Ein Rindvieh für Gaddafi. Günther Thömmes

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Ein Rindvieh für Gaddafi - Günther Thömmes


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aus, das würde ich auf den ersten Blick mal sagen. Und die Hände wurden nicht mit chirurgischer Präzision entfernt, sondern rabiat und brutal einfach abgeschlagen. Vielleicht mit einer Axt.«

      Wimmer fragte: »Erdrosselt? Und eine Axt? Wirklich?«

      »Könnte auch ein scharfes Schwert gewesen sein. Mehr dazu kann ich morgen sagen. Auch zur Art der Strangulierung. Die Zunge fehlt übrigens auch.«

      Wimmer runzelte seine buschigen Augenbrauen.

      »Die Hände abschlagen und die Zunge abschneiden, das ist entweder was Persönliches, Rache oder so. Oder etwas Rituelles. Bei den Moslems macht man das doch mit Dieben und Lügnern, stimmt’s?«

      Der erfahrene, routinierte Amtsarzt nickte.

      »Nun, lassen Sie uns nicht spekulieren. So was habe ich in meiner bisherigen Laufbahn noch nicht auf dem Tisch gehabt. Also, wir wollen jetzt erst mal feststellen, um wen es sich handelt und was ihm genau geschehen ist. Vielleicht hat er ja noch mehr erleiden müssen als das Abschlagen der Hände und den Verlust der Zunge. Wenn dem so ist, werde ich bis morgen alles wissen.«

      Aufgrund der offensichtlichen Brutalität des Mordes hatte man Wimmer als den höchstrangigen Kriminalbeamten gleich von Anfang an hinzugezogen. Die »höhere Kriminalistik« brauchte auch nur etwa 24 Stunden, um die Identität der Leiche zweifelsfrei zu ermitteln. Trotz fehlender Fingerabdrücke, die Zahnabdrücke halfen in diesem Fall weiter. Dazu gab es ein kurzes und wenig aufschlussreiches Dossier. Nun würde er mit den Ermittlungen beginnen können.

      Er ging in sein Büro. Sein nächster Anruf galt seiner Tanzpartnerin.

      »Du, Stummel, bevor du mich jetzt sekkierst wegen der Leich’ am Kai bei der Urania: Das ist im Moment Verschlusssache. Da darfst du noch nichts berichten.«

      Er zögerte kurz und lauschte ihrer Antwort.

      »Ich weiß selbst noch nicht viel. Und was ich weiß, bleibt einstweilen mal bei mir. Natürlich darfst du ein wenig was veröffentlichen, aber nur über die Leich’ an sich und die Umstände ihres Auftauchens. Mehr aber nicht. Wenn es was Neues gibt, das du schreiben darfst, sag ich dir Bescheid.«

      Er verabschiedete sich.

      »Bis morgen Abend beim Tanzen.«

      Dann holte er tief Luft. Das würde eventuell eine harte Nuss werden. Der Name und ein allererster Personencheck versprachen unter Umständen mehr Ärger und di­plomatische Verwicklungen, als ihm lieb sein konnten.

      Andererseits war es eine wunderbare Gelegenheit, Kompetenz zu zeigen. Vielleicht wäre doch noch eine Beförderung drin.

      Er hatte mittlerweile von ganz oben drei Wochen Zeit bekommen, den Mord aufzuklären. Ansonsten wäre die Kacke am Dampfen. Buchstäblich.

      Kapitel 2

      Ein paar Jahre früher.

      »Na gut, das bekomme ich hin.«

      Der Mann hängte den Hörer auf und verließ die dunkelgrün lackierte hölzerne Telefonzelle am Stephansplatz. Nicht ohne vorher noch mit der linken Faust an den Apparat zu klopfen und, als dieser die Rückgabe der zu viel eingeworfenen Münzen verweigerte, »Verdammter Münzfernsprecher« zu murmeln. Nachdem er die Tür hinter sich geschlossen hatte, purzelten drei Zweischillingmünzen in den Rückgabeschacht. Edgar verließ zügig den Platz vor dem Dom, bog links auf den Graben ein, marschierte, am Leopoldsbrunnen vorbei, bis zu dessen Ende, wandte sich dann links auf den Kohlmarkt und stand, nachdem er den Michaelerplatz überquert hatte, nach knapp zehn Minuten Fußmarsch bereits vor dem Bundeskanzleramt. Man kannte ihn dort, der Portier winkte ihn durch. Wie üblich würde er eine Weile warten müssen, bis er ins »Zigarrenkistl«, wie das Allerheiligste, das Büro des Bundeskanzlers, despektierlich genannt wurde – übrigens auch vom Kanzler selbst –, vorgelassen wurde. Flüchtig richtete er seinen Hemdkragen, knöpfte unter der Krawatte auch den obersten Knopf zu, nestelte an seinem dunkelblauen Sakko, bevor er im Gang vor dem Büro auf einem der unbequemen Stühle mit den roten abgeschabten Samtkissen Platz nahm. Seine Missionen waren immer auf äußerste Diskretion angelegt. Erst wenn alle Teilnehmer durch verschiedene andere Eingänge, damit sie sich nicht begegneten, eingetroffen waren, schlug seine Stunde. Diesmal dauerte es fast zwei Stunden, er war schon merklich ungehalten, bis sich die Tür endlich öffnete und Matthias, der immer übermäßig unterwürfig wirkende Adlatus des Kanzlers, ihn hereinbat.

