Kreuzberger Leichen. Dieter Hombach
Читать онлайн книгу.denn so etwas?«
Hartenfels erzählt von seinem Besuch in der Buchhandlung direkt nebenan. Er wirkt weiterhin entspannt, hat die Beine weit von sich gestreckt und über den Knöcheln gekreuzt.
»Ach Gott«, sagt Meister, nachdem Hartenfels geendet hat, »Sie meinen die analogen Vertriebswege. Na ja, die bediene ich nicht mehr. Die Zeit ist vorbei.«
»Was machen Sie denn sonst?«
»Das läuft heute alles über Downloads, und es ist auch kein Verlag mehr nötig, schon gar keine Buchhandlung. Frisst doch alles bloß Geld. Wissen Sie, was ein Autor an einem herkömmlichen Buch verdient?«
»Sagen Sie es mir.«
»Weniger als zehn Prozent. Der Rest geht für die Druckerei, den Buchhandel und den Verlag über den Tisch.«
»Und bei Ihrem Modell?«
»Nur ein paar Prozent für die digitale Plattform und die Onlineshops, der Rest ist für mich.«
»Also verlegen Sie sich selbst, kann man das sagen?«
»Evelyn macht das, davon abgesehen haben Sie recht.«
»Und wieso behauptet die Dame aus der Buchhandlung dann, es gäbe nichts Neues von Ihnen?«
»Keine Ahnung«, sagt Meister, »vielleicht hatte sie keine Lust, genauer nachzusehen.«
»So kam sie mir nicht vor«, wendet Hartenfels ein.
»Dann wollte sie eben nicht.« Meister wird das Thema langsam langweilig.
»Damit würde sie sich doch selbst schaden«, sagt Hartenfels und zieht die Beine heran, richtet sich auf.
»Wohl nicht«, erklärt Meister, »an mir verdient sie als Buchhändlerin keinen Cent.«
Und das ist auch gut so, denkt er.
»Und wie finden Sie Ihre Leser?«
»Über das Internet. Wie ich schon sagte, gibt es jede Menge Onlineshops, über die man Bücher anbieten kann. Zu tollen Preisen übrigens, viel kostengünstiger als im Buchhandel. Fällt ja alles weg, was sonst noch mitverdient.«
»Sprechen wir von Amazon?«, will Hartenfels wissen.
»Natürlich«, antwortet Meister, »aber die sind nicht die Einzigen und schon gar nicht die Günstigsten. Obwohl Sie da lieber Evelyn fragen sollten.«
Hartenfels’ Augen verengen sich und er zieht die Lippen nach innen, was ihm ein vollkommen anderes Aussehen gibt. Wirkt er sonst eher gutmütig und ein bisschen plump, macht er jetzt einen hellwachen, regelrecht gefährlichen Eindruck.
Als hätte er Beute gewittert, denkt Meister.
Sogar die buschigen Augenbrauen hat Hartenfels zusammengezogen. Doch so schnell wie sich seine Mimik verändert hat, verschwindet dieser Gesichtsausdruck wieder, und Meister fragt sich, ob ihm seine Fantasie einen Streich gespielt hat. Das kommt vor, weiß er.
Hartenfels stemmt sich nach oben.
»Ich will Sie nicht weiter stören«, sagt er. »Sollte ich Neuigkeiten über den Verbleib Ihrer Freundin erfahren, melde ich mich sofort. Bleiben Sie sitzen«, wehrt er ab, »ich finde allein nach draußen.«
»Ich muss sowieso eine Runde mit Zerberus drehen«, meint Meister und steht auch auf.
Er fährt zusammen mit Hartenfels und seinem Hund nach unten und macht sich, dort angekommen, gleich aus dem Staub. Richtung Viktoriapark will er ganz bestimmt nicht.
8. Kapitel
Hartenfels begibt sich sofort zum Antiquariat. Was Meister ihm erzählt hat, muss er überprüfen. Auch wenn die Buchhändlerin seine Bücher nicht besorgen kann oder will, wird sie wissen, wovon die Rede ist.
»Schön, dass Sie noch einmal kommen«, wird Hartenfels begrüßt und fühlt sich gleich wohl.
