Hinter hessischen Gittern. Esther Copia

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Hinter hessischen Gittern - Esther Copia


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an der Ostsee und träumte sich bereits an den Strand. Zu Hause angekommen, stellte sie sich unter die kalte Dusche, zog ein leichtes Kleid an und setzte sich in den Schatten auf ihrer Terrasse. Dirk war nicht da. Sicherlich würde er noch in seinem Büro versuchen zu retten, was nicht mehr zu retten war. Sie spürte ein großes Bedürfnis nach Ruhe und hätte sich am liebsten hingelegt, geschlafen und über nichts mehr nachgedacht. Sollte sie versuchen, Dirk zu erreichen und mit ihm reden? Nein, es war an ihm, das wieder geradezubiegen, was er verbockt hatte. Die Vorfreude auf den Urlaub ließ sie aufstehen, um die ersten Urlaubsutensilien zusammenzusuchen. Sie würde heute Abend schon ihren gepackten Koffer ins Auto bringen, so müsste sie morgen früh nur noch Katie und ihre Handtasche schnappen und könnte nach einer kleinen Gassirunde die Fahrt antreten. 860 Kilometer waren zu bewältigen, aber mit einem guten Hörbuch und ab und an einer Pause wäre sie am Nachmittag sicherlich im Hotel.

      4

      Ribeiro versuchte, ruhig zu bleiben. Er lief im Stationsflur auf und ab, dann setzte er sich wieder kurz auf den Stuhl, den er vor seine Zelle gestellt hatte. Wann endlich würde Hattinger vom Ausgang zurückkommen? Die Schmerzen waren kaum auszuhalten. Er brauchte dringend einen Schuss. Endlich sah er Hattinger in Begleitung eines Beamten die Treppe zur Station hochkommen. Als der Beamte Hattingers Zelle aufgeschlossen hatte und außer Hörweite war, sagte Ribeiro leise:

      »Frank, hast du was für mich dabei?«

      »Halt die Fresse und wart’s ab.« Hattinger verschwand in seiner Zelle. Ribeiro war drauf und dran, einfach die Zellentür aufzureißen, er konnte sich kaum noch beherrschen. Sein Körper schrie nach dem Gift, das Sekunden, nachdem er es sich gespritzt hatte, seine entspannende Wirkung zeigen würde. Die Schmerzen hätten augenblicklich ein Ende, und er würde sich sicher und geborgen fühlen, wie in Watte gepackt. Nach etwa fünf Minuten, die Carlos wie eine Ewigkeit vorkamen, hörte er Hattinger rufen:

      »Komm rein und verdien dir dein Leckerchen.« Ribeiro atmete tief durch und ging in die Zelle. Frank Hattinger saß mit runtergelassener Hose auf seinem Bett und zeigte mit seinem rechten Daumen auf seinen steifen Schwanz.

      »Bemüh dich, sonst wird es nix mit dem Stoff.« Ribeiro schluckte und machte sich an die Arbeit.

Freitag, 7. September

      1

      Vogelzwitschern und ein Sonnenstrahl ließen sie am darauffolgenden Morgen erwachen. Sie rekelte sich in ihrem Bett und genoss es, ohne Zeitdruck aufzustehen. Dirk war offensichtlich irgendwann in der Nacht nach Hause gekommen, da hatte sie bereits geschlafen. Er lag neben ihr und schlief tief und fest. Die Sorgen hatten ihn gezeichnet. Tiefe Falten auf der Stirn und um seinen Mund waren Zeugen der letzten anstrengenden Monate. Sie konnte ihm nicht böse sein, sicherlich würde er sie heute im Laufe des Tages anrufen und um Verzeihung bitten. Eine Woche Abstand, in der sie Kraft tanken konnte, würde beiden guttun. Sie schlüpfte leise aus dem Bett und gab Katie ein Zeichen. Gemeinsam schlichen sie aus dem Schlafzimmer, und kurz darauf rieselte kühles Wasser ihren Körper herunter. Ihre Lebensgeister waren geweckt. Sie zog ein leichtes Sommerkleid an, band ihre langen Haare zu einem Zopf zusammen und legte ein wenig Make-up auf. Nachdem sie ihren Espresso getrunken hatte, sah sie auf die Uhr, 8.20 Uhr. Sie war gut in der Zeit. Sie nahm Katies Leine von der Garderobe, schnappte sich ihre Handtasche und sah noch kurz hinein. Alles war an seinem Platz, und den Koffer hatte sie am Vorabend bereits in den Kofferraum gelegt. Als sie die Haustür öffnete, flitzte Katie schwanzwedelnd an ihr vorbei. Ihr Auto stand in der Auffahrt, sie stellte ihre Handtasche hinein, verriegelte den Wagen und ging mit ihrem Hund in den angrenzenden Wald. Die Vögel zwitscherten, und noch war die Luft einigermaßen frisch, aber schon bald würden die Temperaturen auf 35 Grad klettern. Unerträglich im Rhein-Main-Gebiet.

