Hinter hessischen Gittern. Esther Copia

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Hinter hessischen Gittern - Esther Copia


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von Jan Gerber, dass sie eine gemeinsame Kasse unterhielten, die Abschak genannt wurde. Jeder Landsmann, der in Haft kam, wurde sofort von der Russengemeinschaft mit Kaffee und Tabak versorgt. So weit, so gut, aber die Zinsen waren hart. Wenn er dann Geld verdiente, musste er seine Schulden eins zu zwei zurückzahlen. Wenn er ein Päckchen Tabak erhalten hatte, musste er dafür zwei Päckchen an die Gemeinschaft zurückzahlen. Eigene Gesetze innerhalb der Mauern.

      Sie schaute sich die anderen Insassen nun genauer an. Wer war hier drin mit wem befreundet? Wer hatte am Wochenende Besuch? Irgendwie mussten die Drogen ja in den Knast kommen. Es war bekannt, dass oft die Angehörigen der Gefangenen Drogen reinbrachten, da nützte das ganze Abtasten nichts, denn die Frauen oder auch Männer versteckten die Drogen in ihren Körperöffnungen und gingen während des Besuchs auf die Toilette und holten die Päckchen hervor. Blitzschnell wurde dann beim Abschiedskuss das Suchtmittel weitergegeben. Auch wenn man den Gefangenen nach dem Besuch untersuchte und abtastete, hatte man wenig Erfolg, der Gefangene hatte die Drogen bereits geschluckt, und so waren sie für die Kontrolle nicht auffindbar. Ein ewiges Katz und Maus Spiel. Maria schaute auf die Besucherliste, aber hier war, was Häufigkeit und zeitliche Abfolge betraf, nichts Auffälliges zu entdecken. Ribeiro bekam immer nur Besuch von seiner Mutter. Kurz bekam überhaupt keinen Besuch, und Hattinger hatte den letzten Besuch von einem Hartmut Siebert erhalten. Maria öffnete eine andere Seite, um nachzusehen, ob Hartmut Siebert schon einmal in Dieburg eingesessen hatte. Bingo – er hatte zwei Jahre zuvor wegen Verstoß gegen das Betäubungsmittelgesetz gesessen. Sie schloss die Seite und schaute aus ihrem Büro in die Gefangenenstation. Ribeiro war gerade dabei, in Hattingers Zelle zu verschwinden.

Donnerstag, 6. September

      1

      Frankfurt, die Hitze war kaum auszuhalten. Über Monate hatte es nicht geregnet. Beton und Asphalt waren dermaßen aufgeheizt, dass auch die Nächte keinerlei Abkühlung brachten. In den Häuserschluchten hielt sich die Hitze unerbittlich. Staub und Abgase machten den Menschen zudem zu schaffen. Die Fahrt nach Frankfurt in einem überfüllten Zug war für Frank Hattinger alles andere als angenehm, jedoch wollte er ein wenig räumlichen Abstand zwischen sich und die JVA Dieburg bringen. Ein Internetcafé in Darmstadt war ihm zu gefährlich, jederzeit hätte er entdeckt werden können. Frankfurt war größer, anonymer. Hier würde er nicht so schnell auffallen. Mit kreischenden Bremsen hielt der Zug im Frankfurter Hauptbahnhof. Hattinger blickte sich um. In der Bahnhofshalle war es etwas kühler als auf der Straße. Menschen eilten an ihm vorbei. Wenige Minuten zuvor hatte er eine ominöse SMS aus der Schweiz erhalten. Nur eine Buchstaben- und Zahlenkombination mit der Endung »onion«. Zunächst wollte er wissen, was es mit diesem Code auf sich hatte. Was wollten diese Schweizer von ihm? Danach würde er am Bahnhof nach einem süßen Kerl Ausschau halten.

      Im Internetcafé angekommen, kaufte er sich eine Cola und nahm an einem Rechner in der Ecke Platz. Mit schweißnassen Händen gab er den Code ein. Nichts. Was war falsch? Die Endung – onion – brachte ihn drauf. Es war ein Code für das Darknet. Nach einigen Minuten, die ihm wie Stunden vorkamen, hatte er es geschafft. Er war in einem Chatroom, in dem er einige Fragen beantworten musste. Kurz darauf las er das Angebot:

      Deine Erfahrung kann dir viel Geld bringen. Entführung einer Frau. Bezahlung € 20.000,-- in Bitcoins.

      2

      Maria wusste nicht, wie sie die Hitze überstehen sollte. Im Gefangenenhaus war die Luft dermaßen stickig, dass sie froh war, als sie in die Verwaltung musste. Der alte Klosterbau mit seinen dicken Mauern war deutlich kühler als das Hochhaus aus Beton. Sie ging durch den langen Flur zum Büro von Richard Meurer. Sie musste ihm von Hattingers Besuch erzählen und dass dieser möglicherweise die Drogen in die Anstalt geschmuggelt hatte. Sie hasste es, zu Meurer zu gehen, aber da Hattinger mit der Beschaffung von Drogen zu tun hatte und sich täglich im Ausgang befand, musste dies unbedingt gemeldet werden. Sie klopfte an, und als sie nichts hörte, öffnete sie langsam die Tür. Richard Meurer saß hinter seinem großen Schreibtisch, der bis auf eine Tageszeitung, die er vor sich ausgebreitet hatte, leer war.

