Das kundenzentrierte Unternehmen. Werner Katzengruber
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Einleitung
Genau genommen ist Kundenzentrierung weder ein neuer Trend noch eine geniale Erfindung der Neuzeit. Ehrlich gesagt ist Customer Centricity ein alter Hut. Schon Peter Drucker hat in den 60er Jahren geschrieben, dass der Kunde der Boss ist und das wichtigste Ziel jedes Unternehmens ist, Kunden zu gewinnen, sie glücklich zu machen und möglichst lange an das Unternehmen zu binden. Warum also jetzt ein Buch dazu schreiben? Zum einen liegt die Begründung in der Dynamik, die sich durch die Digitalisierung und damit einhergehenden Veränderungen entwickelt hat, und zum anderen aufgrund der Tatsache, dass es so wenige Unternehmen gibt, die die Potenziale der Kundenzentrierung bis heute nutzen. Wir sind der Meinung, dass Kundenzentrierung für viele Unternehmen eine Überlebensfrage sein wird. Die Unternehmen, deren Führungskräfte Kundenzentrierung als Management-Hype diskreditieren, übersehen dabei, dass sich die Machtverhältnisse zwischen Kunden und Lieferant grundlegend geändert haben. Das wirkt sowohl auf den B2C- als auch immer stärker auf den B2B-Markt. Diese Verschiebung ist technologiebasiert und hat die Nachfragemacht der Käufer so stark werden lassen wie nie zuvor in unserer Geschichte. Der Kaufprozess wird heute bestimmt von Vergleichs- und Empfehlungsplattformen, Foren und Social Media. Die klassischen Verkaufsprozesse werden unterbrochen und der Hersteller oder Lieferant hat keine Informationen, ob und wann ein Kunde einen Kaufprozess beginnt. Er bekommt auch nur selten die Information, dass sich ein Kunde gegen sein Angebot entschieden hat, da er gar keine Information über die potenzielle Kaufabsicht hat. Wenn Unternehmen die Kontrolle über den Kaufprozess verlieren, verlieren sie ihr wichtigstes Gut, die Kenntnis über ihren Kunden und die Potenziale des Marktes. Grundlage für alle diese Prozesse sind Daten. Sie sind das neue Kapital. Auch das Kapital wird nicht weniger, es wechselt nur seinen Besitzer, und in der Regel bekommen diejenigen, die viele Daten haben, immer mehr dazu. Eine Parallele zu unserem realen Kapital. Daten sind Informationen über die Bedürfnisse des Kunden, seine Anforderungen an seine Lieferanten, seine Entscheidungszyklen und die Prämissen für oder gegen ein Angebot. In diesem neuen Hyperwettbewerb bilden diese Informationen nicht nur das aktuelle Verhalten des Kunden ab, sondern prognostizieren auch sein Verhalten in der Zukunft. Diese sogenannten Predictive Analytics werden in anderen Bereichen schon lange genutzt, um aus historischen Daten valide zukünftige Prognosen zu erstellen. Sei es bei der Wettervorhersage oder der Entwicklung von Versicherungspolicen. Jetzt hat es auch den Kunden erwischt, dessen Verhalten als normierter Datensatz durch Algorithmen und künstliche Intelligenz berechenbar wird – unabhängig davon, wie schnell sich Technologien entwickeln, Geschäftsmodelle disruptiert werden und Produkte kommen und gehen. Was bleibt, ist die Tatsache, dass erfolgreiche Geschäftsmodelle auf der Fähigkeit zur engen Kooperation mit dem Kunden basieren. Kundenbeziehungen aufzubauen, sie langfristig zu halten und sich mit und durch den Kunden kontinuierlich in seiner Kundenzentrierung zu verbessern, ist eine Erfolgsgarantie für jedes Geschäftsmodell. Die Geschwindigkeit, mit der Daten erzeugt werden, das daraus resultierende Volumen und die Vielfalt der unterschiedlichen Kundendaten überfordern viele Unternehmen. Kunden zu segmentieren und zu profilieren, wird immer abhängiger von Technologie und Systemen.
