Die Akademisierungsfalle. Rudolf H. Strahm

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Die Akademisierungsfalle - Rudolf H. Strahm


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Banken.

      Aber auch der Binnensektor mit dem teuren, aber hochstehenden Gesundheitswesen (Spitäler) und der öffentlichen Verkehrs- und Telekommunikationsinfrastruktur hat ein hohes Niveau an Qualität und sprichwörtlicher Zuverlässigkeit.

      Die Lehre ist ein wichtiger Integrationsfaktor

      «Dank der Lehre habe ich es geschafft, in der Schweiz Fuss zu fassen und mich zu integrieren. Darauf bin ich stolz», sagt Nexhmije Hoxha-­Dauti. Stolz kann die 26-jährige Kosovarin in der Tat sein: Erst vor sieben Jahren kam die junge Frau ohne jegliche Deutschkenntnisse in die Schweiz. Inzwischen hat sie bereits erfolgreich eine dreijährige Lehre als Floristin absolviert, spricht Schweizerdeutsch und ist hier richtig gut angekommen. Doch was nach luftiger Leichtigkeit tönt, war in Tat und Wahrheit ein überaus hartes Stück Arbeit und hat viele Tränen, Anstrengung und Mühen gekostet.

      Es war die Liebe, die Nexhmije Hoxha-Dauti in die Schweiz brachte. Die damals 18-Jährige besuchte im Kosovo das letzte Jahr des Gymna­siums, als sie ihren heutigen Mann kennenlernte – einen gebürtigen Kosovaren mit Schweizer Pass, der in seiner alten Heimat in den Ferien weilte. Nach einem Jahr Fernbeziehung und dem Schulabschluss entschloss sich Nexhmije Hoxha-Dauti, zu ihm in die Schweiz zu ziehen.

      «Die ersten zwei Jahre waren extrem schwierig», erinnert sich Hoxha-Dauti. Sie habe nicht einmal alleine einkaufen gehen können, denn sie verstand kein Wort Deutsch und die Verkäuferinnen kaum Englisch. Ihr Mann habe sie zwar sehr unterstützt, ihr einen Deutschkurs nach dem anderen finanziert und zu Hause hätten sie bewusst nur deutsche Fernsehsender geschaut. «Aber das reichte einfach nicht», sagt Hoxha-Dauti. Alles war ihr fremd. Sie fühlte sich verloren und einsam. Ihr Mann, ein gelernter Bodenleger, arbeitete 100 Prozent und sie sass meist alleine zu Hause. Eine Zeitlang arbeitete sie als ungelernte Hilfskraft in einem Supermarkt. «Das war aber ganz schlecht für mein Selbstbewusstsein», erinnert sich die junge Frau. So hatte sie sich ihre Zukunft nicht vorgestellt. «Ich war drauf und dran, wieder in den Kosovo zurückzukehren», gesteht sie.

      Doch dann die erlösende Wende: Nexhmije hörte vom Integrationsjahr, das Berufsfachschulen für fremdsprachige Jugendliche und junge Erwachsene anbieten. «Das Integrationsjahr war meine Rettung», erzählt die zierliche Frau mit leuchtenden Augen. Endlich lernte sie andere Leute kennen, denen es ähnlich ging wie ihr. «Wir sassen alle im selben Boot und hatten vergleichbare Schwierigkeiten.» Doch wie weiter nach diesem Spezialschuljahr? Der Beruf der Drogistin hätte Nexhmije Hoxha-Dauti sehr interessiert. Denn wenn sie im Kosovo geblieben wäre, hätte sie Pharmazie studiert. «Aber dazu reichten meine Deutschkenntnisse damals nicht aus.» Schliesslich konnte sie bei einer Floristin schnuppern gehen und erhielt gleich die Möglichkeit, eine einjährige Vorlehre zu absolvieren.

      Der jungen Frau gefiel die Arbeit mit den Blumen und sie stellte sich geschickt an. So erhielt sie schliesslich einen Lehrvertrag für die dreijäh­rige Ausbildung zur Floristin. Ein wichtiger Meilenstein für Nexhmije Hoxha-Dauti. «Ich spürte, dass ich auch in diesem Land etwas erreichen kann.» Das erste Lehrjahr sei sehr anstrengend gewesen. Sie habe immer alles zwei- oder gar dreimal lesen müssen, um wirklich zu verstehen. «Ich habe in jeder freien Minute gelernt.» Das hat sich gelohnt. «Nach und nach machte ich bessere Noten und mein Selbstwertgefühl stieg von Tag zu Tag», erzählt sie. Sie sei im Kosovo immer eine gute Schülerin gewesen, deshalb habe es sie belastet, dass sie in der Schweiz anfangs so unten durch musste, lacht sie. Im allgemeinbildenden Unterricht habe sie viel über die Schweiz, ihr politisches und gesellschaftliches System erfahren. «Das hat mich immer sehr interessiert.» Und es half, die Fremdheit zu vertrieben.

