Angelus Mortis. Theodor Hildebrand

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Angelus Mortis - Theodor Hildebrand


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häufig nahm er an ihren unschuldigen Spielen teil; bald beschäftigte er sich mit seiner Flöte, bald durchstrich er, von einem Jagdhund begleitet, die zahlreichen umliegenden Täler und Berge. Hier aber, von dickem Gebüsch umgeben, setzte er sich oft am Fuß einer Eiche nieder und überließ sich seinen Träumereien, die ihn meist mehrere Stunden lang in ihrem Bann hielten. Für gewöhnlich weckten ihn erst die einbrechende Abenddämmerung oder einige vorübergehende Landleute wieder aus diesem fast bewusstlosen Zustand; er schlug sich dann heftig vor die Stirn und eilte schnellen Schrittes zum Schloss zurück.

      Hätte Helene nur Geschmack für die Vergnügungen der großen Welt gehabt, würde sie sich an ihrem jetzigen Aufenthaltsort äußerst unglücklich gefühlt haben. An Gesellschaft war hier kaum zu denken; die in der Nähe wohnenden Herrschaften kamen nur im Sommer aufs Land, und sechs Monate lang im Jahr würde es niemand von ihnen gewagt haben, sich zwischen die Berge und Felsen zu begeben, die im Winter fast gänzlich unzugänglich waren. Wir haben aber schon gesagt, dass Helene in sich selbst vortreffliche Hilfsmittel zum Zeitvertreib fand. Wenn das Hauswesen ihre Tätigkeit nicht in Anspruch nahm, vergnügte sie sich durch Musik, Malerei und das Lesen der besten Werke unserer schönen Literatur, oder sie fand hinreichenden Genuss in der Gesellschaft ihres Mannes und ihrer Kinder.

      Ein ganzes Jahr verging, ohne dass irgendeine außerordentliche Begebenheit eine Abwechslung in das stille und einförmige Leben der Familie Lobenthal gebracht hätte. Je mehr Zeit verfloss, desto mehr erlangte der Oberst seine Ruhe wieder, und keine unangenehme Erinnerung schien ihn mehr zu belasten. Helene, die ihren Gatten sehr genau beobachtete, freute sich heimlich darüber. Nur selten verließ Alfred jetzt noch das Schloss; er ging nicht mehr so häufig wie am Anfang auf die Jagd, sondern war fast immer bei seiner Frau und seinen Kindern, mit deren Erziehung er sich beschäftigte. Zum Zeitvertreib ließ er sich auch die Verschönerung des Schlossgartens angelegen sein, den er mit mehreren seltenen und schönen Blumen bereichert hatte.

      Auch der Winter war an diesem einsamen und abgelegenen Ort für Alfred und Helene nicht ohne Reiz, denn sie verstanden es, sich selbst genug zu sein. Wenn der häufig fallende Regen die Wege in der Umgegend so verdorben hatte, dass es völlig unmöglich war, spazieren zu gehen, diente der weite Saal des Schlosses als gymnastischer Tummelplatz, an dem Vater und Kinder sich für die körperliche Ausbildung der Letzteren heilsamen Leibesübungen überließen. Ohne Unterlass hallte dann von den langen und hohen leeren Wänden ein lautes und herzliches Gelächter wieder. Den Stunden des Vergnügens folgte ein lehrreicher Unterricht; die Abende verflossen unter angenehmen Erzählungen, mit denen Helene ihre beiden kleinen aufmerksamen Zuhörer in Staunen versetzte, und voller Entzücken betrachtete dann Alfred dieses Gemälde der häuslichen Glückseligkeit.

      Man schenkte weder den Stürmen und dem Schnee noch dem Regen, der gegen die Fenster prasselte, Beachtung, und nach und nach verschwand jede Erinnerung an eine bittere Vergangenheit.

      Auch der nächste Frühling verfloss in dieser angenehmen Ruhe. Um die Mitte des Monats Juli erhielt der Oberst jedoch einen Brief, der ihn mit neuem Kummer erfüllte. Er hatte eine Schwester, die in Stettin an einen königlichen Beamten verheiratet war. Gegenseitiges Unrecht unter den beiden Gatten, die beide noch jung und vielleicht Sklaven ihrer Leidenschaften waren, hatte schon mehrere unangenehme Auftritte zwischen ihnen herbeigeführt, die sich noch täglich vervielfältigten. Ein gemeinsamer Freund dieser beiden Unglücklichen, der einen öffentlichen Ausbruch ihrer Uneinigkeiten befürchtete, hielt es für seine Pflicht, den Oberst von dem, was vorging, zu benachrichtigen. Er drängte ihn, keine Zeit zu verlieren und unverzüglich nach Stettin zu reisen, weil der Oberst, wie er glaubte, der Einzige war, dem eine dauerhafte Aussöhnung der beiden Gatten gelingen konnte.

