Soziologische Kommunikationstheorien. Rainer Schützeichel
Читать онлайн книгу.beispielsweise in Organisationen und Familien. Und wenn man einen weiten Kommunikationsbegriff verwendet, dann können auch solche Disziplinen wie die Soziologie der Wirtschaft oder der Politik als spezifische Kommunikationssoziologien begriffen werden, denn sie richten ihr Augenmerk auf besondere Kommunikationsmedien wie Geld oder Macht.
Die Untersuchung von spezifischen sozialen Kommunikationsformen ist also in der Soziologie auf zahlreiche Disziplinen, Diskurse und Einzelforschungen verteilt. Neben diesen spezifischen Forschungsfeldern gibt es noch eine weitere Richtung, die man mitunter als ›Theoretische Soziologie‹ oder als ›Soziologische Theorie‹ bezeichnet. Ihr Erkenntnisinteresse besteht darin, allgemeine Grundlagen der Soziologie zu entwickeln. Sie stellt also keine Subdisziplin der Soziologie dar, sondern versucht eher, der Soziologie und der soziologischen Forschung ein Fundament in Gestalt von allgemeinen Kategorien, Begriffen, Leithypothesen, Erklärungsmodellen etc. zu geben. Auch die Soziologische Theorie ist keineswegs durch eine besondere theoretische Homogenität gekennzeichnet. Im Gegenteil, jede(r), die (der) einmal einen auch nur oberflächlichen Blick in ein soziologisches Buch geworfen hat, wird feststellen, dass es die soziologische Theorie nicht gibt. Jenseits des institutionell-universitären Zusammenhangs lassen sich nicht nur viele verschiedene Forschungsrichtungen, sondern auch viele verschiedene theoretische Orientierungen und theoretische Programme identifizieren. So führen beispielsweise Einführungen in die Theoriegeschichte der Soziologie kataraktartig verschiedenste Bezeichnungen, Benennungen, Thesen, Hypothesen, Methoden und Begriffe an, so dass man mit Recht nach ihrem Zusammenhang und vielleicht sogar nach ihrer Einheit fragen kann. Und es wäre in diesem Zusammenhang einmal interessant, der Frage nachzugehen, wie die Soziologen eigentlich untereinander kommunizieren und welchen Anforderungen sie dabei genügen müssen, wenn sich ein solches, nicht nur auf den ersten Blick verwirrendes Bild ergibt. Nun unterscheidet sich die Soziologie dabei nicht von der Mehrzahl der anderen wissenschaftlichen Disziplinen. Von daher ist diese theoretische Unübersichtlichkeit den einen ein Zeichen für die Innovativität und Kreativität dieser Disziplin, den anderen ein Indiz für ihren vorwissenschaftlichen Zustand.
Den verschiedenen soziologischen Theorien ist weniger ein bestimmtes Forschungsobjekt gemeinsam, sondern eher eine Leitfrage: Wie ist soziale Ordnung möglich? Sie lässt sich je nach Geschmack und Erkenntnisinteresse auch anders formulieren: Wie kann man soziale Beziehungen, soziale Gebilde, Institutionen, Gesellschaften oder allgemein soziale Ordnungen erklären? Oder auch: Wie ist soziales Handeln möglich, wenn denn soziales Handeln eine Orientierung an anderen Handelnden voraussetzt? Wie können Menschen ihre Handlungen koordinieren und wie können sie kooperieren? Oder in Bezug auf Kommunikation formuliert: Wie ist überhaupt Kommunikation möglich?
Dazu gehören solche Fragen wie: Wie geschieht eigentlich Kommunikation? Wie kommt Kommunikation zustande? Woraus baut sie sich auf? Wann liegt Kommunikation zwischen Menschen vor? Ist schon jede Wechselwirkung zwischen Menschen eine Kommunikation? Was unterscheidet etwa ein zufälliges Zusammenprallen zwischen Menschen auf dem Gehsteig von einem Gespräch zwischen ihnen? Welche Formen von Kommunikation kann man unterscheiden? Wie unterscheidet sich beispielsweise das Klatschgespräch im Hausflur von dem Jubel der Fussballfans beim Fallen eines Tores, das Lesen eines Buches von dem Kauf eines Buches? Handelt es sich immer um Kommunikationen? Wie stellt man das fest? Und aus welchen Komponenten besteht Kommunikation? Gibt es Komponenten, die für alle verschiedenen Kommunikationsformen maßgeblich sind?