      Im Sommer 2013 schliesslich konnte Nexh­mije Hoxha-Dauti ihre Lehre erfolgreich abschliessen. Heute arbeitet sie 90 Prozent auf ihrem Beruf. Bereut sie nie, dass sie nicht im Kosovo Pharmazie studiert hat? «Nein», entgegnet sie energisch, «ich habe eine Sprache gelernt und es geschafft, mich in einer neuen Kultur heimisch zu fühlen. Das ist für mich so oder so ein Riesengewinn.»

      Wie es für sie beruflich weitergeht, lässt die junge Frau offen. Sie kann sich gut vorstellen, eines Tages eine weitere Ausbildung in Angriff zu nehmen. Uhrmacherin würde sie interessieren oder eine Handelsschule. Sie schaut optimistisch in die Zukunft: «Mein Lehrabschluss ist meine Basis hier in der Schweiz. Darauf kann ich jetzt aufbauen.»

      Grafik 1.13

      Innovationskraft dank praxisorientiertem Bildungssystem

      Das Ranking im europäischen Innovationsindex platzierte die Schweiz vor High-Tech-Ländern wie Schweden, Deutschland, Dänemark, Finnland und den Niederlanden an die erste Stelle (► Grafik 1.14). Das «Innovation Union Scoreboard» der EU, in welchem die Schweiz mit einbezogen ist, basiert auf einem Sammelindex mit 24 Einzelindikatoren. Es fällt auf, dass unter den ersten sechs Ländern wiederum vier Länder mit einem dualen Berufsbildungssystem stehen, zwei weitere Länder Skandinaviens verfügen über ein hohes Niveau an nichtdualer Technikausbildung. In Bezug allein auf die KMU-Wirtschaft steht heute Deutschland an der Spitze. Dabei zeigt sich ein Paradox beim geforderten Bildungsniveau in den High-Tech-Ländern: Wie ► Grafik 1.15 zeigt, figuriert die Schweiz mit einer Rangierung der firmenbezogenen Absorptionsfähigkeit von Innovationen zwar im dritten Weltrang, aber in Bezug auf die Dichte der universitären Ingenieure und Naturwissenschaftler liegt sie bloss auf dem 35. Rang. Man müsste die Schweiz also nach dem Akademikerranking quasi als «Entwicklungsland» einstufen. Selbst Griechenland, Italien und Frankreich verfügen über grössere Anteile an Ingenieuren und Naturwissenschaftlern aus akademischen Bildungsinstitutionen.

      Grafik 1.14

      Dieses Paradox lässt sich indessen in zweifacher Hinsicht auflösen, was wir in den nachfolgenden Kapiteln dann auch vertieft analysieren wollen:

      •Erstens braucht es zwar gute Ingenieure, aber entscheidend für die Umsetzung von Innovationen sind auch hoch spezialisierte, innovations­orientierte Berufsfachleute wie Polymechaniker, Konstrukteure, Automatiker, Materialtechnologen, Beschichtungsspezialisten und viele mehr, die die neu entwickelten Prototypen auch herstellen und Innovationen laufend in die Praxis umsetzen können (siehe Kapitel 2). Es kommt eben nicht allein und sicher nicht in erster Linie auf die Zahl der universitären Fachkräfte an.

      Grafik 1.15

      •Zweitens haben wir in der Schweiz andere Fachkräfte: Die Innovation wird hier stark über die berufliche Weiterbildung und die Höhere Berufsbildung (sogenannte Stufe Tertiär B) vermittelt, die in den Akademikerquoten statistisch nicht sichtbar sind (siehe Kapitel 3).

      Auch hier bestätigt sich die These, dass die Akademikerquoten für sich allein nicht aussagekräftig sind für die wirtschaftliche Performance eines High-Tech-Industrielandes. Es braucht daneben auch berufspraktische Fachkompetenzen.

      Die Schweiz ist nicht wegen der Banken reich

      In den Rankings der internationalen Konkurrenzfähigkeit des World Economic Forum WEF (Genf/Davos) und des International Institute for Management Development IMD (Lausanne) findet man die Schweiz ständig in der Spitzengruppe der wettbewerbsfähigsten Nationen (► Grafik 1.16).

      Diese Einstufungen basieren teilweise auf objektiven Wirtschaftsindikatoren und teils auf subjektiven Einschätzungen durch internationale Manager, deren


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