Soziologische Kommunikationstheorien. Rainer Schützeichel

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Soziologische Kommunikationstheorien - Rainer Schützeichel


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Sprachzeichen, R. S.] ist Symbol kraft seiner Zuordnung zu Gegenständen und Sachverhalten, Symptom (Anzeichen, Indicium) kraft seiner Abhängigkeit vom Sender, dessen Innerlichkeit es ausdrückt, und Signal kraft seines Appells an den Hörer, dessen äußeres oder inneres Verhalten es steuert wie andere Verkehrszeichen.« (Bühler 1934 / 1982: 28; Hervorh. weggel.)

      Bühler konzipiert sprachliche Zeichen als ›organon‹, mit dessen Hilfe ein Sender einem Empfänger etwas über etwas mitteilen kann. Sie werden also aus einer kommunikationstheoretischen Perspektive konzipiert und weisen entsprechend drei Relationen oder Dimensionen auf. Sie sind als Symptom anzusehen, weil ein Sender sich ihrer bedient, um etwas auszudrücken, sie tragen einen Signalcharakter, weil sie einen Empfänger beeinflussen oder gar steuern sollen, und sie sind schließlich Symbol deshalb, weil sie über Gegenstände oder Sachverhalte in der Welt informieren, sich auf sie beziehen, sie repräsentieren oder wie immer man diese Funktion genauer definieren will. Zeichen oder allgemein kommunikative Ausdrücke dienen also dazu, Intentionen eines Sprechers zum Ausdruck zu bringen, Sachverhalte darzustellen und Beziehungen mit einem Adressaten einzugehen.

      Die Kommunikationstheorie des Linguisten und Semiotikers Roman Jakobson ist seit der Rezeption durch den Strukturfunktionalismus für die Soziologie eine maßgebliche Inspirationsquelle. Linguistik als die Wissenschaft von der Erforschung verbaler Kommunikation und Semiotik als die auf die Linguistik übergreifende Wissenschaft von der Erforschung jeder beliebigen Zeichenbotschaft sind nach Jakobson nur Teilgebiete einer allgemeinen Kommunikationswissenschaft, die er als ›Sozialanthropologie mit Ökonomie‹ bezeichnet. Diese hat jeglichen zwischenmenschlichen Tausch von Informationen und Waren zum Gegenstand (vgl. Jakobson 1973: 36). Als Vertreter der Soziologie ist man natürlich geneigt, diesen übergreifenden, integrativen Status seiner Wissenschaft zuzusprechen.

      Das Kommunikationsmodell von Jakobson stellt einer Erweiterung des Organon-Modells von Bühler dar. Er beschreibt es folgendermaßen:

      »Der SENDER sendet eine BOTSCHAFT an einen EMPFÄNGER. Um wirksam sein zu können, benötigt die Botschaft einen KONTEXT, auf den sie sich bezieht (›Referent‹ in einer anderen, etwas ambigen Terminologie): Dieser Kontext muss dem Empfänger verständlich sein und entweder verbaler oder verbalisierbarer Art sein. Ferner gibt es einen KODE, der vollständig oder zumindest teilweise dem Sender und Empfänger (oder i. a.W. dem Kodierer und dem Dekodierer der Botschaft) gemeinsam sein muss. Schließlich ermöglicht es ein KONTAKT, ein physikalischer Kanal und eine psychologische Verbindung zwischen dem Sender und dem Empfänger, dass beide in Verbindung treten und die Kommunikation aufrechterhalten.« (Jakobson / Halle 1960: 353, zitiert nach Nöth 2000: 105)

      Jakobsons Kommunikationstheorie hat den Vorteil, dass sie die Funktionen, die Kommunikation haben kann, sorgfältig und differenziert zu bestimmen und diese verschiedenen Kommunikationsformen zuzuordnen vermag. Dabei übernimmt er das Dominanzprinzip von Bühler, welches besagt, dass Kommunikationen zwar multifunktional sind, aber nur jeweils eine Funktion in einer spezifischen Kommunikation dominant ist. Eine Funktion ist jeweils dominant, die anderen treten in den Hintergrund, können aber ihrerseits die dominante ablösen. Jakobson benennt folgende Funktionen (nach Nöth 2000: 105 f.):

       Referentielle Funktion: Diese dominiert, wenn die Kommunikationsteilnehmer auf den Kontext, den Referenten gerichtet sind (Beispiel: deskriptive Texte, Nachrichten etc.);

       Expressive oder Emotive Funktion: Diese dominiert, wenn es um die Einstellung des Senders zum Text oder zur Rede geht und weniger um deren Inhalt (Beispiel: Emphasen etc.);

       Konative Funktion: Diese dominiert, wenn es primär um einen Appell an den Empfänger der Botschaft geht (Beispiel: Aufrufe, Befehle etc.);

       Phatische Funktion: Diese dominiert, wenn es um die Herstellung von gemeinschaftlichen Beziehungen zwischen den Kommunikationsteilnehmern geht (Beispiel: Grußformeln etc.);

       Metalinguistische Funktion: Diese dominiert, wenn es um eine Kommunikation über die Kommunikation und deren Sprache geht (Beispiel:»Was meinst du?« etc.);

       Poetische Funktion: Diese dominiert, wenn die Einstellung der Kommunikationsteilnehmer in erster Linie auf die Botschaft selbst gerichtet ist.

