Soziologische Kommunikationstheorien. Rainer Schützeichel

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Soziologische Kommunikationstheorien - Rainer Schützeichel


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Worte machen mich glücklich‹, ›Gewaltdarstellungen im Fernsehen erhöhen das Gewaltpotenzial bei Jugendlichem, ›Der Wetterbericht veranlasste mich, den Regenschirm zu Hause zu lassen‹ – all dies sind Redewendungen, mit denen wir gewisse Kausalitäten postulieren und qua Kommunikation eine Kontrolle über die Empfänger suggerieren. Damit steht eine andere alltägliche und auch wissenschaftliche Leitvorstellung im Zusammenhang. Wir gehen davon aus, dass sich durch Kommunikationen Gemeinsamkeiten herstellen lassen. Es werden eher die integrierenden als die desintegrierenden Funktionen oder Effekte von Kommunikation betont. Diese Tendenz verstärkte sich, als im 19. Jahrhundert mit dem enormen Aufschwung im Bereich der technischen Medien die Metapher von der Kommunikation als einem Kanal oder einem Fluss aufkam. Kommunikation muss kanalisiert, in die richtigen Bahnen gelenkt, vor Überbeanspruchung geschützt und in ihren Kapazitäten berechnet werden.

      Es soll nun keinesfalls angedeutet werden, dass diese alltagstheoretischen Metaphern und Konzepte in einem trivialen Sinne falsch sind. Ist es nicht vielmehr so, dass wir uns in unseren Kommunikationen an unseren Leitvorstellungen orientieren und wir damit unsere eigene Wirklichkeit erzeugen? Ist es nicht so, dass wir, wenn wir Kommunikation etwa als kausal wirkendes Kontrollorgan begreifen, uns entsprechend verhalten, dies auch von unseren Kommunikationspartnern verlangen und somit in einer Art Selffulfilling Prophecy unseren Konzepten zur ihrer Realität verhelfen? Andererseits kann man nicht erwarten, dass unsere alltagsweltlichen Vorstellungen dem sozialen Phänomen der Kommunikation gerecht werden. Aber dies gilt auch für die in der Wissenschaft diskutierten Konzeptionen. Sie sind ebenfalls Metaphern und Leitbilder, die manche Perspektive auf die Gegenstands- oder Erfahrungsebene freigeben, andere wiederum versperren. Von daher ist es die stete Aufgabe der Soziologie, ihr analytisches Begriffsschema zu überprüfen und sich die Annahmen, die in dieses Schema einfließen, zu vergegenwärtigen.

      Wissenschaftliche Modelle sind nicht frei von Metaphern. Da wissenschaftliche Begriffs- und Theoriebildungen in der Regel immer auf lebensweltlichen Annahmen beruhen und von diesen ihren Ausgang nehmen, sind die alltäglichen Leitvorstellungen und Metaphern auch für viele wissenschaftliche Konzeptualisierungsvorschläge bindend. Dies gilt in besonderem Maße für das erste bedeutende Kommunikationsmodell überhaupt. Es stammt bezeichnenderweise nicht aus der Feder von Sozialwissenschaftlern, sondern von Claude Shannon und Warren Weaver (1949), zwei Mathematikern und Ingenieuren, deren Absicht es war, ein technisches Modell für die Übertragung von Informationen zu entwickeln. Im Auftrag einer Telefongesellschaft suchten sie nach Möglichkeiten einer störungsfreien Übermittlung von Telefonaten. Dabei unterschieden sie drei Problemebenen:

       technisches Problem: Wie können Zeichen übertragen werden?

       semantisches Problem: Wie genau entsprechen die Zeichen der gewünschten Bedeutung?

       pragmatisches Problem: Wie effektiv beeinflusst die empfangene Nachricht das Verhalten?

      Ausdrücklich bekundeten sie, sich nur mit dem technischen Problem der Kommunikation befassen zu wollen. Das von ihnen entworfene Modell hat lediglich den Anspruch, diese technische Problemebene zu verdeutlichen. Zu großen Missverständnissen führte aber, dass sie ihre Theorie als ›Informationstheorie‹ (und nicht etwa als ›Signaltheorie‹) der Kommunikation bezeichneten und damit den Eindruck erweckten, allgemeine und insbesondere die menschliche Kommunikation beschreiben zu wollen. ›Information‹ ist bei Shannon und Weaver eine rein mathematische Größe, die als ›mittlere Auftrittswahrscheinlichkeit von Zeichen‹ definiert wird. Sie soll gerade die für die Humankommunikation zentrale semantische Komponente der ›Bedeutung‹ ausschließen.

