Kreuzberger Leichen. Dieter Hombach

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Kreuzberger Leichen - Dieter Hombach


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stattet er Hartenfels mit Schwert und Dolch aus, auch eine Kopfbedeckung könnte Wunder wirken. Meister legt die Stirn in Falten. Was soll er tun, um den Fiesling aus Hartenfels hervorzukitzeln? Steckt überhaupt ein Fiesling in ihm? Meister versucht, sich Hartenfels’ Gesicht vorzustellen, wenn es sich vor Wut und Ärger verzerrt. Irgendwie will es ihm nicht gelingen. Hartenfels scheint eher der Typ »Buddha« zu sein, von unerschütterlicher Ruhe. Aber das kann täuschen.

      Meister reibt sich das Kinn. Der Mann ist wirklich schwierig einzuschätzen.

      Ganz anders als der kleine Gerichtsmediziner, mit dem er weggegangen ist, denkt Meister.

      Petersen ist der aalglatte Typ, akkurat, penibel und eingebildet. Für so eine Figur gibt es immer eine Nische. Spion, Zuträger, Intrigant sind die passenden Oberbegriffe. Und obwohl Petersen schmal und schlank ist, hat er genau die Augen, die eigentlich zu Hartenfels gehören: tief in ihren Höhlen liegende kleine schwarze Murmeln.

      Vielleicht sollte ich beide Figuren vermischen, überlegt Meister. Doch dann kommt ihm eine andere Idee. Was wäre, wenn er den Kommissar und den Rechtsmediziner als Paar konzipierte? Zusammen könnten sie wirklich diabolisch sein, denkt er, allein eher nicht.

      Hartenfels fehlt die nötige Verschlagenheit und Petersen ist für sich genommen ein Witz. Aber als Duo infernale? Meister sieht einen zwergenhaften Mann, der seinem Herrn Pläne einflüstert, die so schwarz sind wie die Nacht.

      Das könnte gehen, denkt er.

      Es ist überhaupt ein netter Einfall, die Rolle des Bösewichts durch zwei zu teilen. Das eröffnet eine Menge Spielraum, besonders wenn Meister seine Leser erst im Laufe des Romans darüber ins Bild setzt. Zwei Täter haben ein enormes Potenzial, weil jeder für sich so lange unverdächtig bleibt, bis man seinen Partner kennt.

      Meister verzieht seine Lippen zu einem Lächeln, schließt die Augen, lehnt sich zurück und tastet mit der Hand nach seinem Hund. Zerberus schnellt hoch und leckt sie ab. Meister tätschelt Zerberus den Kopf, bückt sich und fährt ihm über seinen Rücken, klopft seine Rippen.

      »Das hast du gut gemacht«, lobt er den Rüden.

      Zerberus versucht, sich umzudrehen, am liebsten würde er Meister seinen Bauch hinhalten, doch der Platz reicht nicht.

      Meister schaut auf die Uhr und gibt Hartenfels noch fünf Minuten. Wenn er in fünf Minuten nicht wieder da wäre, würde er sich mit Zerberus auf den Weg nach Hause machen. Nach zwei Minuten öffnet sich die Schiebetür des Bullis, magisches Denken hilft immer.

      Hartenfels blickt sich einmal im Wagen um und meint dann, dass er Meister gern einen Besuch in seiner Wohnung abstatten würde.

      »Vielleicht findet sich dort ja irgendein Anhaltspunkt bezüglich Ihrer Freundin«, schließt er, »die Suche hier dauert nämlich noch.«

      Meister nickt. Das trifft sich gut. Zerberus ist schon aus dem Fahrzeug gesprungen.

      Sie gehen nicht zu Fuß, sondern fahren mit einem Zivilwagen der Polizei, der direkt vor dem Viktoriapark steht. Meister und Hartenfels vorn, Zerberus hinten.

      Eine schöne Sauerei, denkt Meister, der Hund ist klatschnass vom vielen Schnee. Aber es ist ja nicht weit, nach wenigen Augenblicken ist die Fahrt zu Ende. Hartenfels stellt den Wagen reichlich unkonventionell direkt vor einem der großen Portale ab, die in den Innenhof des Hofgartens führen, und Meister geht voraus. So verschneit wie alles ist, wirkt das alte Gebäudeensemble wie aus einer anderen Welt. Bloß der moderne Kubus, in dem sich ein Kino befindet, ragt fremd und reichlich unpassend in die ausladende Freifläche, die auch deshalb so groß ist, weil ein Seitenflügel im Zweiten Weltkrieg zerstört und nicht wieder aufgebaut worden ist. Es gibt Raum für einen Spielplatz und sogar Bäume. Übrig geblieben ist trotzdem genug. Auf drei Seiten ragen Häuser mit aufwendiger Stuckverzierung in die Höhe, der einheitlich sandfarbene Ton, in dem sie gehalten sind, verleiht ihnen zusätzlich Atmosphäre.

