Sacklzement!. Katharina Lukas
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»Heavy Metal« sagte er und reichte sie Franz. Django war der Einzige der Dorfbuben, der ein Mokick fuhr. Es war neongrün. Er hatte es sich von dem Geld gekauft, das er im ersten Lehrjahr als Maurer verdient hatte. Zusätzlich bekam Django in diesem Sommer Muskeln, braune Haut und von der Sonne gebleichte blonde Locken. Er rauchte »Roth-Händle ohne«, er fuhr mit nacktem Oberkörper durchs Dorf und alle Burschen bewunderten ihn. Es war der Sommer, in dem sich Gundi, zwei Jahre vom Gürteltrick entfernt, in Django verliebte. Django hatte das Sagen unter den Buben im Dorf und er hatte vor nichts Angst. Außer vielleicht vor seinem Vater.
Eigentlich hieß Django Joachim, und alle wussten, dass er von seinem alten Herrn, dem Bürgermeister Schickaneder, regelmäßig verprügelt wurde. Deswegen wollte Django stark werden. Wie der Held aus dem Film, nach dem er sich selbst benannt hatte.
»Du, mein Vater braucht dich«, wandte sich Django an Franz, nachdem Gundi und er der wilden Musik zugehört hatten, bemüht, im richtigen Takt mit dem Kopf zu wackeln.
»J… Ja?«, fragte Franz und Gundi wurde rot.
»In unserem Wald liegt ein Haufen Kleinholz herum, weil wir eine Fichte verkauft haben«, erklärte Django. »Den Stumpf musst du auch ausgraben und klein hacken. Kriegst 50 Mark.«
Und so kam es, dass sich Franz anderntags bei seinem Chef Werner im Lagerhaus eine Hacke, eine Schaufel und die große Schubkarre ausborgte und damit in den Schickaneder-Wald ging, an die Stelle, die Django beschrieben hatte. Jede Menge Holzabfälle lagen herum, und Franz begann damit, die Stücke einzusammeln, zu zerkleinern und auf die Schubkarre zu laden. Ein paar Fuhren waren nötig zu Schickaneders Schuppen, wo er die größeren Stücke aufschichtete und das Reisig auf einen Haufen legte. Am nächsten Tag machte er sich ans Ausgraben und zwei Tage später hatte er den Stumpf freigelegt, zerstückelt und ebenfalls beim Schickaneder abgelegt. Dann klopfte er an die Stubentür.
»Einen Scheißdreck kriegst du!«, polterte der Bürgermeister, als Franz seine 50 Mark haben wollte.
»Für mein eigenes Holz soll ich zahlen? Schau, dass du weiterkommst, du Krüppel, du elender!« Damit schubste er Franz aus der Tür, und der war froh, dass er keine Schläge bekommen hatte. Zum ersten Mal in seinem Leben war Franz zwar richtig empört, aber es fiel ihm nichts ein, was er gegen dieses Unrecht hätte tun können. Also beschränkte er sich darauf, die Geschichte im Wirtshaus zu erzählen und bemerkte nicht, dass ihn die Schafkopfrunde auslachte, weil Django von seinem »Deppentest« bereits berichtet hatte.
5
Heute fragt sich Gundi, warum Django das damals gemacht hat. Weil er’s konnte? Viel schlimmer ist, dass Gundi sich erinnert, wie sie sich für ihren Freund schämte. Dass sie nach diesem Vorfall nicht mehr mit Franz rumhing und dass sie später, als sie sich von den größeren Buben umschwärmt fühlte, öfter sogar mitlachte über den Deppen Franz, der kurz zuvor ihr Freund gewesen war.
Sie hat sich selbst eingeladen. Wollte ihre ehemalige Schulfreundin noch einmal bitten, ihr als Kommunikationszentrum für den Hausverkauf zu dienen. Am Abend nach ihrem Wiedersehen im Laden sitzen Gundi und Liesi im Wohnzimmer im ersten Stock des Waldlerhauses, trinken Prosecco und schauen vom Sofa aus durch die große Fensterwand nach hinten hinaus der Sonne beim Untergehen zu. Eigentlich wollte Gundi sofort nach der Beerdigung wieder zurück in ihr altes Leben nach München. Zurück in ihre Wohnung, zurück zu ihren feuchtfröhlichen Abenden mit Ferdl und sogar zurück zu ihrem Job und den eher ungeliebten Kollegen.
»Weißt du eigentlich, wie dein Vater gestorben ist?«, fragt Liesi, und Gundi hat sofort ein schlechtes Gewissen, weil ihr diese Frage gar nicht in den Sinn gekommen ist. Seit sie voller jugendlichem Hass auf die Unser-Dorf-soll-schöner-werden-Spießer ihrer Heimat den Rücken gekehrt hatte, hat sie nur sporadisch Kontakt zu ihrem Vater gehabt. Ein einziges Telefonat an einem seiner Geburtstage hatte im Streit geendet und sie beließen es dabei, sich schriftlich und nur über das Nötigste auszutauschen. Immerhin hat die Nachbarin mit der Todesnachricht Gundi beim Tagblatt erreicht, so viel musste er sich also über seine missratene Tochter gemerkt haben. Dass er womöglich einsam oder sogar hilfsbedürftig geworden sein könnte, schießt Gundi erst jetzt durch den Kopf. Dass er vielleicht tagelang hilflos im Bett dahingesiecht ist. Dass er sogar Selbstmord begangen haben könnte.
