Kreuzberger Leichen. Dieter Hombach
Читать онлайн книгу.er etwas zu fressen vor der Nase hat.
Meister stellt den Napf auf den Boden und Zerberus legt sich davor. Das hat er seinem Hund beigebracht. Meister klickert Zerberus, wie die Trainingsmethode heißt. Eigentlich kann man mit ihr jedem Tier so gut wie alles beibringen. Es ist auf jeden Fall praktisch, nicht gleich von seinem Hund bedrängt zu werden, wenn man ihn füttern möchte.
»Ja«, kommandiert er und Zerberus springt auf, um sein Fressen herunterzuschlingen.
»Können wir?«, fragt Hartenfels.
»Soll ich nicht lieber hier warten, vielleicht kommt Evelyn ja bald zurück?«
»Ich lasse den Beamten unten im Hof auf seinem Posten«, sagt Hartenfels und geht zur Wohnungstür, bückt sich nach seinen Schuhen.
»Darf Zerberus mit?«, fragte Meister.
»Wenn er allein im Auto bleibt.«
»Das kann er.«
Meister nimmt seinen Mantel vom Haken, zieht ihn an und greift sich eine Hundeleine.
Draußen hat es aufgehört zu schneien, die Sonne scheint. Der Schnee glitzert, und im Riehmers Hofgarten werden mit großen Holzschaufeln die Gehwege freigeräumt.
Besser spät als nie, denkt Meister.
5. Kapitel
Hartenfels wird nicht schlau aus Meister. Den gemeinsamen Besuch bei Petersen hat er vorgeschlagen, um sich ein wenig Klarheit zu verschaffen. Die Rechtsmedizin ist für Hartenfels ein Ort der Wahrheit. Da, wo Petersen arbeitet, gibt es keinen Platz für Vermutungen. Bei Petersen sind alle nackt. Meister scheint ein Mann zu sein, der gerne spekuliert. Die Idee, dass seine Freundin demjenigen begegnet sein könnte, der die Leiche im Viktoriapark auf dem Gewissen hat, wirkte ziemlich weit hergeholt. Schließlich waren laut Petersen seit dem Mord Stunden vergangen. Warum sollte der Täter so lange in der Nähe seines Opfers bleiben? Falls Meister wirklich mehr in seinen Vorstellungen als in der Wirklichkeit lebt, hofft Hartenfels auf eine Art Kurzschluss, sobald der Schriftsteller mit dem Toten konfrontiert wird. Er hat das schon erlebt.
Aber da ist noch eine Sache, die Hartenfels beschäftigt. Leider kann er nicht genau sagen, was. Hartenfels kann es höchstens lokalisieren. Es hat mit der Atmosphäre in Meisters Haus zu tun, obwohl »Atmosphäre« nicht ganz das richtige Wort ist. Was trifft es dann? Am besten nicht weiter darüber nachdenken. Ein großer Teil seiner Arbeit spielt sich im Hintergrund ab, dort, wo Hartenfels kaum bis gar keinen Einfluss hat. Eine Tatsache, die er lieber für sich behält.
Die Fahrt in die Turmstraße verläuft einsilbig bis stumm. Weil er es sich einfach machen will, hat Hartenfels das Navi eingeschaltet und muss bloß noch das Richtige eingeben. Irgendein Witzbold hat die Gerichtsmedizin unter dem Fahrziel »Zuhause« abgespeichert. Weil sich der festgefahrene Schnee auf den Hauptverkehrsstraßen in rutschigen Matsch verwandelt hat, muss Hartenfels sich trotzdem konzentrieren, was ein Gespräch nicht gerade fördert.
Angekommen, steigen die Männer aus und Zerberus bleibt im Auto. Er scheint das zu kennen.
Petersens Reich empfängt sie lichtdurchflutet und mit fünf Obduktionstischen, von denen glücklicherweise lediglich einer belegt ist. Hartenfels war schon bei Vollbetrieb hier und erinnert sich nicht gern daran. Es kann sehr laut werden und nicht nur das. Hartenfels hat im letzten Urlaub eine Gerberei in Marokko besucht, an deren Eingang jeder ein Sträußchen Minze bekam, um es sich unter die Nase zu halten. Eine gute Idee.
Heute riecht nichts, stattdessen liegt etwas in der Luft, das Hartenfels bekannt vorkommt. Vage, sehr vage. Vielleicht bloß eine olfaktorische Halluzination.
