Am Ende des Schattens. Andreas Höll

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Am Ende des Schattens - Andreas Höll


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zwängte sich in seinen BMW. Als er auf die Potsdamer Straße fuhr, waren die Trottoirs voller Fußgänger, auf der Straße drängelten sich Radfahrer zwischen Lastwagen und Automobilen. Er verfluchte den Verkehr. Jetzt kam er nicht einmal mehr schrittweise voran.

      Sein Kopf schmerzte. Er öffnete das Handschuhfach, fand unter den Wagenpapieren eine an den Rändern gelblich verfärbte Benzedrintablette, würgte sie hinunter, öffnete das Fenster und spürte die kalte Luft in seinem Gesicht.

       Woran er sich erinnern konnte:

      Das Strahlen des Gastgebers, das selbst dann nicht erlosch, als er Dolphin dem Ex-Kronprinzen vorgestellt und seine Exzellenz erwidert hatte: »Verzeihung, muss ich ihn kennen?«

       Das Bassin in der Empfangshalle, eigens für den Abend aufgebaut, samt den darin schwimmenden Fässchen voll Kaviar, aus denen sich die Badenden mit den Händen bedienen konnten

       Das Monokel des Generalobersts, das wie in einer Schmierenkomödie herausfiel, als jemand ihn versehentlich anstieß

       Die Silbertabletts voller Champagner und Liköre, die sich immer schneller um ihn drehten, als stünde er im Zentrum eines Karussells

      Ein Hauch von Knoblauchgeruch, als Harry Graf Kessler ihm ein so good to see you zuwarf und dabei dem Bildhauer Mail-lol erklärte, warum Englisch die zweitschönste Sprache Europas sei und die Froschschenkel im Borchardt ein Graus

       Der Bechstein-Flügel, der einsam aussah, obwohl er gespielt wurde

       Ein schlaksiges Mädchen im Badeanzug, gerahmt in einem Kristallspiegel, bis es aus dem Bild kippte und verschwunden war

       Der Klang von Eis, das in ein Whiskyglas gefüllt wurde

       Mehr Schollen aus Eis, nun an Caspar David Friedrich erinnernd

       Das Mädchen im Badeanzug, das sich als junge Frau entpuppt, mit hochstehenden Beckenknochen und komplizierten Bewegungen, als gehe sie bergauf, bis sie Anlauf nimmt und springt

       Der gelbe Urinstrahl, versickernd in den Eiswürfeln des Pissoirs

       Die Schwimmerin plötzlich neben ihm an der Bar, mit dunklem nassem Haar und einem Lächeln, bei dem sie ein Stück Zahnfleisch zeigt

       Warum sie einen Hosenanzug anhat und eine Leica in der Hand hält, weiß er nicht, dafür sprechen sie eine Ewigkeit über Kleinbildkameras, Belichtungszeiten und, ja, Vogelperspektiven

       Ihre Lücke zwischen den oberen Schneidezähnen, das Zahnfleisch: Es kommt ihm vor, als zeige sie Wunden, die sie nicht hat

       Warum überall so viel Eis? In den Gläsern, im Pissoir, im November?

       Sie sprechen und trinken, als seien sie vor dem Verdursten

       Irgendwann werden sie von jemanden fotografiert

       Die kontrollierenden Blicke ihrer älteren Geliebten, so streng wie ihr Jungenscheitel

       Leere Gläser voller Gin

       Fast fällt sie herunter, als sie auf den Barhocker steigt, um ihn aus der Vogelperspektive zu fotografieren

       Wieder die eifersüchtige Geliebte, ihr linkisches Zerren an der Leica, erfolgreich letztlich, ihr Abgang unter schweizerdeutschen Flüchen

       Später Gelächter: Was hat Ablichten mit Abblitzen zu tun?

      Ja, bei den Hottentotten wünscht er sich von dem Pianisten, doch der tut so, als ob er noch nie davon gehört habe und klappt den Klavierdeckel herunter

      Wie lange er schon im Stau stand, konnte er nicht sagen. Erst, als ein Lastkraftwagen hinter ihm hupte, legte er den Gang ein und fuhr an. Er fühlte sich frischer, vielleicht war es die kalte Luft, die hereinströmte, vielleicht tat die Tablette ihre Wirkung. Er hatte sie von Dr. Benjamin, der ihn schon seit Kindheitstagen behandelte, gegen einen hartnäckigen Schnupfen verschrieben bekommen, und das Mittel hatte die wohltuende Nebenwirkung, dass man hellwach wurde. In letzter Zeit hatte er fast täglich eine Benzedrin genommen, bis ihn das Gefühl beschlich, damit aufhören zu müssen.