      Nach etwa 200 Metern blieb Katie plötzlich stehen und spitzte die Ohren. Wie versteinert ging sie keinen Meter mehr weiter, und als Susanne an ihr vorbeiging und sie lockte, fing sie an zu fiepen. »Katie, nun komm, was ist los mit dir?« Der Hund bewegte sich nicht und knurrte. Plötzlich vernahm Susanne ein Knacken. Kam es von vorne? Oder ächzte der Wald unter der wochenlangen Hitze?

      »Hallo?«, rief sie, »ist da jemand?« Was für eine lächerliche Frage, dachte sie, und dennoch kroch die Angst in ihr hoch. Schnell drehte sie sich auf dem Absatz um und suchte mit dem Blick ihren Hund, der zwischenzeitlich einige Meter weiter wieder zu knurren anfing. Sie hatte nichts bei sich, was sie als Waffe nutzen konnte. Der Autoschlüssel war auch nur noch ein kleines Teil aus Plastik. Sie sah sich um, aber da war nichts. Es gab sicherlich 1.000 harmlose Erklärungen. Warum hatte sie also so eine Angst? Aus dem Augenwinkel registrierte sie eine Bewegung, aber da war es bereits zu spät.

      2

      Maria hatte Frühdienst auf der Station II5.

      Einige Gefangene mussten zum Arzt, und Frank Hattinger hatte sie bereits um 6.30 Uhr an die Pforte gebracht. Als die Arbeiter in den Werkbetrieben waren, begann sie mit den routinemäßigen Zellenkontrollen. Hausarbeiter Savic stand auf dem Flur mit Schrubber und Wassereimer und wischte akribisch den Fliesenboden. Nach einigen Minuten kam er an der Zelle vorbei, in der Maria gerade eine Kontrolle durchführte. Er blieb im Türrahmen stehen und flüsterte:

      »Hey, Frau Saletti, ist Ihnen was an Ribeiro aufgefallen?«

      »Nein, er lag heute Morgen im Bett und hat sich krankgemeldet. Ich will ihn nachher zum Revier bringen, sobald der Arzt im Haus ist. Warum?«

      »Na, der ist total drauf.« Savic nahm seinen Putzlappen, tauchte ihn in das Wischwasser, wrang ihn aus und putzte weiter. Maria hielt mit ihrer Kontrolle inne und ging auf den Flur.

      »Hier haben die Wände Ohren, Frau Saletti«, flüsterte Savic und blickte ihr bedeutungsvoll in die Augen. Maria war klar, im Flur würde Savic kein Wort mehr sagen, sie musste nachher Zeit finden, ihn irgendwie unter vier Augen zu sprechen. Sofort hatte sie eine Idee. Laut sagte sie:

      »Herr Savic, wir müssen später etwas aus dem Keller holen. Ich brauche unbedingt einen neuen Stuhl in meinem Büro. Okay?«

      Savic verzog keine Miene, sah devot zu Boden und sagte:

      »Geht klar, Frau Saletti.«

      Maria schloss die kontrollierte Zelle ab und ging direkt zum Büro von Jan Gerber.

      »Guten Morgen, Jan, hast du kurz Zeit für mich?«

      Gerber saß, wie fast immer, vor seinem Computer und sah nur kurz auf, als Maria sein Büro betrat.

      »Ja, sicher, was gibt es denn?«

      »Ich glaube, ich bekomme heute den Hinweis, wie Ribeiro an das Heroin kommt.«

      Gerber drehte sich blitzschnell mit seinem Bürostuhl um und rieb sich das Kinn.

      »Interessant, wer ist dein Informant?«

      »Dragan Savic will mir erzählen, von wem Ribeiro das Dope hat. Er hat gerade eben im Flur so Andeutungen gemacht. Aber gleichzeitig hat er auch gesagt, dass hier drin die Wände Ohren haben.« Maria setzte sich auf einen Stuhl direkt Gerber gegenüber.

      »Ich dachte, ich nehme ihn später mit in den Keller, um einen neuen Stuhl für mein Büro zu holen. Vielleicht rückt er dort mit der Sprache raus?« Maria sah Jan fragend an.

      »Er möchte sicher dafür eine Vergünstigung haben. Was glaubst du, wird er wollen: mehr Telefonate, oder einen Sonderbesuch?« Gerber sah Maria an.

      »Nein, ich glaube, der will nur öfter in den Sportraum, das können wir einrichten, oder?«

      »Aber klar, wenn der mir sagt, wie der Dreck hier reinkommt, kann der jeden Morgen Sport machen, bis er umfällt.«

      »Gut, Chef, dann bist du informiert und weißt, warum ich mit Savic im Keller rumschleiche. Vielleicht könntest du irgendwo in der Nähe sein, ohne dass Savic das mitbekommt. Das wäre mir, ehrlich gesagt, lieber.«

      »Klar, ich bin im Treppenabgang am Sportraum. Solltest du mit Savic Probleme bekommen, bin ich gleich in deiner Nähe.«

      »Gut, Jan, dann mache ich mich mal auf den Weg.«


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