Das Mündel des Apothekers. Stefan Thomma

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Das Mündel des Apothekers - Stefan Thomma


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      Katharina schämte sich fürchterlich, als sie von den Stadtwachen zum Rathaus gebracht wurde. Jeder, der ihr begegnete, glotzte ihr nach.

      »Was hat die denn ausgefressen?«, hörte sie jemanden lachen.

      Das Loch, wie man das Gefängnis im Rathauskeller nannte, diente als Arrestzelle, bis der Prozess abgeschlossen war. Katharina hatte Mühe, die bucklige Steintreppe hinabzusteigen, ohne zu stolpern. In den fensterlosen Raum drang weder Tageslicht noch frische Luft. Auf dem Steinboden war etwas Stroh ausgelegt, das nach Schweiß und Urin stank. Das Apothekermündel kauerte sich in eine Ecke des Kerkers und umschlang ihre Beine mit den Händen.

      Verhaftet wegen Hexerei! Wie kommen die da nur drauf? Hatte das mit der seltsamen Ohnmacht zu tun? Katharina erinnerte sich, dass sie vor einigen Tagen verfolgt und, nachdem sie das feuchte Tuch im Gesicht spürte, ohnmächtig wurde.

      Als sie in Mathildas Kräutergarten damals wieder zu sich gekommen war, setzte gerade die Morgendämmerung ein. Sie fühlte sich elend. Ihr Kopf brummte, als hätte sie ein Wespennest in den Haaren. Ihr war speiübel und sie fror, als hätte sie die Nacht in einem Regenfass verbracht. Erst da bemerkte Katharina, dass ihr Kleid zerfetzt war. Sie blickte mehrmals um sich, aber es war niemand zu sehen. Nur langsam kam die Erinnerung zurück, dass sie am Vorabend von einer dunklen Gestalt überfallen worden war.

      Was hatte der mit mir gemacht? Wer war das? Wäre es nur nicht schon so dunkel gewesen! Hatte er vielleicht Bocksfüße? War der Verfolger der Teufel? Vielleicht war ich auf einem Hexensabbat gewesen und kann mich nur nicht mehr dran erinnern? Eine weitere Welle der Angst durchfuhr das Apothekermündel. Sie musste schlucken und bekreuzigte sich.

      Oder steckte hinter alledem nur Heidrun, die Bäckersbase, die sich an ihr rächen wollte?

      Schon während der Niederkunft hatte sie Katharina als Hexe beschimpft. Aber dass diese so weit ging, hätte sie ihr nicht zugetraut. Die Gedanken kreisten in Katharinas Kopf. Wann würde die peinliche Befragung beginnen? Man berichtete von unsagbaren Schmerzen über Stunden hinweg.

      Drei Stockwerke über ihr berichtete der Bader dem Bürgermeister von seinen neuen Erkenntnissen.

      »Jeder sieht in dem Zeichen, was er kennt oder was er sehen will. Das umgedrehte V mit dem Kreuz darüber ist für Pastor Widmann ein Berg mit einem Gipfelkreuz. Wenn man das Ganze aber umdreht, könnte es dann nicht auch eine Schlucht darstellen und ein umgedrehtes Kreuz? Die Schlucht zur Hölle mit dem Teufelszeichen, dem umgedrehten Kreuz?«

      »Hör auf, von so etwas zu sprechen!« Schillingers Gesichtsfarbe wechselte in ein fahles Grau.

      »Ich war aber auch bei Richter Seefried, der im Stadtarchiv interessante Aufzeichnungen fand. In den alten Akten zu den Hexenprozessen von 1590 wurde er fündig. Die angeklagten Hexen hatten immer wieder berichtet, nicht sie seien schuld am Tod von den Betroffenen, sondern ein Wiedergänger. Wenn man über das Kreuz bei dem Zeichen einen Kreis malt, entsteht eine Strichzeichnung eines Menschen. Aber ein Wiedergänger ist ja bekanntlich ohne Kopf. Daher das umgedrehte V mit dem Kreuz drüber.«

      »Mit so übersinnlichen Dingen bin ich so empfindlich! Am liebsten hätte ich damit nichts zu tun!«

      »Das bedeutet im Klartext, ein Wiedergänger hat der Bäckerin das Zeichen eingeritzt! Aber die einzige Selbstmörderin und so der einzige Wiedergänger in den letzten Jahren ist die Bäckerin. Sie soll sich das selbst eingeritzt haben? Am Hintern?«

      »Oder der Satan höchstpersönlich!« Schillinger bekreuzigte sich und musste unwillkürlich schlucken. Heftiges Anklopfen ließ den Bürgermeister zusammenzucken. Ohne hereingebeten zu werden, stürmte der Totengräber ins Amtszimmer.

      »Wir haben ein weiteres Opfer zu beklagen, Herr Bürgermeister! Heute früh, unweit der letzten Fundstelle, hat Mathilda Holzinger einen leblosen Frauenkörper gefunden.«

      »Verflucht!«, rutschte Schillinger heraus.

