Hinter hessischen Gittern. Esther Copia
Читать онлайн книгу.Morgen, meine Schöne«, sagte er und hauchte ihr einen Kuss auf die Stirn. »Wie war deine Joggingrunde?« Er nahm sich im Vorbeigehen ein Brötchen aus dem Korb und setzte sich zu Susanne an den Frühstückstisch.
»Es war heute besonders schön. Die frische Luft am Morgen tut nach so einer Tropennacht gut. Erst ab 5 Uhr kühlt es ein wenig ab, und wenn man dann so gegen 6.30 Uhr durch den Wald läuft, ist es, als würde man eine erfrischende Dusche nehmen.« Sie strahlte ihn an.
»Ich kann dem morgendlichen Gerenne nichts abgewinnen, tut mir leid. Da gehe ich doch lieber Golf spielen.« Sein Blick war leer, er sah deprimiert aus.
»Da wir hier so nahe am Wald wohnen, wäre es eine Schande, wenn ich das mit Katie nicht nutzen würde.« Sie sah ihre Hündin an, die sich mittlerweile in ihren Hundekorb neben dem Kamin verzogen hatte. »Wie kommst du mit der Klage gegen JAJK Investment voran?« Maria fragte vorsichtig, da sie wusste, mit JAJK Investment traf sie bei ihrem Mann einen wunden Punkt. Er blickte sie verloren an und erwiderte:
»JAJK Investment ist wahrscheinlich nicht beizukommen. Ich habe heute Nacht noch mit Anlegern aus den USA geskypt, auch sie sind betrogen worden. Wir werden eine Sammelklage in den USA einreichen. Was wir jedoch damit erreichen werden, ist fraglich.«
3
Maria schlug mit ihrem großen Schlüsselbund kurz an die Zellentür 525. Eine freundliche Geste ihrerseits, damit der Gefangene, falls er nackt war oder auf der Toilette saß, vorgewarnt war. Gerade in dem Moment, als sie aufschließen wollte, hört sie über Funk den Alarm.
»Alarm auf Station II3, Alarm Station II3.« Blitzschnell zog Maria den Schlüssel aus dem Schloss und rannte die zwei Stockwerke hinunter zur Station II3. Sie und zwei andere Kollegen kamen zeitgleich dazu, als ein offensichtlich verwirrter Gefangener die Schöpfkelle um sich herumschleuderte und schrie:
»Kommt nur her, dann ziehe ich euch das Ding über den Schädel.« Er blickte wirr um sich und tanzte über den Stationsflur. Einige andere Insassen, die die Szene amüsiert beobachteten, lachten ihn aus. Maria zog ihre schnittfesten Sicherheitshandschuhe an, die sie immer am Gürtel trug, und machte sich bereit. Andere Kollegen, die zwischenzeitlich eingetroffen waren, gaben sich ein stilles Zeichen, welches bedeutete, dass sie von der anderen Seite der Station an den Gefangenen gelangen wollten. Der junge Mann tanzte wie vom Teufel besessen über den Flur und schlug dabei immer wieder mit der Kelle an die noch verschlossenen Zellentüren. Er hatte offensichtlich den großen Teebehälter vom Essenswagen gerissen, und einige Liter Tee überschwemmten den Flur. Maria sah sich im Geiste schon mit ihm kämpfen. Da kam ihr eine Idee. Sie nickte ihren Kollegen zu und ging dann völlig unbeeindruckt und entspannt den langen Flur auf den Gefangenen zu. Von einigen Diensten, die sie auf dieser Station hatte, kannte sie seinen Namen.
»Guten Morgen, Herr Meier, ich wusste gar nicht, dass Sie so gut tanzen können.« Marias Kollegen verstanden, dass sie damit den Gefangenen nur ablenken wollte. Die Beamten, die im Rücken zu ihm standen, schlichen langsam auf ihn zu, während Maria versuchte, ihn in ein Gespräch zu verwickeln.
»Ich heiße nicht Meier, Sie kennen mich doch. Mein Name ist Thomas Heckler.« Maria machte ein ungläubiges Gesicht und lächelte ihn an. Die Kollegen hinter ihm waren nur noch wenige Schritte entfernt.
»Thomas Heckler, wirklich? Also ich hätte schwören können …« Maria musste den Satz nicht vollenden. Zwei Kollegen ergriffen seine Arme und drehten sie auf den Rücken. Er ließ die Kelle fallen und schrie noch ein wenig herum, leistete aber keine größere Gegenwehr.
»Habt ihr ihn?« Maria zog die Handschuhe aus und befestigte sie wieder an ihrem Gürtel.
»Ja, danke, Maria. Gut gemacht. Er hat ganz sicher wieder seine vom Arzt verordneten Psychopharmaka einem Junkie überlassen. Es ist immer dasselbe. Er tut so, als hätte er die Medikamente eingenommen, hat sie aber unter der Zunge. Dann tauscht er die Pillen gegen ein paar Zigaretten.« Maria nickte ihren Kollegen kurz zu, nahm die Beine in die Hand und trabte zur Zelle 525. Stickige Luft schlug ihr entgegen, als sie die Zellentür öffnete.
