Der grüne Pfad hat nie ein Ende. Gerhard Böttger

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Der grüne Pfad hat nie ein Ende - Gerhard Böttger


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die Vorfreude auf einen ungestörten Blattzeitmorgen. Immer wieder sah er im Geiste das trutzige Bockhaupt vor sich und hoffte, nun auch mal den ganzen dazugehörigen Bock in Anblick zu bekommen.

      Das Vogelleben erwachte, ein Mäusebussard zog über ihm seine Kreise, Ringeltauben und Amseln flogen auf erster Nahrungssuche hin und her, eine Goldammer versicherte ihm, wie lieb sie ihn habe, und das kecke Mönchsgrasmückenpärchen, schwarz und braun behütet, schlüpfte durch den Unterwuchs. Simon dachte an seinen „Stern der Elbmarsch“, das von ihm endlich entdeckte Blaukehlchen, und nahm sich vor, in den nächsten Tagen unbedingt einmal nach ihm zu schauen. Ein vorbeibockelnder Mümmelmann lenkte seine Sinne dann wieder auf das hier heimische Wild, und er kramte in seiner Jackentasche nach dem Rehwildblatter.

      Zart und trotzdem durchdringend schwangen sich die Locklaute in das reingewaschene und von Millionen Regentropfen geschmückte, fast nur die Farbe Grün zeigende sogenannte „Unland“, das doch in Wirklichkeit so viele Klein- und Kleinstlebensräume barg.

      Zwar umzogen noch einige leichte Nebelschleier die Buschinseln und lagen auch über dem Raps, doch die Sicht war jetzt so gut, dass der Jäger auch die kleinste Bewegung in seinem Umfeld mitbekommen musste. Simon spürte, wie die von ihm selbst nachgeahmten Fieplaute der Ricke sein sowieso schon vorhandenes Jagdfieber noch steigerten. Doch es rührte sich nichts, auch bei der nächsten Wiederholung zog nur der Mäusebussard seine Kreise enger über seinem Blattstand, was so mancher Jäger schon erlebt haben wird. Simon bedauerte schon, an dieser Stelle keine Leiter aufgestellt zu haben, die ihm einen Blick in die Lagerstellen des Rapsschlages ermöglicht hätte. Gerade stellte er sich vor, wie dort der Bock sein Schmalreh in Hexenringen und Achten trieb, und schaute sehnsüchtig gegen das von seiner Position nicht einsehbare Feld.

      Als er den Kopf wieder nach vorne wandte, traute er plötzlich seinen Augen nicht! Brennend dunkelrot und glatt stand dort auf weite Schrotschussentfernung plötzlich ein starker Rehrumpf in einem Schopf von hochgewachsenen Goldruten, das Haupt hinter einem dicht belaubten Gebüsch nicht zu sehen. Völlig regungslos verharrte das Stück. Der Figur nach musste das unbedingt ein Bock sein. Aber war es auch der Starke?

      „Welcher sonst“, flüsterte ihm der grüne Versucher ins Ohr, „kein anderer wird es wagen, hier den Hausherren zu provozieren, schieß!“

      Simon ließ sich aber nur so weit verleiten, die Büchse „schon mal“ ins Gesicht zu nehmen. Das war richtig, denn jetzt kam Bewegung in die Statue da vorne, ein paar Schritte zog das Stück nach vorne, und bei einem trotzigen und misstrauischen Aufwerfen erkannte der junge Jäger die massigen Sechserstangen zwischen den Lauschern, die ihm schon so oft im Traum erschienen waren. Er suchte nicht mehr lange nach einer Auflage, der schwarze Zielstachel fand die bewusste Stelle direkt hinter dem Blatt, und das todbringende Blei warf den Bock in die Stauden, noch bevor der Schussknall in der Weite der Wiesen und Felder verhallte – er war einfach weg, keine einzige Abflucht war mehr zu beobachten.

      Simon blieb noch in Bereitschaft, aber nach diesen höchst aufregenden Minuten fühlte er doch schon langsam das Glücksgefühl des Erfolges in seiner Brust aufsteigen. Er war sich sicher, schritt nach nur wenigen Minuten Wartezeit zum genau zu lokalisierenden Anschuss, wo ihm auf den grünen Blättern unter goldgelben Blüten hellroter Lungenschweiß entgegenleuchtete. Drei Schritte weiter lag der Beherrscher dieses Revieres, der hier unerkannt mindestens fünf oder sechs Sommer gesehen und ein reiches Bockleben hinter sich gebracht hatte.

      Auf dem kräftigen, kurz erscheinenden Träger trug er ein gleichmäßig grauschwarz sich zeigendes Haupt – und welch starke Zier, eine echte Krone, schön dunkelbraun gefärbt, massig und hoch die Stangen auf dicken Rosen, mit wenigen, aber starken Perlen geschmückt, die Enden lang und beinern gefegt. „Mein Lebensbock?“, fuhr es dem lange, lange die Totenwacht haltenden Jäger durch den Sinn. Dann brach er den Bock auf und streckte ihn neben dem Schirm auf dem Rasenbett, sah sich nach gerechten Brüchen um, schmückte seinen Hut und versah seine Beute mit dem letzten Bissen und Inbesitznahmebruch.

