Sacklzement!. Katharina Lukas

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Sacklzement! - Katharina Lukas


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und die Hölle brach los. Die Dorfbewohner schrien wild durcheinander. Der Hund des Professors fing an, laut und dunkel zu bellen. Die Tischnachbarn des Bäckermeisters versuchten, den leblosen Körper vom Tisch auf den Boden zu legen, und nestelten an dessen Hemdkragen herum.

      »Einen Krankenwagen!«

      »Stabile Seitenlage, du Depp!«

      »Wasser! Wir brauchen Wasser!«

      Der Nandl, die gerade zur Saaltür hereinkam, flog das Tablett aus der Hand, und mehrere Biergläser fielen klirrend und spritzend zu Boden. Jemand hatte ausgeholt und aus Versehen sie getroffen. Inmitten der ganzen Aufregung um den Bäcker hatte sich in einer anderen Ecke des Saals ein kurzer Wortaustausch zu einer Schlägerei entwickelt.

      »Nazisau!«, schrie einer.

      »Nestbeschmutzer!«, rief ein anderer.

      »Du Arschkriecher!«, schimpfte einer, der sich die Faust rieb.

      Einer der Bauernsöhne drückte seinen Tischnachbarn gegen die Wand. Ein anderer hob einen Stuhl drohend in die Luft. Alois Münchinger blutete aus der Nase. Der Bräu duckte sich unter einen Tisch und tippte auf seinem Handy herum. Nur Professor Sackbauer und Django standen unbeweglich vor dem Tumult und schauten zu. Django ergriff die Gelegenheit und schnappte sich die Unterlagen des Professors. Da bellte ihn dieser Drecks­köter an und der dadurch alarmierte Sackbauer riss sie ihm wieder aus der Hand.

      Django hatte genug gesehen.

      Ein großer Stein sollte es sein, mitten am Dorfplatz, direkt vor dem Greimerbräu, wo ihn jeder sehen konnte. Für jedermann zu lesen sollte dort stehen:

      ZUM GEDENKEN AN ANDREAS SCHMIED, DER SICH DEN BEFEHLEN DES NAZISTISCHEN TERRORS WIDERSETZTE UND AM 30. APRIL 1945 DURCH NATIONALSOZIALISTISCHE MÖRDERHAND SEIN LEBEN VERLOR.

      ANDREAS SCHMIED STARB FÜR SEINE GELIEBTE HEIMAT. DIESE GEDENKTAFEL SOLL MAHNEND AN DIE SCHRECKENSZEIT DES NATIONALSOZIALISMUS ERINNERN.

      Es spielte keine Rolle, dass der Name Schickaneder darauf nicht erwähnt wurde. Die alte Geschichte wäre wieder präsent in den Köpfen der Hintersbrunner. Man würde wieder darüber reden. Darüber, dass die »nationalsozialistische Mörderhand« einem Schickaneder gehört hatte, seinem Onkel, der anderntags beim Einmarsch der Amerikaner ums Leben gekommen war. Und dann würde man – wie beinahe geschehen – auf das alte Familiengeheimnis um den wahren Mörder stoßen. Und vielleicht auf viel mehr …

      »Das ist ja der Hammer!«, entfährt es Gundi, als Liesi mit ihrer Erzählung von der Bürgerversammlung fertig ist.

      »Ich weiß nicht, was ich davon halten soll«, antwortet Liesi und nestelt am Verschluss einer zweiten Proseccoflasche.

      »Was hat denn mein Vater gemeint mit ›Der Vater war’s, nicht der Bub‹?«, fragt Gundi endlich.

      »Kennst du die alte Geschichte nicht, vom Schickaneder-Buben?«, fragt Liesi zurück.

      »Ich glaub, ich hab sie als Kind einmal gehört. Aber eigentlich weiß ich sie nicht mehr«, antwortet Gundi.

      »Also damals, wie die Amis in Hintersbrunn einmarschiert sind«, erklärt Liesi, »da hat einer der verbliebenen Söhne des Schickaneders auf die Panzer geschossen, während der ganze Rest vom Dorf die weißen Fahnen in die Fenster gehängt hat. Hat er nicht überlebt.«

      »Einer der verbliebenen Söhne?«

      »Ja, das ist eine tragische Geschichte. Ignaz Schickaneder hat im Verlauf des Krieges fast seine ganze Familie verloren. Seine Frau und zwei seiner Söhne. Und dann hat sich der dritte von den Amis erschießen lassen, wo der Krieg eigentlich schon vorbei war. Nur der Lorenz, der Vater von Django, ist ihm geblieben. Ignaz Schickaneder hat den Buben, bei dessen Geburt die Mutter gestorben ist, ganz allein aufgezogen und sein ganzes weiteres Leben nach dem Krieg dem Wohl der Gemeinde gewidmet.«

      »Und was hat diese ganze Geschichte mit dem Widerstand der letzten Kriegstage zu tun?«

      »Der Sohn, der sich von den Amis hat erschießen lassen, hatte am Abend vor dem Einmarsch der alliierten Truppen einen Nazigegner ermordet. Am nächsten Tag hat er sich ganz allein den Amis entgegengestellt. Manche sagen, es war Selbstmord aus Reue. Andere sagen, er war bis zum Schluss ein fanatischer Nazi.«

      Gundi geht ein Licht auf. »Der Vater war’s, nicht der Bub«, wiederholt sie.