Bis hierher dreht es sich ausschließlich um die digitale Welt, die in alle Prozesse unseres Wirtschaftslebens eingreift. Und es ging bis hierher auch nur um den Vertrieb, da er die direkte Schnittstelle zum Markt ist. Genau dort wird über Erfolg oder Misserfolg entschieden. Diejenigen, die entscheiden, sind die Kunden und um diese wird es in diesem Buch hauptsächlich gehen. Aber bleiben wir vorerst beim Vertrieb. Viele Unternehmen, die den klassischen Vertrieb über einen Außendienst nutzen, haben oft Daten über ihre Kunden, aber sie nutzen sie nicht richtig. Sie besitzen weder schlanke, transparente Prozesse oder eine auf den Kunden ausgerichtete Organisation. Zwar ist die Basistechnologie, um diese Kundendaten für die Ausschöpfung der Markt- und Kundenpotenziale zu nutzen, in Form von ERP- oder CRM-Systemen vorhanden. Aber ihnen fehlen die operativen Fähigkeiten, um eine auf den Kunden ausgerichtete Kultur zu schaffen. Wobei das größte Hindernis für Kundenzentrierung nicht die Arbeitsmittel und Systeme sind, sondern die Unternehmenskultur. Daher haben wir diesem Thema ein Kapitel gewidmet. Das Produkt bildet in vielen Organisationen immer noch das zentrale strategische Element für den Unternehmenserfolg. Wenn der Kunde in den Mittelpunkt gerückt wird, dann handelt es sich meist um Marketing- oder Vertriebsaktionen. Diese einseitig auf den Absatz ausgerichteten Aktivitäten darf man im Zeitalter 4.0 durchaus als antiquiert bezeichnen. Das Dilemma vieler Unternehmen ist, dass sie die Kunden immer noch ausschließlich im Vertrieb verorten und sie damit aus allen anderen Bereichen ausschließen. Die Digitalisierung führt nun dazu, dass der Kunde sich selbst in den Mittelpunkt stellt. Die Technologie ermöglicht ihm, Informationen über potenzielle Lieferanten schnell und ohne Umwege zu finden. Damit löst er das oft enge Band der gegenseitigen Abhängigkeiten, er wird autonom. Die Wahlmöglichkeiten auf Kundenseite sind durch die Digitalisierung enorm gewachsen und er nutzt diese Möglichkeiten der Wahlfreiheit. Informationen über Preise und Qualität der Anbieter sind in Sekundenschnelle abrufbar. Alles wird transparenter. Damit beginnt ein neues Zeitalter.
Man kann die Ära der Digitalisierung durchaus als vierte industrielle Revolution bezeichnen, denn sie verändert unsere Geschäftsmodelle in einem noch nie dagewesenen Tempo. Der Unterschied zu allen anderen industriellen Revolutionen ist, dass es diesmal nicht um die Erleichterung der physischen Arbeit geht. In dieser Ära geht es darum, unser Denken und Handeln durch intelligente Algorithmen und KI zu optimieren oder zu ersetzen. Damit ist die Frage der Digitalisierung zur Überlebensfrage für Unternehmen geworden und wir stehen erst am Beginn dieser neuen Epoche. Was bleibt, ist der Kunde. Aber auch dieser wird digitaler und seine Stimme wird im Zuge der Digitalisierung immer lauter. Im Gewühl der globalen Massenmärkte wurde er in den letzten Jahrzehnten zum Abnehmer von Produkten. Heute ist er wieder in den Fokus des Interesses gerückt, da er sich durch die Digitalisierung emanzipiert hat. Diese Emanzipation hat als Konsequenz die absolute Transparenz auf der Anbieterseite. Der Kunde kann sich barrierefrei und ohne großen Aufwand informieren. Er ist zunehmend kritischer und teilt gute sowie schlechte Erfahrungen über ein Produkt, eine Marke oder einen Service mit vielen potenziellen und bestehenden Kunden eines Unternehmens. Allerdings verbreitet er schlechte Nachrichten wesentlich häufiger als gute, was ihn noch wertvoller und gleichzeitig gefährlicher macht. Die Erwartungen sind hoch und die Benchmarks sind durch Unternehmen wie Amazon, Uber, Netflix etc. gesetzt. Kurze Reaktionszeiten, einfache und transparente Prozesse, guter Service und positive Einkaufserlebnisse auf allen Kanälen sind für ihn kein Luxus, sondern Selbstverständlichkeit. Die Folgen sind, dass sich viele Unternehmen enormem Preisdruck ausgesetzt sehen und die Kosten ihrer Kundenaktivitäten neu bewerten müssen. Bei sinkenden Margen müssen die Aufwendungen für den Kunden reduziert und gleichzeitig muss seine Zufriedenheit erhöht werden. Dies kann nur gelingen, wenn sein Kontakt mit dem Unternehmen bestmöglich automatisiert wird. Wenn der Kunde den Eindruck bekommt, dass das Unternehmen in der Lage ist, seine Bedürfnisse zu erfüllen, dies in einer hervorragenden Qualität, mit gleichzeitiger Zeitersparnis und einem fairen Preis, dann wird er loyal bleiben. Und was ist mit dem Produkt? Es verliert im Kaufprozess immer mehr an Bedeutung, denn nahezu jedes Produkt ist substituierbar. Wir prognostizieren: Unternehmen, die sich den daraus resultierenden Aufgaben nicht stellen, werden nur wenig Chancen haben, dauerhaft am Markt zu bestehen. Diese Aufgaben beziehen sich aber nicht in erster Linie auf den Einkauf und die Anwendung von Technologie. Vielmehr geht es darum, bestehende Geschäftsmodelle auf den Prüfstand zu bringen und sie konsequent auf den Kundennutzen auszurichten. Dazu müssen Prozesse neu definiert und die Organisation neu ausgerichtet werden sowie der Kunde in allen Bereichen des Unternehmens präsent sein. Das Bewusstsein für Kundenzentrierung muss in die DNA des Unternehmens Einzug finden. Wenn Kundenzentrierung scheitert, liegt es meistens an der Position des Kunden in der Strategie. Er wird zu häufig als Ziel gedacht und die Organisation sieht ihn daher als Endpunkt aller Bemühungen. Damit wird die Organisation auf den Kunden ausgerichtet, was per se erst einmal gut klingt. In einer kundenzentrierten Organisation ist der Kunde aber nicht das Ziel der Aktivitäten, sondern der Sinn. Das macht einen erheblichen Unterschied in der Wahrnehmung und des daraus