Petersen steht in Dunkelblau und mit Mundschutz hinter dem Tisch mit der Leiche. Sie ist nackt und zum Glück bereits vernäht. Hartenfels wirft einen Blick auf Meister, der blasser als blass wirkt, eher weiß.
»Tod durch einen Schlag auf den Hinterkopf, wie ich vermutet habe«, sagt Petersen und dreht den Kopf des Unbekannten zur Seite.
Hartenfels tritt ganz nah heran und kann die Wunde sehen. Meister hält Abstand.
»Gestorben ist er gegen Mitternacht.«
»Woher weißt du das so genau?«
»Unter ihm war nicht viel Schnee. Angefangen zu schneien hat es kurz vor elf.«
»Also ist der Fundort auch der Tatort?«
»Davon gehe ich aus. Es gibt Blutspuren, wo er lag.«
»Abwehrverletzungen?«
Kopfschütteln.
»Sonstige Spuren?«
»Die untersuche ich noch. Aber wahrscheinlich sind sie von ihm.« Petersen weist mit seinem Kinn Richtung Meister und sagt dann, dass er sobald wie möglich einen Abstrich und Fingerabdrücke von ihm brauche.
Meister reagiert nicht.
»Hat sich das Alter des Toten bestätigt?«, fragt Hartenfels.
»Immer noch um die 30 und wahrscheinlich ein Büromensch. Ich konnte keine Hinweise auf körperliche Arbeit feststellen. Und bevor du fragst: Zuletzt gegessen hat er gestern Abend, Pizza würde ich sagen und ein paar Gläser Wein.«
»War er betrunken?«
»1,2 Promille im Blut. Kurz nach dem Essen wird das natürlich etwas mehr gewesen sein.«
Der zweite Obduzent bringt einen Sack mit der Kleidung des Toten, und Hartenfels muss an Meisters Wohnung denken, vor allem an das Badezimmer. Irgendwie gehört auch der Fundort der Leiche zu diesen Assoziationen. Hartenfels fragt Petersen nach der Waffe.
»Ich habe Splitter gefunden. Es könnte glatt ein Ast gewesen sein, ein sehr stabiler.«
»Also nichts, was jemand im Vorbeigehen zufällig aufhebt?«
»Eher nicht. Da wäre außerdem das Risiko ja viel zu groß, ein morsches Teil zu erwischen.«
Stimmt, denkt Hartenfels, ist mit seinen Gedanken aber immer noch bei Meisters Badezimmer. Meister hat nach den Toilettensachen seiner Freundin geschaut. Zahnbürste, Parfüm. Er runzelt die Stirn. Parfüm.
»Sag mal, Petersen, wonach riecht es hier eigentlich?«
Petersen schiebt seinen Mundschutz, der ihm bis über die Nase reicht, nach unten.
»Was meinst du?«
»Na dieser Geruch nach …«, Hartenfels schnuppert ostentativ, legt seinen rasierten Schädel in den Nacken, »ich weiß auch nicht.«
Petersen beugt sich über die Leiche, schnuppert ebenfalls.
»Der ist es jedenfalls nicht«, erklärt er und fährt damit fort, dass er nichts gefunden habe, womit er die Identität des Toten hätte klären können.
»DAD-Abgleich läuft«, fügt Petersen hinzu, womit er die DNA-Analyse-Datei der Polizei meint.
»Haben die Fingerabdrücke nichts gebracht?«
»Das hätte ich dir längst gesagt.«
Hartenfels bittet Meister, ein wenig näher zu kommen, doch der will nicht, bewegt sich nur zögerlich in Richtung Obduktionstisch. Petersen hat den Kopf der Leiche losgelassen und der Tote sieht wieder zur Decke.
»Keine falsche Scheu«, ruft Petersen, »das erwartet uns alle.«
Sein Standardspruch, Hartenfels verzieht den Mund. Petersens Ansichten sind speziell.
Was erwartet uns alle, hat er ihn einmal gefragt, auf deinem Tisch zu landen?
Petersen fand das gar nicht komisch. Es ginge nicht darum, ausgeweidet zu werden, meinte er, denn das mache er schließlich.
Worum es denn dann ginge, wollte Hartenfels wissen.
Um den Verlust der Würde, erhielt er zur Antwort. Von anderen begafft zu werden wie ein ausgestopftes Tier, sei bloß eine Extremform unserer Vergänglichkeit.
Das