      Bruno Kreisky saß an seinem monumental großen Schreibtisch, schaut bei Edgars Eintreten nicht einmal hoch und wirkte hochgradig beschäftigt. Matthias geleitete Edgar zu dem Konferenztisch mit den zehn Stühlen, je vier gegenüber und je einer an den Schmalseiten, von denen lediglich drei besetzt waren.

      Er kannte sie alle. Natürlich. Michel, der Besitzer des größten Schlachthauses von ganz Wien, und Fritz, im Alltag sein härtester Konkurrent, beide in grauen, schon leicht fadenscheinigen Anzügen. Sie konnten Brüder sein, wie sie so nebeneinandersaßen und bewusst anein­ander vorbeischauten, beide untersetzt, ein wenig feist und moppelig, mit kleinen, blitzenden Augen im rotbackigen Gesicht. Michels Nase war rot geädert, er trank mehr als Fritz. Beide hatten einen Ruf als schlitzohrige Geschäftspartner, auf die aber andererseits, wenn man auf ihrer Seite spielte, 100-prozentig Verlass war. Der dritte Mann bot einen wahrlich interessanten Kon­trast zu den anderen. Er trug einen weißen Suriyah, ein Gewand, das die meisten Menschen in Westeuropa nur »Kaftan« nannten, mit einer gürtelartigen Bauchbinde, darüber einen Mantel mit halblangen Ärmeln aus lindgrüner Wolle. Auf dem Kopf trug er eine Kofia, die Alltagskappe der Araber, wie um zu zeigen, dass diese Besprechung wenig formell war. Ansonsten trüge er einen Turban. Es war jedoch keine Geringschätzung, sondern Gesprächstaktik. Genauso wie die nichtssagende Mimik und die ins Leere blickenden Augen im hageren, sonnengebräunten Gesicht, unter denen eine imposante Hakennase herausragte. Edgar hatte sich vorab über die Gepflogenheiten seiner Geschäftspartner informiert.

      Keiner der drei Männer erhob sich zur Begrüßung. Edgar nickte den beiden Wiener Geschäftsleuten zu, vor dem Mann im Suriyah verbeugte er sich kurz mit vor der Brust gefalteten Händen, sagte knapp: »Prinz Ahmida, ich freue mich, Sie zu sehen«, und setzte sich an das Tischende, wo bereits ein Dossier und ein Häferl mit Kaffee offensichtlich auf ihn warteten. Er war Vermittler zwischen beiden Parteien, da stand ihm der Platz am Kopf des Tisches am ehesten zu. Kreisky selbst würde nicht teilnehmen, der stellte mit seinem Büro nur den passenden Rahmen für diese höchst heiklen diplomatischen Zusammenkünfte zur Verfügung, von denen nicht nur die Presse, sondern auch sonst niemand außerhalb ihres Zirkels jemals Wind bekommen durfte.

      Matthias hatte sich bereits zurückgezogen, daher hielt sich Edgar nicht lange mit Small-Talk-Floskeln auf und kam gleich zur Sache.

      »Prinz Ahmida, Sie sind hier im Auftrag Ihres Führers Muammar al-Gaddafi.«

      Der Prinz ergänzte mit nachsichtigem Nicken:

      »Das ist korrekt, auch wenn unser Staatsoberhaupt mit vollem Namen Mu’ammar Muhammad Abdassalam Abu Minyar al-Qaddhafi heißt.«

      Edgar lächelte. Erst einmal die Fronten prüfen und abstecken. Rhetorisch, diplomatisch.

      »Unser Bundeskanzler Bruno Kreisky – nicht unser Staatsoberhaupt, aber der Regierungschef«, jetzt lächelte der Prinz darüber, dass Edgar die Spitze so gut parierte, »besuchte vor zwei Jahren Ihr wunderschönes Land und traf in Wadi Jarf mit Ihrem Staatsoberhaupt zusammen. Daraus entwickelte sich eine freundschaftliche Beziehung, als deren Kulminationspunkt wir nun hier zusammentreffen.«


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