Kreuzberger Leichen. Dieter Hombach
Читать онлайн книгу.Wem sagt das nichts?
»Da gibt es diesen Riesen, Hagrid heißt er. Der nennt einen Hund Fluffy, der von Zerberus abstammt und eine genauso furchterregende Optik hat.«
»Apropos Frau«, kommt Hartenfels auf den Grund seines Erscheinens zu sprechen. »Sie haben sie als vermisst gemeldet. Seit wann ist sie denn verschwunden? Außerdem«, er hält dem Mann die Hand hin, »mein Name ist Hartenfels.«
»Meister«, sagt der und schlägt ein, dann legt er seine Stirn in Falten und atmet geräuschvoll aus. »Wir sind zusammen mit Zerberus«, es besteht kein Zweifel, welchen Namen Meister bevorzugt, »wie jeden Morgen Gassi gegangen, und als wir hier die Wiese erreicht haben, ist er plötzlich abgehauen. Wir haben gerufen und gerufen, aber er hat nicht reagiert.«
»Passiert das öfter?«, wirft Hartenfels ein.
»Wenn er eine Spur hat, schon.« Meister nickt und ein wenig Schnee fällt von der Krempe seines Huts. »Eigentlich bleibt einem nichts anderes übrig, als zu warten, bis er wiederkommt.«
»Ist er heute wiedergekommen?«
»Eben nicht. Nachdem ich realisiert hatte, dass Rufen nichts bringt, bin ich hinter ihm her. Weil es so heftig geschneit hat, war ich fast blind, und es war reiner Zufall, dass ich ihn gefunden habe.« Meister dreht sich um und sieht die Anhöhe hinauf, die sich noch gut 50 Meter bis zum Denkmal erstreckt.
Hartenfels folgt seinem Blick und entdeckt inmitten des jungfräulichen Weiß, das alles bedeckt, ein Stück zerwühlten Schnees. Um was genau es sich handelt, kann Hartenfels aus der Entfernung nicht erkennen, aber er denkt es sich. Da liegt die Leiche.
»Da oben?«, fragt er.
»Ja«, antwortet Meister und wendet sich wieder ihm zu. »Zerberus hatte ein Bein ausgegraben und buddelte weiter im Schnee. Ich musste ihn wegzerren, so verrückt hat er sich aufgeführt.«
»Haben Sie die Leiche angefasst?«
Meister blinzelt und Hartenfels denkt zuerst, dass ihm vielleicht eine Flocke ins Auge geraten ist, doch da Meister nicht mehr damit aufhört, ist es wohl ein Tick.
Was macht ihn so nervös, überlegt Hartenfels.
»Ich habe nachgesehen, ob ich noch etwas tun kann«, sagt Meister leise.
»Und«, fragt Hartenfels, »konnten Sie?«
Meister schüttelt den Kopf, nasses Weiß fällt von seinem Hut, rutscht von seinen Schultern.
»Was genau haben Sie unternommen?«, will Hartenfels wissen.
»Ich habe selber gegraben und den Kopf freigelegt. Da war nichts mehr zu machen, das war sofort klar.«
»Mann oder Frau?«
»Wie bitte?«
»Handelt es sich bei der Leiche um einen Mann oder eine Frau?«
»Einen Mann«, sagt Meister und schaut zu Boden.
Hartenfels dreht sich zu den Beamten um, die ein Stückchen unterhalb von ihm stehen und sicher zugehört haben.
»Stimmt«, sagt einer von ihnen.
»Warum habt ihr nichts abgesperrt?«, fragt Hartenfels.
»Weil alles voller Schnee ist, wollten wir erst auf die KTU warten«, erwidert der Beamte. »Man weiß ja gar nicht, wo man anfangen soll.«
»Verstehe ich jetzt nicht«, sagt Hartenfels und schaut nach oben.
Die Sonne hat sich erneut hinter dicken Wolken verkrochen, und es fängt schon wieder an zu schneien.
»Deswegen«, sagt ein anderer Beamter und zeigt auf die Flocken, die feucht und schwer an ihnen vorbeitrudeln, »die Leiche ist längst neu zugeschneit, und man kann beim besten Willen nicht sagen, wo unter dem Schnee vielleicht noch Spuren sind. Im Grunde müssten wir den ganzen verdammten Park absperren.«
»Keine schlechte Idee«, meint Hartenfels, »ich würde gleich damit anfangen.«
Die vier Männer sehen sich an und machen sich auf den Weg nach unten.
