Sacklzement!. Katharina Lukas
Читать онлайн книгу.zögert. »Ich würde das nicht machen«, sagt sie nach einem Augenblick. »Warum richtest du es nicht her und vermietest es? Wenn da ein Bäcker einziehen würde, bräuchte ich meine Semmeln nicht aus …«
»Wer soll denn in diesem Kaff etwas mieten wollen?«, bricht es aus Gundi heraus und sie bemerkt sofort die Beleidigung, die darin liegt. »Ich meine, das Haus ist ja voller Gerümpel, da kann überhaupt niemand einziehen.«
Glücklicherweise geht Liesi über den Fettspritzer hinweg. »Das mein ich ja«, sagt sie. »Räum es aus, streich es an, richte die Backstuben her, dann kannst du es gut vermieten oder meinetwegen verkaufen. Der Franz wird dir dabei helfen.«
»Welcher Franz?«
»Geh, den kennst doch. Der Fürbitten-Franz. Der gestern den aufgehängten Hund gefunden hat. Der trinkt jeden Tag in der Früh seine Halbe bei mir. Genau wie damals bei meiner Mutter. Ist jetzt so was wie der Dorfhausmeister. Ich wüsste gar nicht, was ich ohne den machen würde. Er lebt immer noch im alten Schulhaus. Schau doch einmal vorbei bei ihm, der hat noch lange nach dir gefragt, nachdem du abgehauen bist.«
4
Sommer 1984
Bei der Kramer Res lieferte sie jeden Morgen 20 Brezen und 30 Semmeln ab. Die machte daraus Pausenbrote für die Schulkinder, deren Eltern bereits mit dem Frühbus in die entfernt liegende Fabrik gefahren waren. Die Bäckerstochter war es von klein auf gewohnt mitzuarbeiten, hatte Brote in die Regale geschichtet, die Backstube gekehrt und einen Tritt von ihrem Vater erhalten, bevor sie um 7.15 Uhr selbst in den Bus stieg, der sie in die Schule brachte. Als sie kleiner gewesen war, hatte sie es einfacher gehabt, weil die Grundschule direkt hinter dem Kramerladen lag. Jetzt ging sie in die fünfte Klasse und da musste sie ins 17 Kilometer entfernte Oberbach zur Schule fahren. Vor der Ladentür der Kramer Res wartete der Fürbitten-Franz, die Halbe Bier in der Hand. Er grinste sie erwartungsvoll und ein bisschen blöd an. Weil Gundi manchmal lustige Sachen erzählte und Franz den ganzen Tag darüber lachen konnte. Gundi mochte Franz und zwinkerte ihm von Weitem verschwörerisch zu.
»Weißt du, warum ein Pfurz stinkt?«, fragte sie ihn.
»Naaaa!«, rief Franz, schüttelte den Kopf und kicherte, weil er wusste, dass es lustig werden würde.
Gundi legte eine Hand an den Mund, als ob sie ein Geheimnis verraten würde: »Damit Taube auch was davon haben.«
Der Fürbitten-Franz brach fast zusammen vor Lachen. Trotz ihres Altersunterschieds hatten die beiden etwas gemeinsam. Sie gehörten zu den Kindern, die auf der Dorfstraße groß wurden, weil es daheim nicht stimmte. Die nicht so recht dazugehörten, weil sie ein wenig anders waren. Die niemand vor der Ausgrenzung durch andere Kinder beschützte. Franz war zwar schon über 20, im Kopf passte er dennoch perfekt zur 12-jährigen Gundi, und so waren die beiden in diesem Sommer ein bisschen eigenartige, aber verschworen gute Freunde.
Wie der Fürbitten-Franz zu seinem eigenartigen Beinamen gekommen war, hing damit zusammen, dass er länger Ministrant war als jeder andere Bub aus dem Dorf. In Hintersbrunn waren es zwölf Buben, die dem Pfarrer bei der Messe zur Hand gingen. Bei jedem Hochamt mussten es vier sein, gekleidet in rote Röcke, die fast bis zu den Füßen reichten, und einen weißen Überrock mit Spitzen. Jeden Sonntag waren sie vor dem Pfarrer in der Sakristei, legten seine Gewänder zurecht, öffneten eine neue Flasche Messwein und zündeten die Kerzen an. Im Winter machten sie zuallererst Feuer im Kohleofen in der Ecke. Den volkstümlichen Scherz, dass alle Ministranten heimlich vom Messwein nippten, kannten die Hintersbrunner Buben, aber keiner hatte sich das jemals getraut. Denn der Herr Pfarrer Dörner, seit 30 Jahren Dorfpfarrer, war sehr streng. Einmal hatte er einen Ministranten sogar während der Messe geohrfeigt, weil der nicht an der richtigen Stelle das Richtige getan hatte. Darüber hatte es zwar große Empörung im Dorf gegeben, doch gesagt hatte keiner etwas und die Eltern des Buben schämten sich trotzdem. Ein andermal wurde ein Ministrant aus dem Kirchendienst ausgeschlossen, weil er schmutzige Fingernägel hatte. Da hatte auch das Betteln der bestürzten Mutter des Buben nicht geholfen. Nicht jeder konnte Ministrant werden. Nur ein Bub, dessen Eltern fleißige Kirchgänger waren und der in der Schule gut war, durfte dazugehören. Außerdem durfte er nicht durch böse Streiche auffallen.
