Trollingermord. Hendrik Scheunert

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Trollingermord - Hendrik Scheunert


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Auf diese legte er allerdings keinen großen Wert. Mit seinen über 30 Jahren Erfahrung galt er im wahrsten Sinne des Wortes als graue Eminenz der Kriminaldirektion eins. Kurze Zeit später klingelte es bei ihm.

      »Du bist ja schon wach«, wurde Frank von ihm begrüßt. »Wie kommt’s?«

      »Komm rein, trink einen Kaffee und hör zu«, bekam er von einem unausgeschlafenen Frank Jonas zu hören. »Wir haben einen Mord im Uhlbacher Götzenberg.«

      So leicht ihm dieser Satz nach mehr als 20 Jahren bei der Kripo Stuttgart über die Lippen zu kommen schien, für die Angehörigen des Opfers brach mit diesem Ereignis immer eine, wenn auch manchmal nicht so heile, Welt zusammen.

      »Uhlbacher Götzenberg«, sinnierte Richard, »sagt mir was.«

      »Der Kollege von der Polizeidirektion in Untertürkheim hat mir den Weg äußerst ausführlich beschrieben. So ausführlich, dass ich am Ende gar nichts verstanden habe. Aber Uhlbach werden wir schon finden, von dort ist es wahrscheinlich auch nicht mehr weit«, sprach er zu sich selbst.

      Richard schien angestrengt zu überlegen, woher ihm der Name bekannt vorkam.

      »Ah, jetzt weiß ich!«, rief er, sodass Frank vor Schreck fast die Tasse mit dem Kaffee aus der Hand gefallen wäre.

      »Mann, schrei doch nicht so!«, schimpfte dieser.

      Richard erzählte etwas von einer Judith Langer, die er vor einem Jahr kennengelernt hatte. Mit jener ging’s dann, so seine vage Erinnerung, auf eines der zahlreichen Weinfeste, die im Herbst rund um die Grabkapelle am Württemberg stattfanden und Heerscharen von Besuchern aus Stuttgart sowie der nahen Umgebung anzogen.

      »Na, dann weißt du ja, wo sich der Tatort befindet. Lass uns losfahren«, erwiderte Frank. Derweil begann Richard, immer blumiger, respektive detaillierter über jene Judith zu erzählen. Er schien schon geneigt zu fragen, was denn dann einer Hochzeit im Wege gestanden habe.

      Aber dies war bei seinem Kollegen ein heikles Thema. Schnitt man es zu einem ungünstigen Zeitpunkt an, so musste man darauf gefasst sein, sich den Weg seiner Scheidung sowie jenes damit verbundene Drama in mehreren Akten anzuhören. Frank war an diesem kalten, aber trockenen Januarmorgen nicht wirklich auf ausführliche Konversation aus.

      Ausnahmsweise fuhren sie heute mit Richards Auto. Seine »alte Mühle«, wie Frank den blauen Opel stets spöttisch nannte, hatte zum Glück den Geist aufgegeben. Der Oberkommissar sah sich daher gezwungen, seine schwäbische Tugend der Sparsamkeit zu unterdrücken, um ein Autohaus aufzusuchen. Nach zähem Ringen sowie einem den Tränen nahem Autoverkäufer, der ob der Verhandlung mit Richard schon an einen Berufswechsel dachte, kaufte er sich ein SUV einer bekannten Marke aus Niedersachsen. Seine Versuche, ihn für ein schwäbisches Fabrikat entweder aus Sindelfingen oder Zuffenhausen zu begeistern, wurden mit der Begründung, dies sprenge seinen finanziellen Rahmen, abgeschmettert. So saß Frank Jonas heute Morgen neben einem glücklich dreinblickenden Kollegen in dessen SUV.

      Das digitale Thermometer zeigte eine Außentemperatur unter dem Gefrierpunkt. Je weiter sie sich den Außenbezirken der Stadt näherten, desto tiefer fiel die Temperatur. In Uhlbach angekommen, wurden gar zweistellige Grade unter null angezeigt.

      »Wohin jetzt?«, fragte Frank seinen ratlos dreinblickenden Kollegen, der an der Bushaltestelle rechts ranfuhr, um sich zu orientieren. In diesem Moment hörten sie ein sich von hinten näherndes Geräusch, welches ihm bekannt vorkam. Nachdem es immer lauter wurde, sahen sie, in eine weiße Nebelwolke eingehüllt, einen blauen VW Käfer, der augenscheinlich dem seit Kurzem mit der Ehrendoktorwürde ausgezeichneten Walter Riegelgraf gehörte. Jener hatte neuerdings auch eine Visitenkarte, auf der in vergoldeten Lettern »Dr. h.c. Walter Riegelgraf, Rechtsmediziner« stand.

      »Ich glaube, wir folgen der Wolke«, meinte Frank süffisant, »die sollte uns ans Ziel bringen.«

      »Meinst du?«, erkundigte sich Richard skeptisch.

