Trollingermord. Hendrik Scheunert
Читать онлайн книгу.stand mit seiner dicken Jacke, die Hände in den Taschen vergraben, eine Wollmütze auf dem Kopf am Wegrand und wartete, dass man ihn zu der Leiche führte. Eilig schien es an diesem Morgen hier keiner zu haben. Wieso auch. Der oder die Tote konnte nicht mehr weglaufen. Dazu kamen die gefühlten arktischen Temperaturen, die den Verwesungsprozess in erträglichen Grenzen hielten.
»Dort oben liegt die Leich. Schaut grausig aus.« Der Polizeiobermeister Gerhard Weißhaar zeigte mit seiner Hand auf den vor ihnen liegenden Weinberg.
Adelbert Herzog brummte etwas vor sich hin. Offensichtlich störte es ihn, dass wieder jemand vor ihm den Tatort betreten hatte, was meist ein mehr an Arbeit für ihn bedeutete, da etwaige wichtige Spuren unkenntlich gemacht worden waren.
Ein Positives schien die Steigung im Weinberg für alle Anwesenden zu haben: Es wurde ihnen warm, und sie vergaßen für ein paar Minuten die Kälte.
Walter Riegelgraf war schon am Ort angekommen, wo die, wie sich beim Sichtkontakt herausstellte, männliche Leiche eines älteren Mannes zwischen den Weinreben des Götzenbergs lag.
»Tod durch einen Schlag auf den Kopf«, konstatierte Richard beim Anblick des Toten.
Walter Riegelgraf, der sich über die Leiche bückte, blickte nach oben.
»Sieht zumindest so aus. Liegt noch nicht lange hier. Höchstens zwei bis drei Stunden. Eher weniger. Eine genaue Uhrzeit gibt’s erst nach der Obduktion. Vielleicht hat er zu viel getrunken. Wahrscheinlich ist er dann gestürzt.«
Frank stand zwischen den beiden, die Hände in den Taschen, die Mütze tief ins Gesicht gezogen, um der Kälte so wenig nackte Haut wie möglich auszusetzen.
»Ich tippe eher auf Tod durch eine Schusswaffe«, meinte er, wobei er mit dem Finger nach oben zeigte.
Richard und Walter Riegelgraf folgten seinem Blick, sahen unweit der Leiche etwas im Gras zwischen den Reben liegen, was von der Sonne reflektiert wurde.
»Eine Patronenhülse«, rief Adelbert Herzog, der mit seinem Alukoffer mittlerweile ebenfalls den Fundort der Leiche erreicht hatte.
»Streber«, gab er zurück, machte sich aber gleich daran, das Projektil in einer Tüte zu sichern.
Richard war erstaunt über den scharfen Blick seines Kollegen.
»Alle Achtung. Aus der Entfernung eine Patronenhülse zu erkennen, noch dazu, wenn sie im Gras liegt.«
»Der ist halt nicht so ein Blindfisch wie du«, frotzelte Riegelgraf, während er sich die Leiche genauer ansah.
»Vorläufige Todesursache«, stellte er nach einer ersten Begutachtung fest, »der Mann hat mindestens einen ziemlich heftigen Schlag mit der Flasche hier auf den Kopf bekommen. Da wollte jemand auf Nummer sicher gehen.«
»Schlag? Was ist mit der Patronenhülse?«, fragte Frank, der oberhalb am Weg stand, um so besser auf den Tatort herunterschauen zu können. »Sieht mir nach einer Tat im Affekt aus.«
»Wahrscheinlich hat ihm da oben am Weg einer die Flasche auf den Kopf geschlagen. Er ist dann hier runtergefallen, aber einen Einschuss kann ich auf den ersten Blick keinen erkennen. Wer weiß, vielleicht ist die Patrone auch noch von der Silvesterballerei.«
Richard deutete auf den Weg weiter oben, grinste Frank an, machte dabei mit Daumen sowie Zeigefinger eine Pistole. Dieser quittierte seine Grimasse mit dem ausgestreckten Mittelfinger.
»Schade um den guten Tropfen«, seufzte Walter Riegelgraf, als er auf das Etikett der Flasche sah. »Ein Lemberger vom Uhlbacher Götzenberg. Sehr guter Jahrgang. Entfaltet auf dem Gaumen ein Aroma von Kirsche, Cassis und schwarzem Pfeffer.«
»Jetzt lasst mich mal hier meine Arbeit machen, ihr Weinexperten«, maulte Adelbert Herzog. »Man könnte ja meinen, ihr hättet sonst nix zu tun.«
»Wer hat ihn eigentlich gefunden?«, schaltete sich Richard ins Gespräch ein.
»Der Jogger da oben. Heute Morgen bei seiner Runde«, erwiderte der Polizeibeamte. »Wie kann man nur bei den Temperaturen durch die Weinberge rennen?« Er schüttelte verständnislos den Kopf.
