Sacklzement!. Katharina Lukas

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Sacklzement! - Katharina Lukas


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Ein paar andere stehen vor der Tür des Wirtshauses und telefonieren, und schließlich ist der Bräu der Erste, der sich wieder fasst.

      »Jetzt wird erst mal gegessen«, sagt er und alle fügen sich.

      Natürlich gibt es während des Schweinebratens nur ein Thema. Und vor der Nachspeise haben sich ein paar der Vereinsvertreter verabredet, die Sache in Augenschein zu nehmen. Zusammen mit Franz, der sich nach einem Knödel mit Soße wieder beruhigt hat, fahren sie zum Schauplatz des Geschehens. Als der ortsansässige Jäger wenig später mit seinem Anhänger auf dem Platz vor dem Wirtshaus hält, lassen alle ihren Nachtisch stehen. Auch Gundi und Liesi laufen hinaus und gaffen auf den großen weißen und mausetoten Hund auf der Ladefläche mit seiner gruselig langen blauen Zunge.

      »Schau, wie es dem den Bläschel herausgetrieben hat!«, flüstert einer.

      »Eindeutig. Der hat sich erhängt«, antwortet ein anderer. Man feixt wieder und raunt.

      »Den Hund hat jemand abgemurkst, das ist euch schon klar, oder?«

      »Aus Versehen ist der nicht verreckt …«

      »Hat es eigentlich schon jemand dem Sackbauer gesagt?«

      »Aus dem Weg!«, ruft schließlich eine tiefe Stimme, und wie auf Kommando treten die Dorfbewohner zurück und machen einem gut gekleideten älteren Herrn mit einem kunstvoll geschnitzten Spazierstock Platz. Der imposante Mann beugt sich langsam über den toten Hund und berührt zart dessen Kopf. Dann richtet er sich auf und sieht die plötzlich eingeschüchterten Dorfbewohner an wie das Gericht Gottes.

      »Das war Mord«, verkündet er laut und keiner lacht mehr. »Das wird Konsequenzen haben! Wenn das eine Kampfansage sein soll …«

      »Herr Professor Sackbauer«, unterbricht Bernleitner, weil er sich an sein Amt als Bürgermeister erinnert. »Das ist … Wir sind geschockt …«

      Der Professor bringt ihn mit einer Handbewegung zum Schweigen. Er weist den Jäger an: »Zu mir heim.«

      Das Auto mit dem toten Hund fährt los, der Herr Professor richtet einen letzten strafenden Blick auf die Gaffer und geht ebenso grußlos, wie er gekommen ist. Die Dorfbewohner sehen ihm schweigend nach, bis er mit seinem Stock klickend in die kleine Seitenstraße zu seinem Hof abbiegt. Anschließend trollen sie sich leise, einer nach dem anderen, und Gundi fällt auf, dass Liesi nicht mehr da ist. Drinnen in der Wirtsstube sitzen nur noch Django und ein paar Männer. Sie verstummen, als Gundi hereinkommt, um die Rechnung zu bezahlen.

      »Du bist der größte Gauner von uns allen …«, sagt Alois Münchinger grinsend zu seinem Freund Django. Nach einer Halben Bier stehen sie zum Rauchen vor der Tür des Bräus, wo vor Kurzem der Sackbauer seinen gemeuchelten Hund gestreichelt hat.

      »Warum?« Django nimmt die Zigarette, die ihm Alois anbietet, und lässt sich Feuer geben.

      »Hast unserem sauberen Professor Sackbauer zeigt, wer was zu sagen hat im Dorf, stimmt’s?«, geiert Alois.

      Django nimmt einen tiefen Zug und bläst den Rauch langsam aus. »Wieso ich?«

      »Erhängt hat er sich, der Hund«, flüstert Alois und sieht Django verschwörerisch an. »Woher hast du das denn gewusst? Der Fürbitten-Franz jedenfalls hat nichts davon gesagt.«

      »Ah so.« Jetzt grinst Django. Er nimmt einen letzten tiefen Zug, schnippt die Kippe in hohem Bogen auf die Straße und blickt ihr eine Zeit lang nach. »Das hat er jetzt davon«, stellt er fest. »Glaubt der feine Herr Kunstprofessor wirklich, dass wir uns das gefallen lassen? Dass der unser ganzes Dorf in den Dreck ziehen kann? Der schafft uns nichts an, das sag ich dir. Und jetzt weiß er das auch!«

      Alois nickt.

      Spätabends nach der Beerdigung mit Sketcheinlage sperrt Django die Tür zu seiner Villa neben dem elterlichen Hof auf. Ist eigentlich nicht schlecht gelaufen, der Tag heute mit der Überraschung beim Leichenschmaus, denkt er und lächelt zufrieden.

      Als er ins Wohnzimmer kommt, im ersten Stock über seinem Büro, schallen ihm die schrillen Pfiffe von Tweety entgegen. Er hat ihn heute zu lange allein gelassen.