»Wo bleibt überhaupt die KTU?«, ruft Hartenfels ihnen nach.
»Steckt irgendwo im Stau«, bekommt er zur Antwort.
»Wann haben Sie gemerkt, dass Ihre Frau verschwunden ist?«, wendet sich Hartenfels erneut an Meister.
»Nachdem Zerberus das da«, er zeigt auf die Stelle, wo die Leiche liegt, »gefunden hat, war sie weg.«
»Und vorher?«
»Vorher war sie direkt bei mir. Ich bin los, um Zerberus zu suchen, sagte ich ja bereits. Da habe ich nicht darauf geachtet, ob sie mir gefolgt ist.«
»Haben Sie sie gesucht?«
»Nicht gründlich, wenn Sie das meinen. Ich wollte mich nicht allzu weit von dem da«, er zeigt noch einmal auf die Stelle, wo der Schnee zerwühlt ist, »entfernen. Aber ich habe sie immer wieder gerufen. So weit konnte sie doch gar nicht weg sein, dass sie mich nicht gehört hat.«
»Hat sie ein Handy?«
»Das klingelt zwar, aber sie meldet sich nicht.«
»Hat sie es überhaupt dabei?«
Meister sieht Hartenfels an, seine Augen sind so wässrig, dass sie auch voller Tränen sein könnten. »Ich weiß es nicht«, sagt er.
»Geben Sie mir die Nummer, damit wir versuchen können, das Handy zu orten.«
»Die haben Ihre Kollegen schon weitergegeben.« Meister blinzelt und legt seine Stirn erneut in Falten. »Vielleicht ist sie ja längst zu Hause«, sagt er dann.
Hartenfels läuft ein paar Schritte in Richtung seiner Kollegen und fragt, ob sie Meisters Wohnung überprüft haben.
»Vor dem Haus steht ein Posten«, sagt einer der vier, »wäre da jemand, wüssten wir es.«
Hartenfels geht wieder zu Meister und an ihm vorbei zu der Stelle, die aufgewühlt ist. Es ist so, wie der Kollege gesagt hat. Auf der Gestalt liegt fingerdick Neuschnee, unter dem sich nur noch ihre Silhouette abzeichnet. Hartenfels bückt sich und versucht, etwas zu erkennen, doch er kann nicht einmal sagen, ob es sich tatsächlich um einen Mann handelt. Er wird auf die KTU warten, die hoffentlich ihr Zelt dabeihat. Ein Geruch steigt Hartenfels in die Nase, und er nimmt aus den Augenwinkeln wahr, dass der Hund, der immer noch neben Meister kauert, seinen Kopf dreht, um Witterung aufzunehmen, und leise winselt.
Kaum dass Hartenfels wieder steht, bemerkt er da, wo die Wiese unter ihm aufhört, ein weiteres Polizeifahrzeug, das sich durch den Schnee wühlt. Reschke, die sich die ganze Zeit zurückgehalten hat, fragt ihn, ob sie mit dem Fotografieren anfangen soll.
»Bei dem Schnee gibt es keine Spuren, die du kaputt machen könntest«, entscheidet Hartenfels, »leg los.«
Während Reschke ihre Nikon auspackt, geht er zurück zu Meister, legt ihm einen Arm um die Schultern und bittet darum, dass er ihn nach unten begleitet.
»Ich trommle eine Hundertschaft zusammen, die nach Ihrer Frau sucht«, sagt er, »und in der Zwischenzeit nehme ich Ihre Personalien auf, einverstanden?«
Meister sagt nichts, macht sich aber auf den Weg. Zerberus springt hoch und schüttelt sich wie wild. Hartenfels bleibt noch einen Augenblick stehen, um den nötigen Anruf wegen der Suchmannschaft zu tätigen, schließt dann zu Meister und seinem Hund auf.
»Gehen Sie immer hier spazieren?«, fragt Hartenfels, während er neben Meister Richtung Polizeibulli stapft.
Meister nickt, wobei erneut Schneematsch von der Krempe seines Huts herabrutscht. Er trägt einen grauen Dreitagebart, der auch ein Fünf- oder Sechstagebart sein könnte, und ist leichenblass. Es wirkt nicht so, als würde er sich viel an der frischen Luft aufhalten.
Aus dem zweiten Polizeifahrzeug sind inzwischen die Beamten von der Spurensicherung gestiegen, Hartenfels nickt den Männern und Frauen zu, fasst Meister am Arm und dirigiert