      »Hat beim Moses damals auch geklappt. Also warum nicht auch bei uns?«

      Sie folgten dem blauen VW Käfer, der in einem atemberaubenden Tempo bei der Kirche rechts abbog. Das Gefährt raste durch die engen Gassen des Örtchens in Richtung der Weinberge, als gäbe es kein Morgen. Dabei wurden die noch friedlich schlafenden Bewohner durch das Röhren des Vierzylinders unsanft aus dem Schlaf geholt.

      »Der fährt wie eine gesengte Sau«, murmelte Richard. Er hatte trotz seines gut motorisierten SUV Mühe, bei diesem Tempo mitzuhalten. Kurz nach dem Ortsausgang bog Walter Riegelgraf links auf eine Weinbergstraße ab, der er zielsicher folgte. Etwas oberhalb der Weinberge sahen sie schon die Blaulichter sowie die rot-weißen Absperrbänder, welche den vermeintlichen Tatort kennzeichneten.

      »Hier ist also der Uhlbacher Götzenberg«, stellte Frank nüchtern fest.

      »Schaut so aus«, antwortete Richard, der mittlerweile die Umluft einschalten musste, um dem Gestank aus dem Vierzylinder des vor ihm fahrenden Walter Riegelgraf zu entgehen.

      Der unweit der ehemaligen Stammburg der Württemberger gelegene Götzenberg lag in einem vor Nord- und Ostwind geschützten, sich zum kleinen Kessel öffnenden Seitental des Neckars oberhalb des Stuttgarter Ortsteil Uhlbach. Der Name ging auf einen Fund einer antiken Kultstätte aus der Hallstattzeit im Jahr 1820 zurück.

      Der leicht erwärmbare Schilfsandsteinboden des mittleren Keupers prägte diese Lage ebenso wie die gute Durchlüftung, die durch ein sich bei Sonneneinstrahlung einstellendes thermisches Aufwindsystem bedingt wurde. Dadurch waren an dieser Seite des Tales besonders lange Reifezeiten der Reben möglich.

      Mit quietschenden Reifen kam das vor ihnen fahrende Vehikel ruckartig zum Stillstand. Kurz darauf, so sah es zumindest aus, schälte sich ein bis zur Unkenntlichkeit vermummter Walter Riegelgraf aus dem blauen VW Käfer.

      »Einen wunderschönen guten Morgen, die Herren von der Kripo. Ich hoffe, Sie konnten mir einigermaßen folgen«, rief er unbekümmert.

      Eigentlich war der Rechtsmediziner stets eine Frohnatur. Frank musste lange nachdenken, um sich daran zu erinnern, wann er ihn einmal schlecht gelaunt bei der Arbeit gesehen hatte.

      »Trägst du jetzt neuerdings Bart, oder ist dir Rasieren zu teuer geworden?«, frotzelte Richard, als er aus dem Auto stieg. Mit größter Überwindung entschloss sich Frank, ebenfalls den Wagen zu verlassen, um die anwesenden Kollegen zu begrüßen.

      Die verbalen Dialoge des Kripobeamten und des Rechtsmediziners konnten so manche Bibliothek füllen. Dies trug zur allgemeinen Erheiterung bei, vor allem, wenn die Sprache auf die zahlreichen, jedoch meist erfolglosen Diätversuche des stets mit seinem Gewicht kämpfenden Walter Riegelgraf kam.

      Doch dem exzellenten Essen seiner Frau daheim konnte er nicht widerstehen. Und wenn es in der Polizeikantine Zwiebelrostbraten mit Spätzle oder eine Rinderroulade gab, schienen die guten Vorsätzen schlagartig vergessen.

      »Was haben wir denn hier?«, fragte er den Polizisten, der für die drei das Absperrband in die Höhe lupfte.

      »Einen Toten«, war die kurze, knappe Antwort des Beamten. Der scheint noch keinen Kaffee gehabt zu haben, dachte Frank bei sich.

      »Ah, die Herren von der Mordkommission sind auch schon zugegen. Schön, dass Sie es einrichten konnten, hierher in die Kälte zu kommen«, wurden sie von einem offenkundig schlecht gelaunten Adelbert Herzog empfangen, der gerade damit beschäftigt war, seine Sachen aus dem Auto zu holen. Wobei schlecht gelaunt auf den Chef der Spurensicherung fast immer zutraf. Dennoch – seine fachlichen Kenntnisse auf diesem Gebiet waren unbestritten. Deutschlandweit kannte man ihn als einen der fähigsten Köpfe. Warum er nicht beim BKA in Wiesbaden arbeitete, konnte man sich nur mit seiner Heimatverbundenheit erklären. Fragen diesbezüglich blockte er jedoch immer ab. »Schwäbisches Understatement«, fügte er dann hinzu.

      »Für einen, der hier wohnt, bis du aber auch recht spät dran«, konterte Richard.

      »Ich hab noch meinen Kaffee getrunken. So viel Zeit muss sein«, erwiderte Herzog leicht angesäuert. Frank seinerseits verstand sehr gut, konnte man bei diesen sibirischen Temperaturen seine Wohnung doch nicht


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