      »Und sie hatte auch wieder das Zeichen am Hintern«, fügte Griebel hinzu.

      »Der Wiedergänger. Das hat gerade noch gefehlt, so eine Mordserie. Gut, Griebel. Macht Eure Arbeit weiter. Ach, geht vorher noch zum Stadthauptmann. Den muss ich dringend sprechen.«

      »Selbstverständlich, Herr Bürgermeister«, erwiderte ihm der Totengräber mit gesenktem Kopf und schloss die Türe hinter sich.

      »Meine Güte, wenn wir dem Übeltäter nicht bald das Handwerk legen, können wir uns auf etwas gefasst machen«, murmelte Schillinger vor sich hin. Das Übersinnliche, der Teufel und alles nicht Greifbare, jagte dem Ratsherren eine fürchterliche Angst ein.

      »Herr Bürgermeister, Ihr wolltet mich sprechen?«, fragte der Stadthauptmann.

      »Stracke, Ihr verdoppelt die nächtlichen Wachen bis auf weiteres. Es gab erneut ein Opfer durch diesen Wiedergänger. Haltet besonders das Gerberviertel im Auge. Dort wurde heute schon wieder ein Mädchen gefunden.«

      »Glaubt Ihr wirklich, dass es von Nöten ist, jetzt, wo die Apothekerhexe im Gefängnis sitzt?«

      »Welche Apothekerhexe? Wovon redet Ihr?«

      »Na, vom Riesingermündel. Heidrun, die Base der Bäckerin, hat sie der Hexerei bezichtigt. Und bis der Vorfall geklärt ist …«

      »Seid Ihr wahnsinnig, Stracke!«, unterbrach ihn Schillinger. »Ihr steckt ohne mein Wissen die Tochter eines Ratsmitglieds ins Loch! Noch dazu die Tochter vom ehrwürdigen Apotheker. Wollt Ihr dieselbe Massenhinrichtung wie vor 30 Jahren? Auf der Stelle bringt Ihr mir die Riesingertocher hierher. Und wehe, Ihr fasst sie unsittlich an, Stracke, dann Gnade Euch Gott! Und jetzt geht mir aus den Augen!«

      Kapitel 5

       Nördlingen, 13. Oktober Anno Domini 1636 2 Jahre später

      Knisternd loderten die Flammen auf, als Elfriede ein Holzscheit in die Glut nachlegte. Riesinger bedankte sich mit einem Nicken, woraufhin die Haushälterin das Arbeitszimmer wieder verließ. Der Kaufmann Josef Hofmeister schwenkte den Rotwein in seinem Kelch und beobachtete das Feuer im Kamin. Danach wendete er sich wieder seinem Gesprächspartner zu.

      »Ja, mein Wilhelm ist ein paar Jahre älter als deine Tochter. Aber daran wird sie sich schon gewöhnen. Wichtig ist doch die gute Verbindung zweier so erfolgreicher Kaufmannsfamilien. Und vor allem sind sie sich nicht fremd. Sie kennen sich schon ihr ganzes Leben.«

      »Dann sind wir uns ja einig«, freute sich Riesinger und streckte Hofmeister seine Hand entgegen.

      Neugierig schaute Katharina aus dem Fenster, als der alte Hofmeister das Apothekerhaus verließ.

      »Was wollte der denn hier?«, fragte sie ihren Stiefvater. »Ich dachte, unsere Familie hat seit Jahren mit den Hofmeisters Streit?«

      »Nicht mehr. Wir haben uns versöhnt. Er wird dein Schwiegervater werden. Damit haben wir es besiegelt.«

      »Wie bitte? Und wer soll das sein, den ich heiraten soll? Doch nicht etwa der Wilhelm, dieser Spinner!«

      »Für unsere Familie ist es das Beste. Durch den Zusammenschluss wirst du einen dir kaum vorstellbaren Reichtum erwirtschaften können.«

      »Und was soll ich mit dem ganzen Geld und Reichtum, wenn ich unglücklich bin und einen Spinner als Mann habe?«

      »Jetzt reiß dich zusammen! Dutzende Weiber in Nördlingen wären froh, sie hätten einen Mann wie Wilhelm Hofmeister! Glaubst du, ich konnte heiraten, wen ich wollte? Hochzeiten werden nun mal arrangiert. Nicht einmal unser deutscher Kaiser hatte eine Wahl!«

      »Das ist mir egal! Den werde ich jedenfalls nicht heiraten! Vorher gehe ich ins Kloster!«, schrie Katharina und rannte die Treppen hinauf in ihre Kammer.

      Weinend und schluchzend lag sie auf ihrem Bett. Wie konnte ihr Stiefvater ihr das nur antun. Sie hatte immer damit gerechnet, dass sie nicht den Mann ihrer Wahl heiraten konnte, aber ausgerechnet diesen Irren.

      Die Hofmeisters handelten auch seit vielen Generationen mit Stoffen und edlen Tuchwaren, weshalb die Konkurrenten


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