Die Akademisierungsfalle. Rudolf H. Strahm

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Die Akademisierungsfalle - Rudolf H. Strahm


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Trend zur Akademisierung hat allerdings eine Kehrseite, die in ► Grafik 1.8 augenfällig wird: Sowohl die Jugendarbeitslosigkeit als auch die Quote der Personen ohne nachobligatorische Ausbildung («Ungelernte») liegen in der Romandie und im Tessin signifikant höher als in den Deutschschweizer Kantonen.24 Die Kantone mit schwach ausgebildeter dualer Berufsbildungstradition «bezahlen» dieses Defizit durch ein generell höheres Arbeitslosigkeitsniveau in allen Altersstufen. Diese innerschweizerische Disparität wird allerdings durch die überall gleich hohen Ansätze der Arbeitslosenversicherungsleistungen des Bundes ausgeglichen und geglättet.

      Das Bild, das wir von den europaweiten Vergleichen kennen, wiederholt sich also innerhalb der Schweiz, die mit ihren unterschiedlichen Bildungskulturen und Ausbildungssystemen ähnlich gelagerte Diskrepanzen wie der europäische Kontinent aufweist. Der Vergleich zwischen den sprachlichen Landesteilen innerhalb der Schweiz ist insofern aussagekräftig, als die Sprachregionen sich in der längerfristigen Betrachtung bezüglich der Wirtschaftswachstumsraten (BIP-Wachstum) nicht wesentlich unterscheiden – in Bezug auf die Wirtschaftsstrukturentwicklung allerdings schon: Die Desindustrialisierung und «Monacoisierung» der Westschweiz ist ausgeprägter.

      Zusammenfassend heisst dies: Wo die duale Berufsbildung fehlt, gibt es mehr Arbeitslose und mehr Jugendliche, die die Integration in den Arbeitsmarkt nicht schaffen. Wir stellen im Kapitel 6 weitere Sozialindikatoren vor, die klar belegen, dass die berufliche Grundbildung die wichtigste Strategie zur Armutsprävention und zum Schutz vor Arbeitslosigkeit darstellt. Die berufsorientierte Bildungs- und Integrationsstrategie ist klar das wirksamere und nachhaltigere Instrument zur Verminderung von Ungleichheit als sekundäre Umverteilungsmassnahmen wie Sozialhilfe und Sozialtransfers!

      Grafik 1.8

      Berufsbildungssystem ist das Rückgrat der Schweizer Wirtschaft

      Kommen wir etwas weg von der personenbezogenen Wirkungsanalyse des Berufsbildungssystems. Wir haben bisher die personellen Vorzüge der ­dualen Berufsbildung bezüglich der individuellen Arbeitsmarktfähigkeit dargestellt. Nun fragen wir nach der wirtschaftlichen Bedeutung für die gesamte Volkswirtschaft. In diesem Kapitel steht die Performance der Schweiz im Fokus, im Kapitel 2 erweitern wir diese Analyse anhand internationaler Vergleiche auf die fünf Berufsbildungsländer.

      Grafik 1.9

      Befragt man eine repräsentative Gruppe von 3000 internationalen Managern nach den positiven Schlüsselfaktoren für den Wirtschaftsstandort Schweiz, steht die Qualität der beruflich ausgebildeten Fachkräfte (der «Skilled Workforce») gleich an zweiter Stelle nach der politischen Stabilität der schweizerischen Institutionen; und dieser Fachkräftefaktor wird wichtiger eingeschätzt als die tiefen Steuern, die verlässliche Infrastruktur und das allgemein hohe Bildungsniveau der Schweiz. Die ► Grafik 1.9 zeigt die Reihenfolge der Attraktivitätsfaktoren des Standorts Schweiz, wie sie subjektiv von den global tätigen Managern beurteilt werden.