      Die dunklen Blätter der Erle ließen die hirschrote Decke seiner Beute besonders kontrastreich zur Geltung kommen. Simon konnte es danach nicht lassen, ließ sich noch einmal auf dem einfachen Brett des Sitzes nieder und hielt eine zweite Wacht an dem Bock, den der Neuntöter in der vermeintlich sicheren Deckung des Rapsschlages ihm verraten und dem er seitdem sein ganzes Denken und Fühlen gewidmet hatte.

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      Der Elbmarscher prahlt zwischen zwei geringeren, aber sehr alten Böcken.

       Schwarze Böcke

      Nicht zu Unrecht sprechen wir manchmal vom Rehbock als vom „Hochwild unseres Herzens“ und geben dem fast überall verbreiteten Rehwild, in diesem Falle dem spannenden Erleben um einen besonderen Bock, die verdiente Wertschätzung. So gut wie jeder Weidmann hat mehrere oder viele Gehörne an der Wand hängen, deren Träger ihm zu Lebzeiten Tage und Wochen köstlicher Jagd geschenkt haben, bis es in der „dummen Stunde“ dann doch auf den Heimlichen geklappt hat.

      So sammeln sich in langer Reihe oder kompakter Gruppe die Abschussböcke, die Starken, und auch der Prozentsatz der abnormen Gehörne nimmt stetig zu. Diese sind etwas Besonderes, und so mancher Weidmann ist in starkem Maße erpicht auf die verdrehten, mehrstangigen, in alle Richtungen gewachsenen oder sonstwie monströsen und widersinnigen Trophäen.

      Eine ganz seltene Besonderheit – nicht vom Wuchs der Stangen, sondern von der Färbung der Decke her – stellt das schwarze Rehwild dar. Immer wieder liest man Kleinanzeigen in der Jagdpresse, in denen der Wunsch nach der Erlegung solch eines Lebensbockes zum Ausdruck kommt – den man nach Erfolg natürlich als Kopf-Schulter-Präparat an seiner Wand sehen will. In diesem Zusammenhang – ein Rückblick – muss man den Haster Wald westlich von Hannover nennen, in dem die Forstverwaltung durch gezielten Abschuss der roten Rehe seinerzeit (1933) einen schwarzen Rehwildbestand von 90 % heranhegte. Auch Kaiser Wilhelm II. und Hermann Löns wussten um die begehrte Besonderheit!

      Mein eigener schwarzer Bock, gering im Wildbret und stark von Rachendassellarven befallen, fiel beim Ansitz auf Schwarzwild. Ich will da nichts Mystisches hineinweben, aber wenn ich einen oder mehrere Schwarzkittel im großen Rapsschlag hörte oder sah (Letzteres leider weniger, aber einen Überläufer erwischte ich doch), kam garantiert auch der schwarze Bock irgendwann und irgendwo in einer der Lücken, Fahrspuren oder Fehlstellen in Anblick.

      „Na, da hast du ja dein Stück Schwarzwild, auch wenn’s diesmal keine Sau ist, hast du doch Saudusel gehabt“, sagte damals der Beständer zu mir.

      Die Reviere in der Nähe der alten Salzstadt Lüneburg bringen in ihrer Rehwild-Population immer wieder mal schwarze Stücke hervor. Im Revier Ochtmissen hatte ich auch einmal eine rote Ricke mit schwarzem Kitz und ein dunkles Schmalreh in Anblick, und nicht weit davon, im Revier Vögelsen, konnte Jürgen Schnelle aus Sangenstedt zwei schwarze Böcke erlegen, einen braven Sechser und einen Abnormen. Auch im Luhdorfer Revier – auf der Fahrt zur Bockjagd nach Radbruch – sah ich häufig eine einzelne schwarze Ricke auf einer Wiese neben der Straße ihrer morgendlichen Äsung nachgehen. Immer wieder besondere Erlebnisse!

      Ich begegnete dem Melanismus beim Rehwild in den Landkreisen Lüneburg, Lüchow-Dannenberg, Celle und Rotenburg/Wümme. Wir finden die Schwarzfärbung auch beim Damwild und bei Wildkaninchen sowie, was kaum bekannt ist, auch beim Biber. Der Wasserbauer hat nicht nur Deutschland wieder besiedelt und macht teilweise Probleme, auch in Estland hat er sich zu einer wahren Landplage entwickelt. In so manchem Dorf geht plötzlich das Licht aus, weil ein von dem großen Nager gefällter Baum auf die Stromleitung fällt, auch unterhöhlt er Straßen und Wege und setzt Kulturen unter Wasser. Ich selbst habe mir einmal übel den Knöchel verstaucht, als ich bei der Pirsch in ein von Altgras überwachsenes Luftloch einer Biberhöhle trat. Einen pechschwarzen Meister Bockert mit einem sagenhaften Gewicht von 30 Kilogramm erlegte in seiner alten Heimat kurz vor der Jahrtausendwende der Freiherr Hans von Stackelberg und formulierte in diesem Zusammenhang, dass schwarze Biber in Estland (ich komme auf das baltische Land noch zurück) wohl so selten seien wie in Deutschland das schwarze


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