Uhlenbrock. Claudia Rimkus
Читать онлайн книгу.hat er mir nicht erlaubt. Er wollte das Frühstück für sein Sternchen ganz allein zubereiten.« Sie schloss den Geschirrspüler und drehte sich herum. »Wie war es denn gestern Abend?«
»Die Vernissage war beeindruckend. Tolle, farbgewaltige Bilder und interessante Lichtinstallationen. Danach waren wir mit Sophia und Axel im Musikladen.«
»Magst du sie?«
»Ich bin Philipps Schwester vorher nur einmal im Vorbeigehen begegnet. Ihren Mann kannte ich gar nicht. Zuerst habe ich befürchtet, dass sie mich vielleicht nicht mögen oder genau unter die Lupe nehmen würden, aber sie waren sympathisch offen, als wären wir alte Freunde.«
»So liebenswürdig haben wir Sophia vor kurzem auch kennengelernt. Anneliese hatte sie nach deinem Verschwinden aus dem Internat Rabeneck angerufen. Philipp war fix und fertig. Seine Schwester ist sofort gekommen, um ihm beizustehen.«
»Darüber hat sie kein Wort verloren. Ich bin froh, dass wir uns auf Anhieb so gut verstanden haben.« Sie wandte sich zur Tür. »Hast du unser fleißiges Lieschen gesehen?«
»Ich glaube, Anneliese wollte drüben im Wohnzimmer Zeitung lesen.«
Als Charlotte eintrat, saß die Mitbewohnerin, ihr Tablet-PC in den Händen, auf dem Sofa. Sie war blass und wirkte, als hätte ihr jemand einen Schock versetzt.
»Alles in Ordnung?«
Mit ernster Miene reichte sie das Tablet weiter.
»Lies das bitte mal.«
Charlotte setzte sich und richtete den Blick auf das Display. Dort war eine Website der HAZ zu sehen. ›Leichenfund in der Aegidienkirche‹ lautete die Schlagezeile. Konzentriert las sie den Artikel, bevor sie das abgebildete Foto des Toten mit zwei Fingern größer zog, um es genauer zu betrachten. Es zeigte einen etwa 70-Jährigen mit kurzem grauem Haar und gütigem Lächeln.
Charlotte legte den flachen Computer auf den Tisch und schaute die Freundin an. Sie ahnte, dass Anneliese aus einem bestimmten Grund Interesse an diesem Toten hatte.
»Du kanntest Pastor Rugard.«
»Er war vor Jahren neben der Gemeindearbeit als Jugendseelsorger tätig.«
»Hattet ihr engen Kontakt?«
»Seit seinem Weggang nicht mehr.«
»Und davor?«
Hilflos hob sie die Schultern, ließ sie langsam sinken.
»Wir hatten mal was miteinander, … vier oder fünf Monate. Bert war ein lieber Kerl, aber furchtbar konservativ. Das ging auf die Dauer nicht gut.«
»Wie lange ist das her?«
»Über 35 Jahre.«
»Trotzdem berührt es dich, wenn du erfährst, dass ein Mensch, der dir mal nahestand, ermordet wurde.«
»Nicht nur das. Außerdem ist er der zweite Mann, den ich kannte, der umgebracht wurde. – Und das innerhalb einer Woche.« Forschend blickte sie ihre Mitbewohnerin an. »Was glaubst du, was das bedeutet – aus kriminalistischer Sicht?«
»Ohne die näheren Umstände zu kennen, ist das schwierig.«
»Komm schon, Charlotte. Was sagt dir deine Spürnase?«
Die ehemalige Leiterin des Kriminalarchivs musste nicht lange darüber nachdenken.
»Kannten sich die Toten?«
»Mit Sicherheit.«
»Da eine Verbindung zwischen beiden Männern besteht, würde ich auf einen Serientäter tippen.«
»Das habe ich befürchtet«, gestand Anneliese. »Darf ich dich um einen Gefallen bitten?«
»Was soll ich tun?«
»Ich muss mit Kommissar Bremer darüber sprechen. Begleitest du mich morgen zu deinen Polizeifreunden?«
»Mach ich. – Wir sollten das aber vorläufig für uns behalten, um unsere Mitbewohner nicht zu beunruhigen.«
Anneliese schien etwas erleichtert zu sein, aber Charlotte ließ sich alles, was sie über die beiden Toten gehört und gelesen hatte, noch einmal durch den Kopf gehen. Nach längerem Nachdenken war sie überzeugt davon, dass sie es hier mit einem Serienkiller zu tun hatten. Sie erinnerte sich, was Horst über den Zustand der ersten Leiche gesagt hatte. Der ermordete Psychologe war auf vielfältige Weise gefoltert worden. Es lag nahe, dass der Pastor ähnliche Qualen durchlitten hatte. Das ließ auf eine große Wut des Täters schließen. Man musste mit weiteren Toten rechnen. Was Charlotte aber am meisten Sorge bereitete, war die Tatsache, dass Anneliese beide Opfer gekannt hatte. Es bestand eine Verbindung zwischen ihr und den Ermordeten. An einen Zufall glaubte sie nicht. Außerdem hatten alle drei mit Kindern und Jugendlichen gearbeitet. Nüchtern betrachtet, könnte die Freundin in großer Gefahr schweben. Darüber sprach Charlotte jedoch nicht.