      »Das geht mir auch nicht aus dem Kopf«, antwortet Liesi.

      »Bedeutet das, dass Ignaz Schickaneder, euer sauberer Nachkriegsheld, in Wirklichkeit ein Nazi und Mörder war? Dass er es war, der den Widerständler gekillt hat?«

      Liesi zuckt mit den Schultern.

      »Das kann ich mir eigentlich nicht vorstellen. Der alte Schickaneder hat sein ganzes Leben lang nur Gutes getan. Er hat die Raiffeisengenossenschaft gegründet, Baugrund erschlossen für die Vertriebenen nach dem Krieg, er hat Straßen gebaut und Flure bereinigt …«

      »Jaja«, unterbricht Gundi und Liesi verstummt.

      Gundi und Liesi haben es sich auf der großen Couch in Liesis Wohnzimmer bequem gemacht. Liesi hat eine kalte Platte hergerichtet, die Füße hochgezogen, und Gundi drückt sich eines der großen Kissen an den Bauch und wischt den Gedanken beiseite, dass sie sich so spät kein Schmalzbrot mehr gönnen sollte. Sie schweigen eine Weile und sehen sich gemeinsam ihr Spiegelbild in der inzwischen schwarz gewordenen Fensterwand an.

      »Der Vater war’s, nicht der Bub.« Gundi wiederholt noch einmal die letzten Worte ihres alten Herrn. Offenbar hat ihr Vater gewusst, dass Ignaz Schickaneder nicht der Heilige war, der er vorgegeben hat zu sein. Dass der in Ehren gehaltene Alt-Bürgermeister in Wahrheit ein Mörder war. Und dass er den Mord seinem toten Sohn in die Schuhe geschoben hat. Aber warum rückte ihr Vater erst über 70 Jahre später damit heraus? Und warum ausgerechnet auf dieser Bürgerversammlung?

      Als der Rettungswagen mit Blaulicht und dem unrettbaren Bäckermeister aus Hintersbrunn ins nächstgelegene Krankenhaus abgefahren war, saßen einige Teilnehmer dieser denkwürdigen Bürgerversammlung bis tief in die Nacht in der unteren Gaststube beim Bräu zusammen. Die meisten Dorfbewohner hatten sich in ihre Häuser verzogen, alle geschockt von der öffentlichen Herzattacke, viele, darunter die Kramer Liesi, mit dem unguten Gefühl, dass das der Auftakt für jede Menge Ärger war. Zurück blieben Django, sein Kumpel Alois, der sich einen Pfropfen aus einem Papiertaschentuch in die blutende Nase gesteckt hatte, und ein paar Bauern aus der Umgebung, die von der Rauferei zu aufgewühlt waren, um nach Hause zu gehen. Der Bräu, müde vom Streit mit seiner Gattin, weil er erst die Polizei gerufen, dann aber abgewiegelt und die Beamten wieder weggeschickt hatte, wollte diesmal nichts mit den Gesprächen am Tisch zu tun haben. Lieber polierte er hinter dem Tresen ein paar Gläser und schimpfte leise vor sich hin. Doch nicht die bald eingetroffene Nachricht vom Tod des alten Bäckermeisters erregte die Gemüter der Männer und auch nicht dessen mysteriöse letzte Worte.

      Es war Sackbauer, der sie aufbrachte.

      »Dieser zugereiste Störenfried, der unser Dorf zu einem Nazikaff machen will!«

      »Als ob unsere Väter und Großväter alle Nazis gewesen wären!«

      »Nur einer hätte sich aufgelehnt, sagt der! Ein Held war der gewiss nicht, der Schmied!«

      »Und erst recht nicht der Kranseder, dieser Hungerleider und Querulant.«

      »Stellt euch das vor, ein Nazidenkmal mitten im Dorf …«

      »Nach Haunzenberg kommen heute noch Leute und fragen nach den Familien der Kriegsverbrecher!«

      »Was das für einen Sinn haben soll, diese alten Schauergeschichten aufzuwärmen …«

      »Dieses ewige Ausgraben von damals, dieses ewige Gerede von Schuld, das geht mir schon lang auf die Nerven!«

      »Mir geht dieser Gutmensch mit seinem Gestüt auf die Nerven!«

      Sie hatten sich um Django versammelt. Alle, die die Untaten ihrer Väter und Großväter endlich vergessen wollten. Die sich nicht schuldig fühlten


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