edith Stein herangezogen. Den Ausgangspunkt dieser hermeneutischen Orientierung bildet die Theologie und geistliche Besinnung auf das Thema Gebet, wie sie bei Bernhard Welte begegnet.

      Bernhard Welte (1909–1983) war von 1958 bis zu seiner Emeritierung im Jahr 1973 Inhaber des Lehrstuhls für Christliche Religionsphilosophie an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. Das wissenschaftliche Interesse Weltes galt von seinen frühen Werken an den Fragen der Glaubensbegründung, die mit Blick auf die scholastische Tradition und existenzphilosophische Positionen unter Einbezug der Phänomenologie angegangen wurden. Schon seine Habilitationsschrift46 von 1946 fragte nach der Möglichkeit einer Deutung philosophischen Glaubens bei Karl Jaspers durch die thomistische Philosophie. Stephanie Dietrich formuliert als „Grundanliegen“ Weltes: „Auf dem Hintergrund und in Auseinandersetzung mit der zeitgenössischen Philosophie, für Welte besonders der Philosophie Heideggers und Jaspers, sollten die traditionellen theologischen Quellen der Tradition neu beleuchtet und ohne jedes apologetische Interesse verständlich gemacht werden.“47 Bernhard Casper sieht in gleicher Weise in der Konvergenz von Thomasrezeption, Existenzphilosophie und Phänomenologie ein Grundanliegen Weltes: von Heideggers dessen „hermeneutische Phänomenologie“ und von Jaspers dessen „Existenzdenken […] aufnehmend, interpretiert W. die thoman. Zugänge zu der Frage nach Gott neu.“48 Dabei leite den Vorgänger Bernhard Caspers auf dem Freiburger Lehrstuhl für Christliche Religionsphilosophie das Anliegen, die „Möglichkeitsbedingungen des menschlichen Glaubens an Offenbarung darzustellen.“49

      Bernhard Welte formuliert seinen religionsphilosophischen Ansatz50 betont ausgehend vom Menschen.51 Dieser sucht im Widerfahrnis sowohl von schmerzlichen wie zum Staunen einladenden Lebenserfahrungen nach Möglichkeiten zu Glauben. In dieser Konfrontation ist er unausweichlich in die Dimensionen Zeit52, Geschichte53, Sprache54, Begegnung55 und Gemeinschaft56 gestellt, die jeweils auf einander verweisen. Die genannten Dimensionen des Existenzvollzugs finden Ausdruck in den Titeln der bedeutendsten Werke Bernhard Weltes.57 Vom Umfang her kleinere Publikationen – z. B. seine Predigten und geistlichen Schriften58 – illustrieren deutlich Weltes seelsorgliches Anliegen, das ihn durchgehend in seinem Denken prägt. Es fällt auf, dass es ihm dabei stets um „eine


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