      Endgültig seit Charles Morris (1938) werden drei Dimensionen von Zeichen oder Symbolen unterschieden. Zeichen oder Symbole beziehen sich auf außersprachliche oder sprachliche Gegenstände, sie referieren oder verweisen auf etwas, sie bedeuten etwas. Dies ist die semantische Dimension. Entsprechend analysiert die Semantik die Bedeutung von Zeichen oder Symbolen. Diese beziehen sich aber nicht nur auf etwas, sondern sie stehen auch in Relation zu anderen Zeichen. So können, wie wir alle wissen, z. B. nur bestimmte Zeichen miteinander kombiniert werden, um grammatisch korrekte und verständliche Aussagen zu produzieren. Eine Aussage wie z. B. ›Peter Doris London reisen und‹ würde von keinem ›native speaker‹ des Deutschen als grammatisch korrekte Aussage bewertet werden. Diese Dimension wird als syntaktische bezeichnet. Dementsprechend untersucht die Syntax oder Syntaktik die Regeln, nach denen Zeichen in unterschiedlichen Sprachen miteinander kombiniert werden können. Die dritte Dimension schließlich betrifft die Beziehung zwischen den Zeichen und den Zeichenbenutzern. Es handelt sich um die pragmatische Dimension. Die Pragmatik untersucht, wie Zeichen von Zeichenbenutzern verwendet werden oder was die Zeichenbenutzer mit bestimmten Verwendungsweisen intendieren.

      Abb. 1.7: Dimensionen sprachlicher Zeichen nach Morris

      Nach der sprachphilosophischen Tradition, wie sie hier durch Wilhelm von Humboldt repräsentiert wird, und der semiotischen bzw. semiologischen Tradition, wie sie durch Peirce und Saussure, Jakobson und Morris vertreten wird, kommen wir nun zur dritten großen Theoriegruppe, der Hermeneutik. Die Hermeneutik als die Kunst des Verstehens oder die Lehre der Interpretation ist eine sehr alte Wissenschaft, die sich im Zusammenhang mit der Exegese vormals religiöser, dann der vertexteten Kommunikation im Allgemeinen ausbildete. In all ihren vielen verschiedenen Spielarten ist die Hermeneutik eine Reaktion auf die Nichteindeutigkeit der Bedeutungsstruktur schriftlich verfasster Texte. Hermes, in der antiken Götterwelt der Überbringer und Künder von Botschaften, war bewandert in der Kunst der Interpretation und Übersetzung von kryptischen Zeichen. Er galt als Erfinder von Sprache und Schrift.

      Die Hermeneutik hat natürlich vielfach Umbrüche erfahren. Auf eine antike und eine jüdische Hermeneutik folgte eine mittelalterliche, christlich geprägte Hermeneutik, deren Lehre von dem vierfachen Schriftsinn als exemplarisch angesehen werden kann. Die Heilige Schrift, so die Überlegung, weist verschiedene Sinnschichten auf. Die erste Stufe befasst sich mit dem ›Cortex‹, der Oberflächenstruktur von Texten. Sie zu erfassen ist Aufgabe der Grammatik (littera) und der Semantik (sensus), die sich mit dem wörtlichen und historischen Sinn der Aussagen beschäftigt. Die Tiefenstruktur von Texten (Nucleus), in welcher sich erst der spirituelle Sinn manifestiert, liegt in drei Arten vor, im tropologischen Sinn, der auf den Sinn der Schrift für das Leben jedes einzelnen Gläubigen zielt, im allegorischen Sinn, der auf Christus und die Kirche gerichtet ist, und im anagogischen Sinn, der sich auf die himmlischen Mysterien und das Leben im Jenseits bezieht.

      Die moderne Hermeneutik beginnt im 19. Jahrhundert mit Friedrich Schleiermacher und Wilhelm Dilthey im Übergang von einer theologischen zu einer philologischen Hermeneutik. Beide befassen sich intensiv mit der Zirkularität des Verstehens. Diese wird als ›hermeneutischer Zirkel‹ bezeichnet und stellt neben anderen Postulaten eines der wesentlichen Argumente der Hermeneutik in der Begründung einer von den Methoden und Erkenntniszielen der Naturwissenschaften deutlich unterschiedenen Geisteswissenschaft dar. Es gibt den Zirkel in zwei Varianten. Die erste Variante macht darauf aufmerksam, dass sich die Bedeutung eines Teils immer nur im Gesamtkontext eines Ganzen erschließt und das Ganze nur aus seinen Teilen verstanden werden kann. Die Bedeutung eines Wortes erschließt sich nur aus dem Zusammenhang des Satzes und die des Satzes nur aus der Kenntnis der einzelnen Worte. Damit sind die logischen Verfahren,


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