Als Adelbert Herzog Richard beiseitegeschoben hatte, blieb er abrupt stehen.
»Das ist ja der Gerd Bäuerle!«, rief er völlig konsterniert. »Wie, um Himmels willen, konnte so was passieren?«
»Du kennst den Toten?«, erkundigte sich Richard erstaunt.
»Sicher. Der wohnt unten im Ort, ist Mitglied des Weinkonvents Uhlbach. Ein Zusammenschluss der örtlichen Winzer. Ein feiner Kerl. Zumindest, was ich über ihn gehört habe.«
Er brauchte eine Weile, um sich wieder zu sammeln, bevor er seine Arbeit aufnahm. Walter Riegelgraf zog sich die Handschuhe aus, wandte sich dann an die beiden Kommissare: »Alles Weitere nach der Obduktion. Aber die Todesursache scheint eindeutig zu sein.«
Frank stand am oberen Wegrand und blickte sich um. Sein Blick wanderte über ein kleines Häuschen im Weinberg, welches den Arbeitern zum Schutz vor Wind und Wetter diente, hinüber zu dem auf der Höhe liegenden Ausflugslokal Sieben Eichen, dem Bergkamm Richtung Rüdern, dann wieder zum im Tal gelegenen Örtchen Uhlbach. Auf der Bank vor dem großen, unbehauenen Stein saß, etwas abseits vom Fundort des Toten, völlig abwesend der Jogger, der die Leiche gefunden hatte.
»Mein Name ist Frank Jonas von der Mordkommission. Wir untersuchen den Todesfall hier. Darf ich Ihnen ein paar Fragen stellen?«, begann er.
»Was wollen Sie wissen?« Der Mann, Anfang 30, dick vermummt, dazu eine Wollmütze auf dem Kopf, schaute ihn an.
»Ist Ihnen heute Morgen bei Ihrer Runde irgendetwas Ungewöhnliches aufgefallen?«, erkundigte sich Frank.
Der junge Mann schob seine Mütze etwas nach oben und schien nachzudenken.
»Nein, alles ruhig, nichts Ungewöhnliches«, antwortete er schließlich.
Frank bat um die Personalien des Mannes, dann gab er ihm seine Visitenkarte, mit der Bitte, ihn anzurufen, falls ihm noch etwas einfiel. Die meisten Menschen, die eine Leiche gefunden hatten, standen anfangs unter Schock. Die Erinnerungen an Details kamen erst zu einem späteren Zeitpunkt wieder hervor, wenn das Erlebte einigermaßen verarbeitet worden war.
Deswegen machte es momentan für Frank keinen großen Sinn, ihn mit Fragen zu löchern. Zufriedenstellende Antwort würde er im Moment sowieso nicht erhalten.
Er verabschiedete sich von dem jungen Mann, der daraufhin im Laufschritt von dannen lief. Danach begab Frank sich wieder zum Tatort.
»Mit dem Todeszeitpunkt bist du dir in etwa sicher? Ich meine nur, falls wir jemand nach einem Alibi fragen sollten.« Er wandte sich an Walter Riegelgraf.
»Na ja, angesichts der Temperaturen ein schwieriges Unterfangen. Aber grob, wirklich ganz grob geschätzt, heute Morgen gegen 6 Uhr, vielleicht auch eine Stunde früher oder später.«
»Danke.«
Frank lief wieder ein paar Schritte den Weg nach oben. Weshalb, wusste er nicht so genau, aber es half ihm beim Nachdenken. Was wollte der Mann um diese Zeit hier draußen? Kein Auto stand in der Nähe. Auch Reifenspuren waren in der unmittelbaren Umgebung nicht auszumachen. Ziemlich rätselhaft, fand er. Einen Schuss, so er denn heute Morgen gefallen war, müsste jemand gehört haben. Er nahm sein Notizbuch hervor, für welches Frank von vielen belächelt wurde, und schrieb sich seine Fragen, die ihm durch den Kopf schwirrten, auf.
Er griff zum Telefon, rief seinen Kollegen Manfred Gühring an, der mit Sicherheit schon im Büro weilte. Lisa Danninger, die sie liebevoll »Küken« nannten, befand sich auf einer Fortbildung in Villingen-Schwenningen. Somit stand sie zurzeit nicht zur Verfügung. Ihr Vorgesetzter, Kriminaldirektor Horst Müller-Huber, erklärte sich zum Leidwesen der ermittelnden Kommissare spontan bereit, bei etwaigen Ermittlungen mit Rat und Tat zur Verfügung zu stehen. Man zweifelte zwar nicht am Sachverstand Müller-Hubers, nein, es war eher sein Mundwerk, für welches er, so Richard, einen Waffenschein benötigte. Auch seine Abneigung gegen jedwede