      Alfred Lobenthal kam diese dringende Aufforderung äußerst ungelegen. Es schien ihm zu hart, sich aus dem Schoß seiner glücklichen Familie zu entfernen, um wieder in die Welt zurückzukehren, deren verhasstem Trubel er nun schon entgangen war. Er fühlte zwar, wie nützlich seiner Schwester sein guter Rat sein konnte, um sie vor dem Abgrund des Unglücks zu bewahren, dem sie unbedachtsam entgegenzueilen schien, und sein Herz machte ihm auch Vorwürfe wegen der Gleichgültigkeit, die er ihr gegenüber an den Tag legte, obwohl er eigentlich die Rolle eines Vaters für sie zu übernehmen hatte; doch auf der anderen Seite sollte er sich auf unbestimmte Zeit von seiner zärtlichen Gattin und seinen Kindern trennen, und dieses Opfer war ihm zu groß. Er wusste lange nicht, was er tun sollte; ehe er jedoch einen Entschluss fasste, versuchte er, durch schriftliche Ermahnungen auf seine Schwester einzuwirken. Solche Vorstellungen, die an die Vernunft der Betreffenden appellierten, konnten aber da kein Gehör finden, wo heftige Leidenschaften laut ihre Stimmen erhoben; die beiden Gatten klagten einander gegenseitig in den Antworten an, die sie ihm auf seine Briefe zukommen ließen, und dachten nicht daran, sich wieder zu versöhnen. Endlich gelangte ihre Uneinigkeit an einen solchen Punkt, dass Alfreds Schwester keinen Anstand nahm, das Haus ihres Mannes zu verlassen und sich auf das Landgut einer ihrer Freundinnen zurückzuziehen.

      Als der Oberst Nachricht davon erhielt, dass seine Schwester das eheliche Haus verlassen hatte, zögerte er nicht länger; er machte sich Vorwürfe, nicht schon früher abgereist zu sein, und gab sich selbst einen Teil der Schuld an dem Fehler, den seine Schwester begangen hatte. Jetzt musste so schnell wie möglich Hilfe geleistet werden, und nachdem er Helene um Rat gefragt hatte, die völlig seiner Meinung war, begab er sich nach Prag, von wo er mit Extrapost weiter nach Stettin eilte. Er reiste ganz allein und ließ zum Schutz für seine Frau und Kinder den rechtschaffenen und furchtlosen Werner zurück, den er in allem, was das Interesse seiner Familie betraf, als sein zweites Selbst betrachten konnte. Helene musste ihren ganzen Mut zusammennehmen, um beim Abschied von ihrem Gatten die Fassung zu bewahren, zumal es die erste Trennung von ihm war. Doch es gelang ihr, den Schmerz in sich zu verschließen und nur so viel davon zu zeigen, wie sie zurückzuhalten nicht imstande war.

      »Ach, Geliebter!«, rief sie unter einem Strom von Tränen. »Kehre bald wieder zu mir zurück! Erst jetzt wird mir dieser Ort hier wirklich wie eine Einöde vorkommen; ich werde mich völlig alleine fühlen, sobald du nicht mehr bei mir bist.«

      Alfred versuchte, der zärtlichen Helene einigen Trost zu spenden. Schon befand man sich im Monat September und er versprach ihr, spätestens im Dezember zurückzukehren; hinzusetzend, dass sie auf seine Liebe vertrauen solle, durch die er selbst nichts sehnlicher wünsche, als noch weit früher in ihre Arme zurückzukehren, wenn es nur irgend möglich sei. Aber wie vergeblich sind alle Trostbekundungen in dem Augenblick der Trennung! Man fühlt nichts als das gegenwärtige Übel, welches einen niederdrückt. Die Zukunft ist in solcher Stimmung belanglos, die Hoffnung verliert all ihren Zauber und man kennt nur die Qual der Gegenwart.

      In den ersten Tagen nach Alfreds Abreise war Helene wie in einem Zustand der Bewusstlosigkeit. Ihr Geist, von vielen ängstlichen Gedanken angegriffen, wurde für eine abergläubische Furcht empfänglich, und nur mit einem geheimen Schauder ging sie des Abends die Treppe hinauf und durch den großen Saal. Die Einbildungskraft, die stets bereit ist, alles herbeizuziehen, was uns zu ängstigen vermag, nahm an Lebhaftigkeit noch stetig zu, was zur Folge hatte, dass bald schon die geringste Kleinigkeit genügte, um sie in Furcht zu versetzen. Oft blieb sie plötzlich zitternd stehen, weil sie glaubte, ein sonderbares Geräusch gehört zu haben, oder sie machte ihre Augen zu, aus Scheu, irgendeine fürchterliche Erscheinung zu erblicken. Die Gesellschaft ihrer Kinder reichte an den Abenden, die schon lang zu werden begannen, nicht mehr aus, um sie zu beruhigen; sie rief nach dem treuen Werner und nach Lisette, der Köchin, einem guten, aber höchst abergläubischen, furchtsamen Mädchen, und behielt beide stundenlang unter dem Vorwand bei sich, ihnen Befehle für den folgenden Tag geben zu wollen oder sich Rechenschaft darüber geben zu lassen, was sie den Tag über getan hatten.

      Es mag auf dem Land auch noch so einsam sein, die Häuser mögen auch noch so weit voneinander entfernt liegen, so führt dies alles doch nicht dazu, die Neugierde der Landbevölkerung zu vermindern. Für diesen Menschenschlag ist schon das gewöhnlichste Ereignis etwas Besonderes. Sie geben auf die geringste Kleinigkeit acht und alles wird den Nachbarn getreulich weitererzählt. So war es auch bei der Ankunft der Familie Lobenthal im Schloss R… Was für übertriebene Dinge erzählte man sich von ihr, was für lächerliche Märchen wurden auf ihre Kosten verbreitet! Aber die Zeit verfloss und ein und


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