      Ein ganz anderer, ebenso aussagekräftiger Indikator für den hohen Ausbildungsstandard in der schweizerischen Berufsbildung ergibt sich aus dem Qualitätsvergleich mit den Weltbesten: Bei den alle zwei Jahre durchgeführten Berufsweltmeisterschaften «World Skills Competition» mit rund 40 geprüften Berufsfeldern figurieren die schweizerischen Berufsabsolventen regelmässig in der Spitzengruppe, meist gleich nach Korea und allenfalls Japan, aber stets an erster Stelle unter den europäischen Nationen. In ► Grafik 1.10 ist die Spitzenrangierung der letzten vier Berufsolympiaden dargestellt. An der World Skills Competition 2013 in Leipzig massen sich 1000 Berufsleute unter 24 Jahren aus 54 Nationen in 46 Berufen. Dabei erzielten die Schweizer 17 Medaillen und 18 Diplome. In der globalen Gesamtwertung figurierten sie hinter Korea auf dem 2. Rang – vor allen europäischen Ländern.25

      Grafik 1.10

      Die Schweiz ist im internationalen Vergleich sowohl ein Hochlohn- als auch ein Hochpreisland (der ehemalige Preisüberwacher spricht aus Erfahrung). Nach Lehrbuchmodell müsste eigentlich die internationale Konkurrenzfähigkeit ihrer Wirtschaft wegen der Hochpreissituation strukturell Schaden nehmen. Doch das Gegenteil ist der Fall: In Bezug auf die Industrieproduktion, gemessen an der industriellen Wertschöpfung in Euro pro Kopf der Bevölkerung, liegt die Schweiz an der Spitze aller Industriestaaten – sie ist sogar höher als jene Deutschlands und der skandinavischen Länder, und auch weit höher als jene der USA (► Grafik 1.11).

      Grafik 1.11

      Auch in der Exportkraft liegt die Schweiz an der Spitze der europäischen Länder. Gemessen am Wert der totalen Warenexporte in Euro pro Kopf der Bevölkerung liegt die Schweiz an dritter Stelle, vor ihr liegen ­lediglich die Warentransitländer Belgien und Niederlande mit ihren Umschlaghäfen und euro­päischen Distributionszentren (► Grafik 1.12). Die Schweiz weist nicht nur Jahr für Jahr einen Handelsbilanzüberschuss, sondern auch einen Überschuss in der Ertragsbilanz auf, welche neben dem Warenverkehr auch die Dienstleistungen einbezieht. Mit anderen Worten, sie exportiert mehr, als sie importiert. Das Hochlohnland Schweiz ist extrem konkurrenzfähig (trotz oder vielleicht gerade «dank» der Behinderung durch den hohen Wechselkurs des Schweizer Frankens). Diese Befunde der starken exportorientierten und industriellen Performance stehen im Widerspruch zur weltweiten, klischeehaften Wahrnehmung der Schweiz als Land der Banken und des Tourismus («Banken, Matterhorn und Toblerone»).

      Grafik 1.12

      Die asiatischen Schwellen- und Transformationsländer gelten in der allgemeinen Wahrnehmung als die «gefährlichen», konkurrenzfähigen Newcomer auf den globalen Märkten. In Europa verdrängen sie mit ihren Exporten Millionen von Arbeitsplätzen in den traditionellen Industrien (wir werden in Kapitel 2 noch näher darauf eingehen). Dennoch ist die bilaterale Handelsbilanz des Hochlohnlandes Schweiz mit diesen wettbewerbsstarken, export­orientierten Niedriglohnländern Asiens und Südamerikas positiv: Mit allen Newcomern ausser mit China erwirtschaftet die Schweiz einen jährlichen Handelsbilanzüberschuss (► Grafik 1.13). Diese Länder benötigen auch Hochpreis-Industriegüter wie Textilmaschinen, Automaten, Roboter, Präzisions- und Messgeräte und Hochpreisuhren.

      Hochpreisländer wie die Schweiz, Deutschland, Österreich, aber auch die Länder Skandinaviens haben auf den Weltmärkten nur einen Wettbewerbsvorteil, wenn sie sich auf den Qualitätswettbewerb konzentrieren und sich aus dem reinen Preiswettbewerb von Massenkonsumgütern zurückziehen. Als Qualitätsmerkmale gelten zum Beispiel Präzision, Exaktheit, Innovation, Serviceleistungen, Termintreue oder Design – dies sind exakt jene Eigenschaften, die durch das Berufsbildungssystem in Kombination mit gutem, praxisorientiertem Management sichergestellt werden. Zusammengefasst heisst dies für uns: Nur der Qualitätswettbewerb und immer weniger der Preiswettbewerb garantieren die internationale Konkurrenzfähigkeit.

      Die starke Performance der schweizerischen Wirtschaft zeigt sich allerdings nicht nur für den industriellen Bereich, sondern auch im Dienst­leistungsbereich:


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