      Als er endlich im Büro ankam, versuchte er Ella zu erreichen. Sie habe sich krankgemeldet, war die Antwort der Kollegin. Er probierte es zu Hause. Sie nahm nicht ab. Vielleicht schlief sie. Wahrscheinlicher schien ihm, dass sie gekränkt war, weil er sich gestern Abend nicht mehr gemeldet hatte. Ehe man es sich versah, war sie beleidigt. Und vermutlich wusste sie, dass er ohne sie ausgegangen war.

      Er spürte, wie die Müdigkeit ihn übermannte, und schleppte sich vom Schreibtisch zum Diwan in der Ecke gegenüber, wo er in letzter Zeit immer häufiger übernachtete. Seine Fingerspitzen strichen über den Kelim, den er darübergeworfen hatte, und er versank in einen traumlosen Schlaf.

      Er schrak auf, als der Fernsprecher klingelte. Wie lange war er eingenickt? Als er sich mühsam aufrichtete und nach dem Hörer griff, war niemand am Apparat. War es Ella gewesen? Oder London?

      Das Mädchen im Badeanzug kam ihm in den Sinn. Hieß sie tatsächlich Sidonie?

      Irgendwie mussten sie mit einem Taxi in die Knesebeckstraße gekommen sein. Was er mit Bestimmtheit wusste, war, dass sie sich nicht hatte ausziehen lassen.

      Sie hatte sich mit Händen und Füßen gewehrt und selbst die Führung übernommen. Dolphin lag, nackt bis aufs Unterhemd, im Bett, während sie in die Küche ging, um nach etwas Trinkbarem zu suchen. Er war zu betrunken, um ihr zu folgen. Ihm war rätselhaft, woher sie diese Energie nahm. Die Energie einer, wie er hoffte, mindestens Einundzwanzigjährigen. Sie reichte ihm die Whiskyflasche und musterte ihn.

      Sidonie klang viel zu onduliert für das kurze Haar und den drahtigen Körper, sie hatte nichts Welliges und Vielsilbiges. Etwas Entschiedenes ging von ihr aus. Selbst im größten Rausch schien sie in der Lage zu sein, ihr Gegenüber, ihre Nacktheit, das, was sie preisgeben wollte und was nicht, zu kontrollieren.

      Irgendwann versuchte Dolphin, aus einem unbekannten Gefühl der Demütigung heraus, sie zu bezwingen. Er hielt sie fest. Seine Zunge wanderte über immer nasseres Fleisch. Er fühlte ihren Widerstand schwinden, bis ihr schmaler Körper vor und zurück schnellte, kämpfte mit ihr, sie hatte Bauchmuskeln aus Stahl, presste ihre Arme nach hinten, hatte sie so weit und wollte endlich in sie eindringen, als sie ihn plötzlich, mit Kräften, die unerklärlich schienen, von sich stieß. Er spürte einen grellen Schmerz, irgendetwas Feuchtes mitten im Gesicht. Seine Nase blutete. Sie war erschrocken und schaute sich hilflos um. Er öffnete die Nachttischschublade und griff nach einem Taschentuch.

      Dann tranken sie abwechselnd aus der Flasche, bis sie ihm das Taschentuch wegnahm und das getrocknete Blut aus den Nasenlöchern lecken wollte. Es war grotesk und sehr aufregend.

      Er wusste nicht mehr, wann es war, aber plötzlich wurde ihr kalkweißer Oberkörper von einem Lachkrampf geschüttelt. Sie zeigte auf die Packungen, die aus der Schublade quollen.

      Sie wurde still und schaute ihm prüfend ins Gesicht. »So einer bist du also«, sagte sie lüstern. Und dann begann sie, sich langsam zu schmücken. Aufreizend langsam öffnete sie eine Sicherheitsnadel und stach sie in ihr Ohrläppchen. Es folgte der Nasenflügel und in absteigender Folge die Brustwarze links, rechts. Dann spreizte sie die Beine, wovon Dolphin sie abhalten wollte, doch sie umklammerte sein Hand-gelenk, stieß einen Zischlaut aus, tschtschtsch, um ihn zur Ruhe zu bringen, drückte fester. Und schließlich schaute sie ihn triumphierend an, als sie die letzte in die Schamlippen stach.

      Dolphin empfand einen unbeschreiblichen Ekel und spürte, wie er eine Erektion bekam.

      Er sagte seiner Sekretärin Bescheid und fuhr nach Hause. Er musste den Kopf freibekommen. Im Bad war es ganz still. Er schäumte sich das


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