      Seit Zerberus aus dem Auto gesprungen ist, gebärdet er sich wie wild, und Meister hat Mühe, angesichts des herumtollenden Hundes zu dem Treppenhaus zu kommen, das zu seiner Wohnung gehört. Der Polizeibeamte, der sich davor postiert hat, geht vorsichtshalber in Deckung.

      »Haben Sie keine Leine für Ihren Hund dabei?«, fragt Hartenfels.

      »Die hat Evelyn«, antwortet Meister, »aber keine Sorge, ich habe ein paar Ersatzleinen.«

      Meisters Penthouse verfügt über einen eigenen Aufzug, der direkt zu ihm führt. Nur er hat den Schlüssel und es gibt nur einen Knopf, den er drückt, wie immer zufrieden mit so viel Exklusivität. Es hat ihn eine hübsche Stange Geld gekostet, die er auf den Kaufpreis für Wohnung und Aufzug legen musste, um das Rennen zu machen. Doch es hat sich gelohnt.

      Meister öffnet seine Wohnungstür und Licht flutet ihnen entgegen. Statt Mauern besitzt sein Domizil fast ausschließlich bodentiefe Fenster und es erstreckt sich über zwei Geschosse, wovon das untere wie ein Loft gestaltet, also gänzlich ohne störende Wände ist. Noch im Eingang stehend, wählt Meister die Nummer seiner Freundin, aber alles bleibt still, nirgendwo klingelt ein Telefon.

      »Vielleicht ist der Akku leer«, versucht Hartenfels ihn zu beruhigen.

      »Das würde überhaupt nicht zu ihr passen«, sagt Meister und fügt hinzu, dass Evelyn eine Perfektionistin sei.

      »Perfektionisten können für alle sehr belastend sein«, sagt Hartenfels leise und mehr zu sich selbst.

      Meister achtet darauf, dass Zerberus im Eingangsbereich bleibt, denn der ist gefliest. Sonst gibt es in der Wohnung ausschließlich Parkett, inzwischen zerfurcht von seinen Krallen. Es muss ja nicht sein, dass das Holz auch noch nass wird.

      Hartenfels fragt tatsächlich, ob er seine Schuhe ausziehen soll.

      Warum nicht, denkt Meister. Auf Socken wirkt der riesige Mensch vielleicht weniger bedrohlich.

      Meister lässt seine an, bloß den Mantel hängt er weg. Hartenfels fingert kurz an den Knöpfen seiner aufgeweichten Lederjacke, entscheidet sich dann anders.

      »Wo ist das Zimmer Ihrer Freundin?«, fragt der Kommissar, nachdem er seine vom Schnee dunkel verfärbten Schuhe weggestellt hat.

      »Wir haben keine eigenen Zimmer«, antwortet Meister.

      Hartenfels bleibt einfach stehen, betrachtet die großen Panoramafenster und dreht sich langsam um seine eigene Achse.

      »Schön ist das«, sagt er.

      Meister folgt seinem Blick. Ringsum verglast, wie der Raum ist, hat man das Gefühl, über der Stadt zu schweben. Weil die ganze Wohnung mit Fußbodenheizung ausgestattet ist, verstellen nicht einmal Heizkörper die Sicht, die spärliche Möblierung tut ihr Übriges. Eine Sitzgruppe und ein gewaltiger Sessel, das wars. Einmal abgesehen von einem offenen Kamin, der allerdings nicht brennt.

      Das gemeinsame Schlafzimmer ist oben. Oben befindet sich außerdem Meisters Arbeitszimmer, in dem er sich jedoch nie aufhält, außer er inszeniert seine Fotos. Meister schreibt im Loft, er braucht zum Schreiben so viel Raum wie möglich. Wenn es das Wetter zulässt, schreibt er auch auf der Dachterrasse, die nur von den Türmen der Kirche überragt wird, die sich gleich neben Riehmers Hofgarten befindet.

      Hartenfels steht inzwischen an einem der Fenster, von wo man sie ebenfalls sieht.

      »Können Sie mal nachschauen, ob etwas fehlt, das Ihrer Freundin gehört?«, fragt er. Seine Stimme ist leise und freundlich. Zu seinem ungeheuren Körper passt sie nicht.

      Meister überlegt, geht dann nach oben zum Kleiderschrank. Rechts hängen ihre Sachen, links seine. Der Parka fehlt, das ist alles. Er dreht sich im Schlafzimmer um, sein Blick fällt auf die kleine Kommode mit dem Schmuck. Nichts scheint abhandengekommen zu sein. Er öffnet ein paar andere Schubladen und lässt seine Finger über Evelyns Unterwäsche gleiten, Strümpfe, Socken, Pullover, es gibt keine Lücken, die ihm auffallen würden. Anschließend geht Meister ins Bad. Evelyns Toilettenartikel stehen an ihrem gewohnten Platz. Er schiebt Parfümfläschchen hin und her, tippt gegen die Zahnbürste, unten bellt Zerberus, der weiß, dass er ohne Aufforderung nicht die Treppe hinaufgehen


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