»Er ist nicht an Altersschwäche gestorben?«
»Das würdest du dem alten Tyrannen nicht gönnen, was?« Liesi lacht. »Dein Vater wollt was sagen, auf der Bürgerversammlung beim Bräu«, fährt sie fort und wirft damit mehr Fragen auf, als es eine Antwort eigentlich tun sollte.
»Bürgerversammlung?«, fragt Gundi. Sie hat nicht einmal gewusst, dass es so etwas gab in Hintersbrunn.
»Ja, die haben wir jedes Jahr. Unser Bürgermeister, der Bernleitner Girgl, ist da vorbildlich. Er legt alles offen und jeder darf mitbestimmen. Bei uns geht’s echt demokratisch zu. Weißt du eigentlich, dass wir schuldenfrei sind, ich mein wir, die Gemeinde Hintersbrunn? Seit fünf Jahren!«
»Geh, Liesi, ich bin zwar lange weg, aber in Hintersbrunn, da haben doch schon immer die Schickaneders geherrscht. Von wegen demokratisch. Erst der Vater, dann der Sohn.« Gundi erschrickt ein bisschen über die Schärfe in ihrem Ton. Sie mag diesen kleinkarierten Heimatstolz an ihrer ehemaligen Schulfreundin überhaupt nicht.
Tatsächlich guckt Liesi ein wenig beleidigt. »Es ist nicht mehr wie früher«, sagt sie.
Verfluchte Scheiße, denkt Gundi, doch sie kann sich einfach nicht zusammenreißen. »Moderne Zeiten, Liesi!« Gundi stellt ihr leeres Proseccoglas ein wenig zu schwungvoll auf dem Wohnzimmertisch ab. »Heutzutage bestimmen nicht mehr die größten Bauern, sondern die reichsten Unternehmer. Das Prinzip bleibt dasselbe. Und wer ist der größte Unternehmer hier? Der Django, oder? Wieder ein Schickaneder!«
So viel hat Gundi nach der Begegnung mit ihrem einstigen Schwarm schon erfahren. Django ist der größte Arbeitgeber im Ort und Auftragnehmer von allen Gemeinden der Gegend. Um seine Baufirma herum haben sich andere kleinere Betriebe gebildet. Jeder auf irgendeine Art Zulieferer oder abhängig von den Aufträgen von »Schickaneder Bau«. Nichts, was der nicht gebaut hat hier, sagen die Leute. Und außerdem: Dem gehört das ganze Dorf.
»Der Bernleitner Girgl, unser heutiger Bürgermeister, ist anders«, verteidigt Liesi weiter ihr Dorf. »Der war sogar insolvent, bevor er Bürgermeister geworden ist!«
Als ob der Pleitegeier eine Qualifikation für politische Integrität wäre, denkt Gundi, beschließt aber, es gut sein zu lassen. Eigentlich will sie ja etwas über den Tod ihres Vaters erfahren.
»Warst du dabei, bei der Bürgerversammlung?«, fragt sie. »Hast du meinen Vater sterben sehen?«
»Ja, hab ich«, antwortet Liesi. »Er hat sich zu Tode aufgeregt.«
Sein Todestag begann für den alten Bäckermeister wie fast jeder Tag in den letzten 20 Jahren, seit er seine Backstube geschlossen und die Scheiben seines Ladens mit Zeitungspapier verhangen hatte. Das Aufstehen war in letzter Zeit schwieriger geworden. Inzwischen dauerte es über eine halbe Stunde, bis seine alten Knochen nach ihrer nächtlichen Totenstarre so beweglich waren, dass er seinen hinfälligen Körper in die Senkrechte bekam. Erst musste er eine Zeit lang am Bettrand sitzen, dann eine Weile stehen, mit dem Kopf an den Schrank gelehnt. Irgendwann kamen seine Beine in einen Bewegungsfluss, und er hangelte sich die Treppe hinunter in die Küche, wo er die abends befüllte Kaffeemaschine nur einzuschalten brauchte. Abgesehen von den morgendlichen Anlaufschwierigkeiten war der Bäckermeister dennoch recht agil für seine 90 Jahre. Er hatte einen festen Rhythmus. Jeden Wochentag holte er sich zur Mittagszeit ein warmes Essen beim Bräu. Meistens Würstel. Oft Leberkäse. Manchmal Dampfnudeln. Was er sonst brauchte, kaufte er auf dem Heimweg bei der Kramer Liesi, und was er dort nicht bekam, brachte ihm die Nandl mit, die Nachbarin, die ihm auch die Wäsche machte für fünf Euro. Am Nachmittag schlief er in letzter Zeit immer öfter vor dem Fernseher ein und dreimal die Woche ging er ins Wirtshaus zum Stammtisch. Was im Dorf los war, das interessierte ihn immer noch. Vor allen Dingen, wenn es um etwas ging, was er »spinnerte Neuerung« nannte, konnte er sich richtig aufregen: eine Straußenzucht beim Weber. Ein Ruhetag beim Bräu. Fettarme