      »Na, du Schlawiner?«, flötet Django und öffnet das Türchen zu dem großen Käfig, der zusammen mit einem belaubten Birkenast eine Ecke des riesigen Wohnzimmers einnimmt. Sofort hangelt sich der Nymphensittich an den Käfigwänden Richtung Ausstieg, klettert auf das Dach der Voliere und seine durchdringenden Laute gehen in ein angenehmeres Pfeifen über.

      »Hast mich vermisst, du Lauser? Hast mich vermisst, was?«

      Django beginnt zu pfeifen und zu schnalzen und lässt Tweety eine Weile an seinem Finger knabbern. Dann dreht er sich um und geht in die offene Küche. Kaum dass er sich eine Flasche Bier aus dem Kühlschrank geholt hat, landet der Sittich auf seiner Schulter und Django lässt es geschehen wie einen Windstoß, den man nicht weiter bemerkt. Er greift nach einer Tupperdose mit Schnipseln von gelben Rüben. Der Bauunternehmer und sein Vogel sind seit sieben Jahren ein eingespieltes Team in ihrer feierabendlichen Wiedersehensroutine.

      Auf dem Fernsehsessel legt Django die Füße hoch und sie beginnen ihr allabendliches Spiel, bei dem der Vogel auf der Hatz nach den Möhrenstückchen mit aufgestellter Federhaube auf Djangos Glatzkopf und Schultern herumklettert und flattert, während Django in Babysprache Versionen der Frage »Wo ist die böse Miezekatze?« säuselt. Schließlich hat Django genug und sein ausgestreckter Zeigefinger ist ein Befehl für den Vogel. Sofort klettert er darauf, und Django busselt seinen Gefährten drei-, viermal, bevor er ihm einen kleinen Schwung gibt. Tweety landet auf dem massiven Schrank im Kolonialstil und schwingt sich zurück zu dem aufgestellten Ast neben seinem Käfig, wo er üblicherweise den Abend verbringt, um von dort aus zusammen mit Django fernzusehen. Zumindest scheint Django das zu glauben, denn seine Selbstgespräche zum laufenden Programm richten sich an Tweety. Und der antwortet jedes Mal mit einem leisen Pfeifen.

      Heute Abend kann sich Django nicht so recht auf das Fernsehprogramm konzentrieren. Der Sackbauer wird den Schwanz nicht gleich einziehen, denkt er. Der gibt jetzt erst recht nicht auf. Da muss er härtere Geschütze auffahren. Er weiß aber noch nicht, welche, und das wurmt Django. Schlecht gelaunt steht er auf, dirigiert seinen Vogel zurück in den Käfig und schnalzt eine Minute lang hinein, ehe er ihn mit einem Tuch bedeckt und den Fernseher ausschaltet. »The Dark Knight Rises« hat er sowieso schon tausendmal gesehen. Er holt sich noch ein Bier und grübelt eine Weile vor der Kühlschranktür. Mal schauen, was der Alte macht, denkt er schließlich und steigt die Treppe hinunter ins Freie auf den hell beleuchteten Vorplatz seiner Villa. Er will hinüber in das alte Bauernhaus.

      Hier, auf diesem Hof, ein wenig außerhalb von Hintersbrunn, ist Django aufgewachsen als Sohn des Landwirts und langjährigen Bürgermeisters Lorenz Schickaneder. Und als Enkel einer Legende. Djangos Großvater war der erste demokratisch gewählte Bürgermeister nach dem Krieg. Politisch unbelastet. Der hoch angesehene Ignaz Schickaneder war von 1946 bis zu seinem Tod 1977 mehr Volksheld denn Volksvertreter und ihm verdankt Hintersbrunn fast jede Art von Modernisierung. Nach seinem Tod war es keine Frage, dass ihm sein Jüngster, Djangos Vater, der einzig überlebende Sohn der Bauerndynastie, ins Amt nachfolgte. Es wurde gar kein anderer Kandidat aufgestellt damals, 1978. Für Django lief es nicht so glatt, das hat er früh erfahren müssen. Er war 11, als sein Vater ins Amt kam, zu saufen begann, nach und nach den Grund des Hofes verscherbelte und anfing, seinen Sohn regelmäßig zu verprügeln, während die kränkliche Mutter bis zu ihrem frühen Tod unbeirrt wegsah. Django wehrte sich auf seine Weise, so sieht er das heute, und seine Rebellion endete mit Trunkenheit am Steuer, Beleidigung und Körperverletzung. Weil er seine Strafe nicht bezahlen konnte und sein Vater ihn hängen ließ, landete er für ein paar Monate im Gefängnis. Ein kurzes Eheglück scheiterte, seine Ex verwehrte ihm den Kontakt zur Tochter und zog ans andere Ende der Republik. Als er wegen seines »Widerspruchsgeistes«, wie er heute sagt, seinen Arbeitsplatz als Maurergeselle verlor, hatte er eine Vision: Er wollte in die Fußstapfen seines Großvaters treten und aus dem dahinsiechenden Dorf, dem in den 1990er-Jahren die Einwohner davonliefen, ein attraktives Wohngebiet machen für all die vielen Menschen, die am neu gebauten Franz-Josef-Strauß-Flughafen arbeiten sollten. Mit ein paar ersparten Groschen gründete er seine eigene Baufirma. Es war


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