Diese Fragen unterscheiden das Erkenntnisinteresse der Soziologie von demjenigen anderer wissenschaftlicher Disziplinen, die ebenfalls mit Kommunikation befasst sind. In dieser Einführung analysieren wir solche theoretischen Positionen, die in besonders signifikanter Weise zur Beantwortung dieser Frage ›Wie ist Kommunikation möglich?‹ beitragen können. Von daher versteht sich diese Einführung nicht nur als ein Beitrag zur Soziologie der Kommunikation, sondern auch als Einführung in soziologische Theorien oder gar in die allgemeine soziologische Theoriebildung überhaupt. Sie befasst sich mit solchen Theorien, die nicht nur an dieser oder jener spezifischen Kommunikationsform interessiert sind, sondern allgemein an der strukturellen Matrix von Kommunikation und die von daher auch für die allgemeine Theorie ein hohes Potenzial besitzen. Es geht also in dieser Einführung auch darum, den schon erwähnten communicative turn in der Soziologie ein wenig weiter zu treiben, weil nach Überzeugung des Verfassers ›Kommunikation‹ in der Soziologie dasjenige Basiskonzept darstellt, welches die höchste integrative Kraft aufweist und solche konkurrierenden Basiskonzepte wie ›Handlung‹, ›Wissen‹, ›Kultur‹ oder neuerdings ›Medien‹ nochmals zu fundieren vermag.
Wenn man sich mit Kommunikation und Kommunikationstheorien befasst, so steht man vor einem schwierigen Problem, denn es gibt eine Phalanx unterschiedlicher Theorien, die Kommunikation sehr unterschiedlich konzeptualisieren. Im Jahre 1977 konnte Klaus Merten (vgl. Merten 1977) allein im soziologierelevanten Kontext 160 verschiedene Definitionen von Kommunikation identifizieren. Und die Zahl dürfte in der Zwischenzeit sicherlich nicht abgenommen haben. Dies liegt unter anderem daran, dass ›Kommunikation‹ wie auch ›Information‹ oder ›Sprache‹ keine Begriffe im normalen Sinne sind, obwohl sie häufig als solche behandelt werden. Sie beziehen sich nicht auf anschauliche, konkret fassbare, abgrenzbare Dinge, wie dies etwa ›Buch‹, ›Haus‹ oder ›Baum‹ tun. Sie sind unanschaulich, weil sie nicht einen sinnlich wahrnehmbaren Gegenstand untersuchen, sondern Gegenstände im übertragenen Sinne: Sie beziehen sich auf Formen des Handelns und der Praxis. Sie sind nicht Produkte menschlicher Praxis wie etwa Häuser oder Bücher, sondern Formen, in denen sich die menschliche Praxis vollzieht. Entsprechend schwierig ist ihre Konzeptualisierung. So lässt sich auch der Umstand erklären, dass es recht zahlreiche Vorstellungen und Theorien über Kommunikation gibt.
In diesem Kapitel müssen wir uns mit gewissen Begrifflichkeiten und Problemstellungen vertraut machen. Dazu werden wir zunächst unsere Alltagsauffassung von Kommunikation beleuchten und anschließend auf renommierte wissenschaftliche Kommunikationsvorstellungen und deren theoretische Einrahmungen zu sprechen kommen.
1.1 Alltagskonzepte
Im Alltagsleben ist eine spezifische Vorstellung über Kommunikation in besonderem Maße virulent (vgl. Fiehler 1990): Kommunikation wird häufig in Analogie zu dem Transport von Gütern aufgefasst, wie man an solchen Redewendungen wie ›Man kann seinen Worten entnehmen, dass…‹, ›In diesem Buch steht …‹ oder ›Die Fernsehsendung hat den Inhalt …‹ erkennen kann. Man spricht von der ›Conduit Metapher‹ der Kommunikation. Kennzeichnend für diese Auffassung sind folgende Punkte:
»(1) language functions like a conduit, transferring thoughts bodily from one person to another; (2) in writing and speaking, people insert their thoughts or feelings in the words; (3) words accomplish the transfer by containing the thoughts or feelings and conveying them to others; and (4) in listening or reading, people extract the thoughts and feelings once again from the words.« (Reddy 1979: 290)
Das Modell suggeriert, dass sich im Geist des Sprechers etwas befindet, was er mitteilen möchte. Er verpackt es in einen sprachlichen Ausdruck und benutzt seine Sprechorgane, um es auszudrücken. Ein Hörer nimmt es durch seine Ohren auf und packt den transportierten Inhalt aus der sprachlichen Hülle aus. Wenn das Einpacken und das Auspacken richtig vollzogen werden, kann der Hörer verstehen, was der Sprecher meinte. Der Kommunikationsprozess ist zu seinem Ende gekommen. Die Kommunikationsbedingungen, die von der Conduit-Metapher unterstellt und suggeriert werden, sind folgende (Johnson / Lakoff 1982: 9, zit. nach Fiehler 1990: 105):
»(1) The participants are equally competent speakers of the same dialect of the same language, and individual signification is insignificant. (2) Relevant to the subject matter and the context, the participants share
(a) | the same cultural assumptions, |
(b) | the same relevant knowledge of the world, |
(c) | the same relevant background assumptions about the context of the utterance, |
(d) | the same understanding of what the conversation is about, and |
(e) | the same relevant conceptual metaphors and folk theories.« |
Aber auch andere Metaphern leiten unsere Auffassung von Kommunikation (vgl. Krippendorff 1994). Mit der Conduit-Vorstellung eng verbunden