Bei Meister hat er ständig den Eindruck, dass sich die wichtigen Dinge in diesem Mann abspielen und er sie nicht herauslässt, was frustrierend ist.
»Ich bin neugierig geworden«, fährt die Buchhändlerin fort, »und habe ein bisschen recherchiert, nachdem Sie weg waren.«
»Und«, fragt Hartenfels, »haben Sie etwas von Johannes Meister gefunden?«
»Eine ganze Menge sogar.« Die Frau wendet den Blick von Hartenfels ab und widmet sich ihrem Computer. »Dieser Meister veröffentlicht beim Feind.«
»Beim Feind?« Hartenfels hätte nicht gedacht, dass es im Buchhandel so kriegerisch zugeht. Mit Büchern verbindet er eher den sanften Schein einer Stehlampe und ein Glas Wein.
»Amazon«, erklärt die Frau.
»Davon hat er auch gesprochen«, murmelt Meister.
»Wie bitte?«
»Ach nichts. Ich habe bloß laut gedacht, blöde Angewohnheit von mir.«
»Bei Amazon kann man nicht nur Bücher kaufen und verkaufen, sondern auch herausbringen«, erklärt die Buchhändlerin.
»Und das macht Meister?«
»Genau. Schauen Sie«, sie dreht den Bildschirm so, dass Hartenfels ihn einsehen kann, »hier gibt es ein paar komplette Reihen. Die letzte heißt ›Schwertmeister‹.«
»Und das passt Ihnen nicht?«
»Natürlich nicht«, sagt die Frau, »Amazon ist doch auf ganzer Linie darauf aus, Geschäfte wie meins überflüssig zu machen.«
Klar weiß Hartenfels das. Das gilt nicht allein für Bücher, sondern außerdem für Kleidung, Lebensmittel und so gut wie alles andere.
»Wie habe ich mir denn so eine Veröffentlichung im Internet vorzustellen?«, fragt er.
»Da gibt es Programme, in die man seinen Text hochladen kann. Kompliziert ist das nicht, das schafft jeder, der einen Computer hat.«
»Wissen Sie, wie groß der Markt ist, von dem wir sprechen?«
»Keine Ahnung, und ich glaube auch nicht, dass Sie irgendwo belastbare Zahlen finden. Und was würden solche Zahlen überhaupt aussagen?«
»Wie meinen Sie das?«
»Buchstäblich jeder verlegt hier alles. Das geht von Gedichten über Autobiografien bis zu Science-Fiction-Romanen. Qualität sieht anders aus.«
»Qualität?«
»Es existieren doch keinerlei Filter. Keine Agenturen, die vorab Manuskripte prüfen, geschweige denn ein Lektorat. Abgesehen von der Word-Rechtschreibprüfung kümmert sich nichts und niemand um die Texte. Und nicht einmal die benutzt jeder. Wer bei Amazon veröffentlicht, sollte schon wissen, in welchem Umfeld er sich bewegt.«
»Sind Sie nicht ein wenig streng?«
Die Buchhändlerin rollt auf ihrem Stuhl ein Stückchen nach hinten, fasst sich an den Knoten, zu dem ihre Haare geschlungen sind, und sieht Hartenfels an. »Vielleicht«, räumt sie ein, »aber ich mag es nicht, wenn die Leute sich etwas vormachen.«
»Was denn?«
»Als würde jemand dadurch, dass er einen Text hochlädt, zum Schriftsteller. Und verkauft hat sich allein durch das Hochladen auch kein einziges Exemplar.«
»Es gibt doch sicher Ausnahmen?«
»Die gibt es immer.«
»Und? Ist Johannes Meister eine Ausnahme?«
Die Buchhändlerin zieht sich wieder an ihren Tisch und tippt auf der Tastatur. »Also, die Bewertungen bei Amazon sind mies, meist bloß ein oder zwei Sterne von fünf. Das Ranking ist auch unterirdisch«, meint sie, macht eine Pause und runzelt die Stirn, »und da ist noch eine Sache.«
»Was denn?« Hartenfels betrachtet die Buchhändlerin, die völlig versunken ist.
»Meister verlegt