»Guten Morgen.« Maria stand im Türrahmen und suchte Hattingers Blick. Er sah aus dem geschlossenen, vergitterten Fenster und schien sie zu ignorieren. Ein wirklich unangenehmer Zeitgenosse. Seine Feindseligkeit war geradezu greifbar.
»Es wird Zeit, dass Sie aufschließen«, knurrte er. »Ich muss um Punkt 6.30 Uhr die Anstalt verlassen, wenn ich den Bus erwischen will, und muss mich noch in der Kammer umziehen. Wie soll das gehen?« Hattinger wandte sich zu ihr um und sah sie mit zusammengekniffenen Augen an.
»Ganz einfach, mitkommen zur Kammer, umziehen und dann zur Pforte. So geht das.« Maria verzog keine Miene. Sie konnte die anmaßende Art dieses Typen nicht leiden. Hattinger war groß und sehr muskulös. Offensichtlich hatte er die letzten neun Jahre Knast in Schwalmstadt darauf verwendet, seinen Körper zu stählen. An seinen Manieren hatte er leider nicht gearbeitet. Eine ständige unterschwellige Aggression war ihm anzumerken, auf der Station ging er keiner Auseinandersetzung aus dem Weg. Provokante Sprüche und Pöbeleien den offenbar körperlich Unterlegenen gegenüber waren an der Tagesordnung. Kein anderer Häftling, soweit Maria es wusste, wollte mit ihm Kontakt haben. Nur Carlos Ribeiro, ein schmächtiger, blasser Knacki, der früher seine Drogensucht auf dem Straßenstrich in Frankfurt finanziert hatte, stand ab und zu mit ihm zusammen auf dem Stationsflur. Ribeiro saß wegen Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz ein. Er war für die anderen Hardcoregefangenen das typische Opfer. Wahrscheinlich war er für Hattinger, der bekanntermaßen bisexuell war, ein gefügiger Sexpartner. Hattinger schritt stolz erhobenen Hauptes aus seiner Zelle, und Maria meinte, leise im Vorbeigehen das Wort »Weiber« vernommen zu haben. Sie verzog keine Miene, ließ sie sich doch von solchen Kommentaren schon lange nicht mehr provozieren. Sie verschloss seine Zellentür und ließ ihn vor sich herlaufen. Gemeinsam trabten sie durch das Treppenhaus, am Arztzimmer vorbei zur Kammer, und etwa drei Stahltüren und zwei Minuten später stand Hattinger bereits im Umkleideraum der Kleiderkammer und konnte sich umziehen. So ein Wichtigtuer. Sie holte den Ausgangsschein von der Zentrale, der es Hattinger ermöglichte, die Anstalt zu verlassen. Kurz darauf stand sie an der Kammer, um den Gefangenen an die Pforte zu bringen. Es war genau 6.30 Uhr, als sie dort eintrafen und Maria ihm sein Handy gab, welches ihr zuvor von einem Kammerbeamten ausgehändigt worden war.
»Herr Hattinger, Sie müssen pünktlich um 17 Uhr wieder in der Anstalt sein.« Sie stand vor ihm und blickte direkt in seine kalten, wässrig blauen Augen. Hattinger bedachte sie mit einem abwertenden Blick, nickte, blieb stoisch stehen und wartete, bis Maria ihm den Weg freigab. Der Summer der Türentriegelung ertönte, und mit einem süffisanten Lächeln trat er aus der Anstalt auf die Straße. Völlig entspannt und hoch erhobenen Hauptes schlenderte er in Richtung Bushaltestelle An der Schießmauer. Maria sah ihm nachdenklich hinterher. Da vernahm sie eine Stimme aus einer Ecke der Pforte.
»Wenn der heute um 17 Uhr nur eine Minute überfällig ist, schreibe ich ihn zur Fahndung aus.« Jan Gerber, der Sicherheitsdienstleiter der Anstalt, stand neben einem Schrank in der Pforte und folgte Hattinger ebenfalls mit seinem Blick.
»Guten Morgen, Jan, wusste gar nicht, dass du schon da bist.« Er antwortete nicht und war scheinbar in Gedanken versunken. Ihr Bereichsleiter hatte sie ein Jahr zuvor bei dem Angriff in der Zelle befreit, und Maria stellte fest, dass sie seit diesem Zwischenfall gerne seine Nähe suchte. Jan schaffte es durch seine Mut machende Art immer wieder, dass sie die oft an ihr nagenden Selbstzweifel dahin beförderte, wo sie hingehörten: in den Müll.
»Der hat etwas Eiskaltes. Dem traue ich nichts Gutes zu. Ich habe noch nie gehört, dass ein wegen Totschlags Verurteilter nach neun Jahren im geschlossenen Vollzug so mir nichts dir nichts gelockert wird, ohne soziale Kontakte draußen. Kannst du mir das erklären, Jan? Ich dachte, damit man gelockert wird, muss ein ordentliches soziales Umfeld vorliegen. Ehefrau, Eltern oder so. Hat der Hattinger überhaupt jemanden?« Maria versuchte, eine Reaktion in Jans Gesicht zu deuten.
»Ja, ist mir auch unbegreiflich, besonders wenn du den Tathergang liest, da läuft es dir kalt den Rücken runter. Hattinger hat eine Prostituierte vom Balkon eines Hochhauses geworfen. Die Frau war auf der Stelle tot.« Jan sah nachdenklich aus dem Fenster.
»Wer