Später saßen die WG-Bewohner in der Küche beim Mittagessen zusammen, das fast immer Conrad zubereitete. Seit seiner Jugend zählte Kochen zu einer seiner Lieblingsbeschäftigungen. An diesem Sonntag brachte er überbackenes Schweinefilet mit Senf – Sahne-Kruste, Champignons und Kartoffelspalten auf den Tisch. Wie gewöhnlich, lobten die Freunde seine Kochkünste.
»Es freut mich, dass es euch schmeckt.« Seine Augen schweiften von einem zum anderen, kamen bei Anneliese zur Ruhe. »Wann wart ihr eigentlich das letzte Mal auf dem Jahrmarkt?«
»Bei mir ist das Ewigkeiten her«, sagte seine Lebensgefährtin. Mit einem Blick gab sie die Frage an Charlotte weiter.
»Ich war im Sommer vor zwei Jahren mit meinen Enkelkindern auf dem Heiligengeistfeld in Hamburg. ›Dom‹ heißt das Schützenfest dort. Es findet dreimal im Jahr statt.«
Philipp und Albert konnten sich ebenso wenig wie Elisabeth daran erinnern, wie lange ihr letzter Kirmesbesuch her war.
»Heute endet das Oktoberfest. Ich möchte euch einladen. Wir fahren gegen Abend, bummeln über den Festplatz, essen und trinken was und lernen in der Geisterbahn das Gruseln.«
Während seine Mitbewohner zustimmten, schüttelte der General den Kopf.
»Macht das lieber ohne mich. Auf dem Rummelplatz herrscht bestimmt viel Gedränge. Da bin ich mit meinem Rollstuhl nur im Weg.«
»Das könnte dir so passen«, sagte Philipp. »Mitgefangen, mitgehangen.«
»Genau«, stimmte Charlotte ihm zu, während sie Albert anschaute. »Mich interessiert seit damals, ob dein Meisterschuss im Eichengrund nicht reines Glück war. Heute bekommst du die Gelegenheit, uns von deinen Schießkünsten zu überzeugen. Jede von uns Mädels würde sich über eine Rose von der Schießbude freuen.«
Auch die anderen redeten ihm zu. Dadurch konnte er nicht mehr ablehnen. Im Grunde freute er sich sogar darüber. Seit ihrem Kennenlernen wurde er trotz seines Handicaps akzeptiert und in alle Aktivitäten einbezogen. Anfangs hatte er sich aus Unsicherheit hinter seinem Kasernenton versteckt. Er war fast sein ganzes Leben lang Soldat gewesen – mit Einsätzen im In- und Ausland. Für eine enge Beziehung hatte es an Zeit und Gelegenheit gemangelt. Er hatte sich stets eingeredet, nichts zu vermissen. Erst im Alter war ihm bewusst geworden, wie sehr ihm eine Familie und nahe Freunde fehlten, wie einsam er war. Schließlich hatte ihn diese kleine Gruppe in ihren Kreis aufgenommen. Dass seine ruppige Fassade zerbröselt war, verdankte er nicht zuletzt Charlotte. Er würde für sie durchs Feuer gehen.
Am späten Nachmittag orderte Philipp ein Großraumtaxi, das sie zum Schützenplatz brachte. Am Gilde-Tor stiegen sie aus. Der General, der wegen einer Verletzung bei einem Auslandseinsatz nur wenige Schritte laufen konnte, setzte sich in seinen faltbaren Reiserollstuhl. Wie selbstverständlich fasste Elisabeth nach den Schiebegriffen. Anneliese hängte sich bei Conrad ein; Philipp legte den Arm um Charlottes Taille. An geparkten Autos vorbei schlenderten sie auf den Rummel. Ein Gemisch aus lauter Musik, Lockrufen der Betreiber von Fahrgeschäften und Losverkäufern empfing sie. In der Luft hing der Duft von Zuckerwatte, gebrannten Mandeln und Gegrilltem. Vorbei an Kinderkarussell, Autoskooter und