      »Kommen Sie ruhig rein und setzen Sie sich.« Meurer sah nicht auf und wies mit vager Geste auf einen Stuhl vor seinem Schreibtisch. Das Büro war sehr groß und spartanisch eingerichtet. Offensichtlich war er noch ganz in einen Zeitungsbericht vertieft, erst einige Sekunden später sah er sie erstaunt an.

      »Was führt Sie zu mir, Frau Saletti?« Er nahm die Lesebrille nicht ab, sondern schaute über sie hinweg, was seinem Gesicht einen skeptischen Ausdruck verlieh.

      »Herr Meurer, ich wollte Ihnen mitteilen, dass möglicherweise der Gefangene Hattinger für den Drogenschmuggel verantwortlich ist. Ich habe die Besucherliste überprüft und festgestellt, dass Frank Hattinger von einem Mann Besuch bekommt, der hier einmal wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz inhaftiert war.« Maria schluckte nervös, Meurers Blick schüchterte sie ein.

      »Glauben Sie, dass Hattinger seinen Ausgang durch Drogenschmuggel für andere Insassen aufs Spiel setzt? Er ist ja nachweislich nicht abhängig. Er wurde, soweit ich es in Erinnerung habe, die letzten Jahre immer negativ auf Drogen getestet. Sonst hätte man ihn ja auch nicht in den Freigang lassen können. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Hattinger, nach so vielen Jahren im geschlossenen Vollzug, seine kleine Freiheit aufs Spiel setzt. Wissen Sie, es ist selten, dass ein Gefangener aus dem geschlossenen Vollzug fast täglich in den Ausgang darf. Jeder Verdacht muss normalerweise sofort mit einer Ausgangssperre geahndet werden. Wollen wir das, Frau Saletti? Haben Sie denn Beweise?« Er machte eine bedeutungsvolle Pause und fuhr dann fort. »Ich glaube, Sie müssen noch an anderer Stelle suchen, aber gut, dass Sie so aufmerksam sind.« Er durchbohrte sie mit seinem Blick, Maria wusste, für ihn war das Gespräch beendet. Er konnte es ihr nicht deutlicher zeigen.

      »Gut, Herr Meurer, dann halte ich weiter die Augen offen.« Maria wartete auf eine Antwort, bekam aber nur ein Nicken. Langsam schob sie den Stuhl nach hinten, der dabei laut über den Fußboden knarzte. Dieses Geräusch hallte in ihren Ohren, und sie wäre am liebsten im Boden versunken.

      Betont aufrechten Ganges verließ sie das Büro. Es war mehr als deutlich geworden, Richard Meurer hielt ihre Verdächtigungen für puren Blödsinn. Enttäuschung stieg in ihr auf, die Herren der Schöpfung in diesem Haus nahmen Frauen nicht ernst. Sie war sich sicher, wenn ein Kollege mit diesem Hinweis bei Meurer aufgetaucht wäre, hätte er ihn nicht so brüsk abgewiesen. Sie ging zur Damentoilette und ließ kaltes Wasser über ihre Handgelenke laufen. Es war fast wie zu Hause, als ihr Vater noch bei ihnen wohnte. Was sie und ihre Mutter sagten, wurde oft als Unsinn abgetan, ein Umstand, der sie schon damals wütend machte. Sie nahm den Aufgang zur Zentrale, wo Rolf Klein an diesem Tag Dienst hatte. Als sie den Raum betrat, hörte sie die letzten Worte einer Einsatzbesprechung.

      »Müller, bitte heute den Gefangenen El Abdelkader unter Verschluss lassen. Für den Gefangenen Burasi gilt das Gleiche. Die zwei sind gestern Abend aufeinander losgegangen, wir müssen erst mit dem Sicherheitsdienstleiter Gerber besprechen, wie es mit den beiden weitergehen soll. Danke, meine Herren.« Rolf Klein hatte sofort beim Eintreten von Maria gesehen, dass etwas nicht in Ordnung war. Als die anderen Kollegen gegangen waren, sah er Maria in die Augen.

      »Na, was ist passiert? Welche Laus ist dir denn über die Leber gelaufen?« Klein nahm sich einen Kaffee und schenkte Maria auch eine Tasse ein.

      »Ich war bei Meurer, um ihm den Verdacht wegen Hattinger mitzuteilen. Der nimmt mich einfach nicht ernst.« Maria nahm die Tasse Kaffee und setzte sich auf einen Stuhl gegenüber von Klein.

      »Ja, der Meurer, der ist echt mit Vorsicht zu genießen. Es kursieren Gerüchte aus der Zeit, als er Chef vom Ausbildungsseminar war. Man sagt ihm nach, er halte nichts von Frauen im Männervollzug. Irgendwas muss dort auch mal vorgefallen sein, aber alle, die damals vor Ort waren, hüllen sich in Schweigen.«

      »Kein Wunder, er kann dir mit Blicken mitteilen, dass er dich für blöd hält.« Maria nahm einen großen Schluck Kaffee. »Ab sofort halte ich meine Klappe.« Maria nahm den letzten Schluck und stellte die Tasse in die Spüle.

      3

      Sie fühlte sich schwer, müde und ausgelaugt. Die Fahrt von Frankfurt


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