Kreuzberger Leichen. Dieter Hombach

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Kreuzberger Leichen - Dieter Hombach


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Fahrzeug, der Hund bleibt stehen. Meister wirft Hartenfels einen fragenden Blick zu, der nickt. Sofort springt Zerberus in den Bulli und schüttelt sich.

      So viel dazu, denkt Hartenfels und zwängt sich hinter den herabgeklappten Tisch, Meister hat es leichter. Es ist nicht einfach, die Füße zu sortieren, weil Zerberus schon unter dem Tisch liegt. Meister nimmt den Hut ab und noch mehr Schnee fällt in das Innere des Fahrzeugs. Das spielt inzwischen keine Rolle mehr. Um Zerberus hat sich eine Pfütze gebildet und von den Schuhen der Männer tropft Wasser dazu.

      Hartenfels findet, dass Meister den Hut besser aufbehalten hätte. Ohne Hut sieht man erst richtig, wie schütter seine Haare sind. Dass sie nass sind, macht es nur schlimmer. Hartenfels ist jetzt misstrauisch, einem Mann mit so einer Frisur traut er nicht. Hartenfels fährt den Laptop hoch, der auf dem Tisch steht.

      »Vorname?«

      »Johannes«, sagt der Mann und wiederholt dann seinen vollen Namen. Er sagt es so, als sei damit alles Weitere erledigt.

      »Sollte ich Sie kennen?«, fragt Hartenfels.

      Meister zuckt die Achseln.

      »Ja oder nein?«

      »Wenn Sie gerne lesen«, sagt Meister.

      Nun zuckt Hartenfels die Achseln. Liest er gern? Schon. Den Namen Johannes Meister hat er trotzdem nie gehört.

      »Fantasy«, sagt Meister.

      Kein Wunder, dass Hartenfels ihn nicht kennt.

      Er nickt. Das passt zusammen. Einem Mann, der Fantasy schreibt, würde er sowieso nicht trauen, egal, was für eine Frisur er trägt. Hartenfels nimmt sich vor, eins seiner Bücher zu lesen.

      »Alter?«, fragt er.

      »53.« Meister zwinkert mit dem rechten Auge.

      »Leben Sie vom Schreiben?«

      »Ja«, sagt Meister, »hab nie was anderes gemacht.«

      Das imponiert Hartenfels. Um vom Schreiben leben zu können, braucht man bestimmt einen langen Atem. Eine Tugend, die das Fehlen anderer Tugenden kompensieren kann.

      »Und Sie sind heute wie jeden Morgen zu einem Spaziergang mit Ihrem Hund aufgebrochen?«

      »Da ist das Wetter egal.«

      Danach hat Hartenfels zwar nicht gefragt, interessant ist es trotzdem.

      »Wenn Zerberus seine Runde nicht dreht, ist er zu Hause unausstehlich«, präzisiert Meister.

      »Gehen Sie immer mit Ihrer Frau?«

      »So gut wie.«

      »Wie alt ist Ihr Hund?«

      »Vier.«

      »Wohnen Sie hier in der Nähe?«

      »Riehmers Hofgarten«, sagt Meister und Hartenfels nickt.

      Er kennt den eleganten Häuserkomplex, der nur ein paar Straßen vom Viktoriapark entfernt liegt, Luftlinie weniger als ein Kilometer. Hartenfels hat in der Vergangenheit selbst versucht, dort eine Wohnung zu ergattern, ist aber an wechselnden Investoren und unklaren Sanierungsabsichten gescheitert. Wenn er richtig informiert ist, gibt es inzwischen sogar handfesten Streit zwischen der Stadt und irgendwelchen Eigentümern, die das komplette Ensemble aufgekauft haben.

      »Und was macht Ihre Frau?«, fragt er weiter.

      »Sie hilft mir beim Schreiben«, antwortet Meister.

      »Wie habe ich mir das vorzustellen?«

      »Sie liest Korrektur, tippt meine Texte in den Computer, erledigt die Korrespondenz. Solche Sachen. Ohne sie käme ich überhaupt nicht klar.«

      »Ich brauche später ein Bild von ihr.«

      »Natürlich«, Meister wühlt seine Brieftasche hervor, »hier ist eins«, sagt er und hält Hartenfels ein Passfoto hin.