Auf Franz traf nur die letzte Bedingung zu. So streng der alte Pfarrer auch war, den kleinen Halbwaisen in den Dienst der Kirche aufzunehmen, hielt er für seine Christenpflicht. Und Franz war ein fleißiger Ministrant. Es sei die schönste Zeit seines Lebens gewesen, sagte er später einmal, und der Pfarrer behielt ihn ungewöhnlich lange. Franz blieb Ministrant, bis er 18 Jahre alt war. Er bemerkte nie, dass er eigentlich eine lächerliche Figur abgab, mit dem viel zu kleinen Messgewand unter all den kindlichen Messdienern. Die waren froh um Franz, denn er gab immer kleine Zeichen, wenn einer seiner Mitministranten einmal nicht weiterwusste. Und außerdem hatte er die ehrenvolle Aufgabe, jeden Sonntag die Fürbitten vorzulesen. Die schrieb ihm der Pfarrer in ein Schulheft und Franz verbrachte den ganzen Samstag damit, sie auswendig zu lernen. Sie gingen ihm immer sehr zu Herzen. Für ihn waren es die Bitten der Dorfbewohner an den lieben Herrgott. Dass er das schöne Wetter zur Erntezeit erhalten möge, dass er dem in der vergangenen Woche verstorbenen Schmidbauer Karl die ewige Ruhe schenken möge oder dass der liebe Gott das Kirchendach ein weiteres Jahr erhalten möge. Franz trug die Fürbitten mit tiefer Inbrunst vor, manchmal liefen ihm Tränen herunter. Eine ganze Weile lang hieß es, dass Franz einmal Mesner werden solle, ein Ehrenamt für einen verdienten Mann aus dem Dorf, der die Glocken läutete, den Klingelbeutel durchgehen ließ, die Orgel wartete. Der Mesner damals war schon alt, als der Fürbitten-Franz Ministrant war. Aber die Zeit verging und er starb nicht. Nachdem Franz zum letzten Mal seine rote Kutte abgelegt hatte, nach der Ostermesse kurz vor seinem 18. Geburtstag, lebte der alte Kirchendiener noch sieben Jahre. Und so blieb dem Fürbitten-Franz nur das Lagerhaus. Dort wurde er als Hilfskraft angestellt. In die Kirche ging er nicht mehr.
Nach seinem Morgenbier mit Witzeinlage musste sich Franz den ganzen Tag herumkommandieren lassen. Von den Bauern, die ihr Getreide im Lagerhaus ablieferten, für dessen Sauberkeit der Franz mit einem großen Besen sorgte, und vom Lagerhausverwalter und überhaupt von jedem, der etwas brauchte oder etwas zu tun hatte und es selbstverständlich Franz auftrug. Freundlich war nur die kleine Bäckerstochter. Deswegen hatte der Fürbitten-Franz sie gern. Genauso wie die Kramer Res, die ihn nie aus dem Laden warf, auch wenn er nur Bier kaufte, sich herumdrückte und die Waren lediglich anschaute. Morgens hatte sie nie viel Zeit, die Bäcker Gundi, weil sie zum Bus musste. Am Nachmittag schaute sie meistens noch mal vorbei am Lagerhaus. Sie ging nie schnurstracks nach Hause wie ihre Klassenkameradin Liesi, um Hausaufgaben zu machen. Franz liebte diese Nachmittage im Sommer. Er und Gundi hörten gemeinsam Kassetten mit ihren Lieblingsliedern, die sie im Radio aufgenommen hatten. »Skandal im Sperrbezirk« und »Da Da Da«. Und sie sangen »Nur geträumt« von Nena.
Draußen in der Welt war ein Schauspieler US-Präsident, das Spaceshuttle startete ins All und die Grünen saßen erstmals im Bundestag. Für Gundi und Franz aus Hintersbrunn war der lokale Bierfahrer ein weit gereister Mann. Sie hörten auf der Lagerhausrampe Radio und träumten. Gundi von der Freiheit und Franz von der Heimat.
Die gleichaltrigen Burschen im Dorf lachten Franz aus und die Mädchen in seinem Alter schauten einen wie ihn nicht an. Seine Haare waren etwas zu borstig, sein Gesicht etwas zu rot, und er stotterte leicht, wenn er nervös war. Zwar war er beim jährlichen Schützenball dabei und beim Volksfest zur Kirchweih, nur wenn die anderen tanzten, blieb Franz lieber am Tisch hocken. Bei den älteren, verheirateten Männern. Und weil er sich mit seiner Handlangerrolle im Lagerhaus abfand, hielten ihn viele für dumm. Vielleicht war er das, denn er ließ sich alles gefallen, tat stets, was ihm aufgetragen wurde, und war manchmal das Opfer von derben Späßen im Hintersbrunner Wirtshaus. Franz lachte immer ganz laut, wenn er merkte, dass er an der Nase herumgeführt wurde. Unglücklich war er deswegen nicht. Es konnte ja nur besser werden.
»Hey, wollt ihr mal was Gescheites hören?«, fragte Django. Gundi und Franz saßen auf ihrer Rampe mit dem Kassettenrekorder zwischen sich und hatten vor einer Minute aufgehört, ihrer Musik zu lauschen. Seitdem starrten sie wortlos auf das unglaubliche Geschehen vor ihren Augen: Der Dorfheld Django knatterte mit seinem Mokick auf der Dorfstraße nicht an ihnen vorbei, sondern wurde langsamer,