      Abb. 1.1: Klassisches Konzept der Informationstheorie nach Shannon /Weaver

      Eine Nachrichtenquelle gibt eine Nachricht ab, die von einem oder mehreren Sendern nach den Regeln eines konventionellen Codes in ein Signal umgeformt werden muss, welches dem Übertragungskanal angemessen sein kann. Der Übertragungskanal ist ein Mittel, um Signale von einem Sender zu einem Empfänger zu befördern. Der Empfänger muss dann in einer inversen Weise die Arbeitsschritte des Senders wiederholen und das empfangene Signal in eine Nachricht umwandeln. Damit hat die Nachricht ihr Ziel erreicht. Ein wesentlicher Faktor in diesem Übertragungsprozess kann die Störquelle einnehmen, die durch ein Rauschen, also Verzerrungen, Übertragungsfehler o. ä. den Empfang zu beeinträchtigen vermag. Diesem Modell ist es gleichgültig, was Nachrichtenquelle oder Nachrichtenziel, was Sender oder Empfänger ist. Es können Götter, Menschen oder technische Apparaturen sein. Ebenso ignoriert dieses Modell Fragen der Bedeutung oder des Sinns oder allgemein semantische Fragen. Von daher kann auch die Nachricht eine beliebige sein. Dieses Modell wurde in der darauf folgenden Forschung um die Aspekte der Codierung bzw. Decodierung erweitert:

      Damit sich eine Nachricht von einem Sender zu einem Empfänger übermitteln lässt, muss sie zunächst von einem Sender mithilfe eines festen Codes in Signale gefasst, also encodiert werden. Der Empfänger muss den gleichen Code benutzen, um die Signale entsprechend decodieren und damit die ursprüngliche Nachricht rekonstruieren zu können. Unter einem Code wird dabei eine feste Menge von Zuordnungsregeln verstanden, die, wie z. B. bei Morsealphabeten, jedem sprachlichen Element ein festes technisches Signal in der Gestalt von elektrischen Impulsen oder Lichtsignalen zuordnen. Dieses ursprünglich für die Maschinenkommunikation entwickelte Modell kann jedoch auch für die Analyse menschlicher Kommunikation benutzt werden. In diesem Fall werden die Codes als feste Zuordnungsregeln zwischen subjektiven Intentionen und sprachlichen Zeichen verstanden. Der Sender besitzt aufgrund seiner Sprachkompetenzen ein Wissen darüber, welche sprachlichen Zeichen oder Elemente er benutzen muss, um seine gedanklichen Intentionen ausdrücken und formulieren zu können. Das Modell baut also auf der Vorstellung auf, es gebe ein vorsprachliches Reich von Gedanken, welches in sprachliche Bedeutungen überführt werden müsse. Und soll die Kommunikation erfolgreich sein, soll die Übertragung also gelingen, so muss der Empfänger oder Hörer den gleichen Code benutzen, also ebenfalls über die äquivalenten Kompetenzen verfügen, um aus den sprachlichen Äußerungen die subjektiven Bedeutungszuschreibungen zu decodieren. Das klassische Kommunikationsmodell geht demnach davon aus, dass vorsprachliche Gehalte durch feste Codes in ein sprachliches Medium überführt und dieses durch Kommunikation übertragen werden kann. Die Qualität der Kommunikation bemisst sich danach, ob diese Übertragung geräuschlos funktioniert, ob die Codierungen auf beiden Seiten dieselben sind und die Sprache ein reines, nicht störendes Medium bleibt.

      Abb. 1.2: Erweiterteres klassisches Modell

      In diesem Modell spielen Sender und Empfänger eine besondere Rolle, denn sie stellen die Schnittstelle zwischen der externen Nachricht und dem internen technischen System dar. Das Problem dieser Schnittstellen besteht darin, dass ein Ausgleich zwischen der Komplexität der Nachricht und der begrenzten Kapazität des Kanals geschaffen werden muss. Die Komplexität der Nachricht muss der Kapazität des Kanals angemessen sein. Hierbei lassen sich zwei mögliche Problemlösungen unterscheiden: analoge und digitale Kommunikation. Eine analoge Kommunikation liegt vor, wenn das vom Sender erzeugte und vom Empfänger rezipierte Signal zu der Nachricht in einem Verhältnis der Proportionalität steht, d. h. das Signal folgt der Nachricht in seinen Veränderungen im Raum und in der Zeit. Typische analoge Kommunikationsformen sind das Radio oder die Fotografie, der Film oder das Grammofon. Um digitale Kommunikation handelt es sich hingegen, wenn die Nachricht vor der Übertragung in spezifische Elemente ein und desselben Typs zerlegt wird, also z. B. in Buchstaben, in ganze Zahlen, in Pixel. Eine solche Form liegt in der Schrift oder in der elektronisch ermöglichten Kommunikation vor.

      Eine weitere Konkretisierung hat Badura (vgl. Badura 1971) vorgenommen. Badura berücksichtigte mehrfache Encodierungs- und Decodierungsprozesse, nämlich in Anlehnung an die Semiotik syntaktische, semantische und pragmatische Prozesse. Und er sozialisierte Sender und Empfänger, indem er sie in soziale Kontexte einbettete:

      Mit diesem Modell verwandt ist das etwa zur gleichen Zeit entwickelte, vornehmlich für die Untersuchung der Massenmedien wie der Werbung und der politischen Propaganda


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