      Die Frau auf der Aufnahme wirkt hager. Augen, die tief in den Höhlen liegen, eine scharf gezeichnete Nase, schmale Lippen, nicht unattraktiv. Hartenfels glaubt sofort, dass Meister ohne sie nicht klarkommt. Seine Frau sieht energisch, regelrecht verbissen aus. Im Schnee verlaufen hat sie sich bestimmt nicht. Außerdem wirkt sie viel jünger als Meister oder das Bild ist alt.

      »Kann ich das Foto vorläufig behalten?«, fragt Hartenfels, und als Meister nickt, legt er es auf den Tisch.

      »Wie alt ist Ihre Frau, wenn ich fragen darf?«

      »33.«

      20 Jahre Unterschied, denkt Hartenfels, krass. »Dann noch die genaue Adresse bitte.«

      »Hagelberger Straße 10c.«

      Weil Hartenfels das herrschaftliche Bauensemble des Hofgartens bis heute nicht vergessen hat, interessiert es ihn, wo genau Meister dort wohnt, und er fragt ihn danach.

      »Ich habe den Zuschlag für das erste Penthouse erhalten«, antwortet Meister, und an der betont beiläufigen Weise, in der er das sagt, erkennt Hartenfels, dass er stolz darauf ist.

      Aber hallo, denkt Hartenfels. Ihm war nicht bekannt, dass es im Riehmers Hofgarten überhaupt Eigentumswohnungen, geschweige denn Penthouses gibt. Hat der Investor den Streit wohl gewonnen.

      »Wohnen Sie schon lange dort?«

      »Seit zwei Jahren.«

      Die Geschäfte gehen offensichtlich gut.

      »Wo sind Sie geboren?«

      »Im Wedding.«

      »Und Ihre Frau?«

      »Sie ist auch Berlinerin.«

      Das ist eher selten, findet Hartenfels. Berlin wimmelt von Zugereisten.

      »Wie lange kennen Sie sich?«

      »Ungefähr fünf Jahre.«

      »Wann haben Sie geheiratet?«, fragt Hartenfels.

      »Wir sind nicht verheiratet.«

      »Also heißt Ihre Frau nicht Meister?«

      »Sie heißt Köhler, Evelyn Köhler.«

      »Haben Sie das meinen Kollegen bereits gesagt?«

      Meister nickt und schweigt.

      Hartenfels selbst ist nicht liiert oder verheiratet, wie viele seiner Kollegen. Die meisten geben ihrem Beruf die Schuld daran. Zerstörte Ehen, verlassene Kinder oder gleich ein Leben als Single. Hartenfels sieht das anders. Er ist ein Einzelgänger und war es immer schon. Er hat nicht einmal Freunde.

      Etwas poltert gegen den VW-Bulli, dann fliegt die Schiebetür auf. Ein kleiner Mann schaut in den Wagen, bekleidet mit dem Ganzkörperkondom der Spurensicherung. Trotz des grauenhaften Wetters trägt er Krawatte, was angesichts des Plastiküberzugs, in dem er steckt, ein groteskes Bild abgibt. Dazu sorgfältig gescheiteltes Haar, dem selbst das Wetter nichts anhaben konnte, wahrscheinlich haben Schnee und Gel wie Superfestiger gewirkt. Petersen, Gerichtsmedizin.

      Na gut, einen Freund hat Hartenfels. Einmal angenommen, dass man mit jemand wie Petersen befreundet sein kann.

      »Komm rein«, sagt Hartenfels, und Petersen klettert in den Bulli.

      Es entsteht ein bisschen Chaos, weil Zerberus den Neuangekommenen begrüßen will, wofür der Platz fehlt.

      Trotz seines unheimlichen Aussehens ein freundliches Tier, findet Hartenfels. Zerberus hat wahrscheinlich längst vergessen, dass er eine Leiche ausgegraben hat.

      »Ich war nicht der Erste«, sagt Petersen, sobald er sitzt.

      Er hat sich neben Meister gequetscht, den er überhaupt nicht beachtet.

      »Was meinst du damit?«

      »Die Leiche wurde zweimal eingeschneit. Das heißt, dass jemand sie zwischendurch bewegt hat.«

      »Das war ich.«

      Petersen dreht


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